"Geh zum Araber", sagt Moses Vater, wenn er etwas aus dem kleinen Lebensmittelladen benötigt. Und Moses läuft - hinaus aus der dunklen Wohnung mit ihren kafkaesken Büchertürmen, hinter denen sich sein Vater verbarrikadiert, seit Moses Mutter ging und nicht mehr wiederkam. Es sind nur ein paar Schritte zu Monsieur Ibrahim, den alle "den Araber" nennen. Für den 13-jährigen Jungen sind diese paar Meter das Paradies! Weil die Straße, das Trottoir Versuchung pur atmet...
Sie ist eine frivole Meile, die "Rue bleue",eine "Rue chaude", ein "heißes Gässchen" im Pigalle-Viertel,wo adrette Bordsteinschwalben in bunten Sommerkleidern - es sinddies die koketten 60er Jahre in Paris - schon im milden Lichtdes Vormittags Liebe - und nichts als Liebe anbieten.
Zeit der Unschuld ist vorbei An seinem Geburtstag, den der Vater vergisst, wirdMoses sein Sparschwein schlachten. Und höflich, ein frischesweißes Hemd am schmächtigen Körper, die Diensteder hübschen Sylvie in Anspruch nehmen. Die Zeit der Unschuldist vorbei. Stiller Aufruhr hinter wehenden Gardinen. Völligüberwältigt von Lust und Emotion, verehrt der jüdischeJunge der zärtlichen Hure seinen Teddybären.
Kindlich-charmanter Freier Mit dem Araber, der keiner ist, weil man ihn fälschlichso nennt - seine Heimat ist vielmehr das Goldene Horn, dort, woder türkische Halbmond leuchtet -, spricht Moses mehr alsmit seinem Vater. Mit dem in Würde ergrauten Mann mit seinemglutvollen Blick, der stolz wie ein Kalif Tag für Tag inseinem Laden steht, verbindet ihn bald eine Freundschaft, geprägtvon Respekt, Vertrauen und philosophischen Diskursen an der Budel.Dass Moses, den er liebevoll Momo nennt, manchmal Sardinendosenstibitzt, hat Monsieur Ibrahim wohl bemerkt. Was solls, der Kleinewird sein Geld eben anderweitig brauchen... Was stimmt. Längstist der kindlich-charmante Freier der Liebling der leichten Mädchen.Ibrahim sensibilisiert Momo nicht nur für die Sichtweisendes Islam - "die Blumen des Koran" -, sondern auch für dasWesen des Lebens, der Frauen und der Liebe, die "man nur behält,wenn man sich ganz verschenkt."
Als Momos Vater den Buben im Stich lässt,nimmt ihn der Araber ganz unter seine Fittiche - und als Sohnan. Eine Reise in Ibrahims Heimat, die Türkei, schweißtdie beiden noch enger zusammen. Am Bosporus wird Momo so mancheWeisheit zuteil, wie etwa: "Wenn du tanzt, singt dein Herz undsteigt zum Himmel empor." Und man glaubt Monsieur Ibrahim aufsWort, wenn er lächelnd meint: "Das Geheimnis des Glücksliegt in der Langsamkeit. Ich habe mein ganzes Leben stetig, aberlangsam gearbeitet."
"Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran" istein kleines Meisterwerk voll Poesie, ein warmherziges Plädoyerfür Freundschaft und Toleranz.
Publikumspreis in Venedig Schon Eric-Emmanuel Schmitts Bestseller "MonsieurIbrahim und die Blumen des Koran" wurde als kleines Wunder zwischenzwei Buchdeckeln gefeiert. Regisseur Franois Dupeyrons Verfilmungim verklärten Retro-Look gerät zu einer bezauberndenParabel über die wesentlichen Erfahrungen im Leben: Freundschaftund Liebe, Abschied und Verlust. Eine Entdeckung: der junge PierreBoulanger! Weltstar Omar Sharif ("Doktor Schiwago"! ) wird seinerRolle mit grandios-verschmitzter Leichtigkeit und berückenderGüte gerecht. Sein Lächeln wärmt für Stundenund wurde bei der Filmpräsentation in Venedig 2003 mit demPublikumspreis honoriert. Omar Sharif, der Ägypter: "Im Orientlassen wir uns Zeit für alles. Der Westen ist darauf fixiert,Geld zu verdienen und Zeit zu sparen."
Ab 25. März im Kino Die Poesie von "Monsieur Ibrahim", sie gemahnt einbisschen an die des "Kleinen Prinzen", nur dass Omar Sharif, der"Araber", ein weiser, an Jahren reicher Prinz ist. Und Paris -so Honoré de Balzac - ein herrliches Schiff, beladen mitVerstand. ("Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran", ab 25.März 04 in unseren Kinos)
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