6000 in der Stadthalle

Judas Priest: Heavy Metal in Reinkultur

Musik
29.07.2018 10:58

Sieben Jahre nach ihrem letzten Wien-Gastspiel beehrte die britische Heavy-Metal-Legende Judas Priest Samstagabend wieder einmal die Stadthalle. Trotz anfangs matschigem Sound und einer etwas überambitionierten Lautstärke zelebrierten sie gemeinsam mit Accept die hohe Kunst des puren Heavy Metal.

(Bild: kmm)

Findige Musikkenner wissen: Wer anno 2018 noch physische Tonträger verkaufen will, der muss entweder „Hulapalu“ singen, „Atemlos durch die Nacht“ tanzen oder mit möglichst viel Pomp und Pathos dem Gehörnten huldigen. Die Loyalität der Heavy-Metal-Fans zu ihren Lieblingsbands und deren Produkten ist eines der großen undefinierbaren Geheimnisse des Musikbusiness. Während nahezu jede wissenschaftliche Ausarbeitung Aufmerksamkeitsdefizite bei den Hörern feststellt und eine ganze Industrie darauf erpicht ist, den ersten großen fetten Refrain nach 30 Sekunden abzuliefern (denn ab dort wird ein Klick bei Spotify erst gezählt und kann monetisiert werden), gehen die großen Schwermetall-Schlachtschiffe den umgekehrten Weg - und haben damit Erfolg. Ausladende Konzeptalben, gehörgangzersägende Gitarrensoli, rifflastige Tracks in Überlänge. All das exerziert eine Band seit knapp 50 Jahren so erfolgreich, dass sie sogar im rüstigen Pensionsalter noch 6000 Fans in die Wiener Stadthalle zieht.

Neuer Wunderwuzzi
Die angesprochenen Judas Priest feierten diesen Winter aber auch eine nicht mehr für möglich gehaltene Wiederauferstehung. Das aktuelle Studioalbum „Firepower“ gilt in Fankreisen nicht nur als das beste seit dem 1990er-Geniestreich „Painkiller“, sondern auch als Dokument für hochqualitative Zeitlosigkeit. Schade, dass die britischen Urgesteine mit dem Titeltrack, „Lightning Strike“ und dem getragenen Mid-Tempo-Stampfer „Rising From Ruins“ nur drei Songs aus dem jüngsten Meisterwerk aus dem Köcher ziehen. Ein entscheidender Part für das knackige Songwriting ist Andy Sneap, der in Heavy-Metal-Kreisen zu den wichtigsten Produzenten überhaupt zählt und schon so manch verfahrenen Karrierekarren aus dem Dreck gezogen hat. Sneaps Arbeit im Studio und hinter den Reglern hat Priest so gut gefallen, dass sie ihn sogar für die laufende Tour engagierten. Sneap ersetzt damit den aufgrund seiner Parkinson-Erkrankung nur mehr eingeschränkt einsetzbaren Kultgitarristen Glenn Tipton.

Von Anfang an fahren die Metal-Legenden ein Hitprogramm par excellence ab, ohne aber zu viel von ihren Reizen feilzubieten. Auf eine ausladende Pyroshow oder allerlei sonstige Effekte müssen die Fans verzichten, das hebt sich das Quintett lieber für die Open-Air-Shows auf. Eine riesige Videoleinwand untermalt dafür das infernalische Treiben auf der Bühne, das so angenehm aus der Zeit gefallen ist, dass man es einfach lieben muss. Eng anliegendes Leder, bedrohlich wirkende Nieten, der Geruch puren Stahls - wie ein Dampfhammer zermalmen Judas Priest jeglichen Anflug von Kritik mit der purer Obsession für das Zeitlos-Rustikale. Bei Songs wie „Grinder“, „Sinner“ oder dem stimmlich hervorragend wiedergegebenen „The Ripper“ weiß man sofort, warum diese Musik in den 80ern Jahren die Eltern schockierte und am Mainstream andockte.

Wandelbarer „Metal God“
Mit beeindruckender Akribie schwingen die beiden „Neugitarristen“ Sneap und Richie Faulkner ihre sechssaitigen Äxte und rollen einen Riffteppich nach dem anderen aus. Letzterer, der 2011 das Gründungsmitglied K.K. Downing ersetzte und nach anfänglicher Kritik längst zur personifizierten Frischzellenkur der Band aufgestiegen ist, beweist sich zudem als Meister der Publikumsinteraktion. Neben seinen zahlreichen Posen schäkert er immer wieder mit den Fans, wirft tonnenweise Plektren in die Menge und scheint überhaupt bester Laune zu sein. Der Star des Abends ist natürlich der „Metal God“ himself - Rob Halford. In einer an Lady Gaga gemahnenden Intensität wirft er sich alle paar Songs in neue Mäntel oder Jacken und gibt mit beeindruckender Selbstsicherheit den Zeremonienmeister des Abends. Der Hohepriester des Heavy Metal dirigiert seine dürstenden Jünger eben im Stile eines ganz Großen.

Gottseidank ist auch die stimmliche Leistung meist über alle Zweifel erhaben. Halford braucht zwar ein paar Songs, um auf Betriebstemperatur zu kommen, doch was der 66-Jährige nach diversen Stimmkrisen heute noch vorzuweisen hat, ist zumeist beeindruckend. Vor allem im letzten Songdrittel packt er noch einmal sein ganzes Können aus und überzeugt mit vokaler Souveränität - herausfordernde Songs wie „Between The Hammer And The Anvil“ lässt die Band mittlerweile beiseite. Mit dem „Stained Class“-Song „Saints In Hell“ oder dem flotten „Freewheel Burning“ greifen Priest auch auf äußert selten gespieltes Songmaterial zurück und begeistern all jene, denen bei den Superhits „You’ve Got Another Thing Comin‘“ oder „Living After Midnight“ nur mehr ein routiniertes Gähnen entkommt.

Besondere Überraschung
Über die Setlist kann bei Judas Priest immer gestritten werden, doch wer mehr als 40 Jahre Studioalben in ein knapp 100-minütiges Set packen muss, hat nun einmal natürliche Grenzen. An Top-Hits mangelt es trotzdem nicht. Das einst verhasste und mittlerweile umjubelte „Turbo Lover“, der Rocker „Hell Bent For Leather“ (bei dem Halford stilecht in Leder gehüllt mit einer Maschine die Bühne entert) und „Painkiller“, der Titelsong des wohl besten Heavy-Metal-Albums aller Zeiten, lassen keine Wünsche offen. Die wahre Sensation offenbart sich aber ganz am Ende - für den Zugabenteil wird tatsächlich Glenn Tipton auf die Bühne gebeten. Ein wahrlich exklusives Vergnügen, denn der Kultgitarrist ist aufgrund seines Gesundheitszustands nur mehr bei ausgewählten Priest-Konzerten zu sehen und gibt dem ersten Wien-Auftritt seit 2011 noch einmal eine besonders nostalgische Note. Auch weiterhin gilt - Judas Priest sind die Blaupause für Heavy Metal.

Passenderweise haben sie sich für das Vorprogramm alte Wegbegleiter und Brüder im Geiste ausgesucht. Die deutschen Metal-Urgesteine Accept wildern schon seit knapp 40 Jahren in der Szene und haben sich ihren Charme auch nach diversen Personalwechseln erhalten. Natürlich werden Puristen ewig dem legendären Sänger Udo Dirkschneider nachtrauern, doch mit dem Amerikaner Mark Tornillo gelang Gitarrist Wolf Hoffmann und Co. vor einigen Jahren ein Goldgriff, der auch zu einer mehr als respektablen und kommerziell erfolgreichen zweiten Karriere führte. Tornillos Stimmvolumen erinnert freilich mehr an das Gekreische von AC/DC, doch bei von ihm mitveredelten Songs wie „Pandemic“ oder „Teutonic Terror“, der vielleicht besten Comeback-Single, der Heavy-Metal-Geschichte, kombinieren Stimme und Gitarrenarbeit superb.

Anker für Tradition
Ansonsten setzen auch Accept komplett auf Retrospektive. „Metal Heart“, „Up To The Limit“, „Balls To The Wall“ oder „I’m A Rebel“ sind Songs, bei denen viele Besucher wahlweise ihre Unschuld verloren, ihre ersten Biere getrunken, eigene Kinder gezeugt oder die hinterhältigen Tücken der Pubertät ausgeblendet haben. Auch Accept sparen nicht an exaltiertem Gepose und klischeebeladenem Stage-Acting. Etwa wenn Peter Baltes am Beginn von „Teutonic Terror“ breitbeinig zum Basssolo ansetzt, die Saitenfraktion in trauter Einigkeit und choreografisch einwandfrei an der Bühnenfront wippt oder sich Tornillo in den selten Gesangspausen zum Bühnenrand begibt, um sich von den Roadies ein Bier kredenzen zu lassen. Gerade in Zeiten kurzlebiger Trends und enervierender Pseudo-Coolness zeigt sich ein derart geschickt zusammengestelltes Metal-Package als angenehmer Anker traditioneller Güte. Kill it with fire!

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