Zurück in London

Guantanamo-Häftling: ‘Von USA und MI5 gefoltert’

Ausland
23.02.2009 22:16
Nach mehr als vier Jahren in dem US-Gefangenenlager Guantanamo ist ein Häftling aus Großbritannien in seine Wahlheimat zurückgekehrt. Bei dem gebürtigen Äthiopier Binyam Mohamed handelt es sich um den ersten Guantanamo-Gefangenen, der seit der Wahl von US-Präsident Barack Obama freigelassen wurde. Auf dem Rückweg nach Großbritannien bekräftigte der 30-Jährige am Montag seine schweren Foltervorwürfe sowohl gegen die USA, als auch gegen den britischen Geheimdienst MI5. Damit verstärkte er den Druck auf die Regierung in London, die seit langem wegen einer angeblichen Verwicklung in Folterungen kritisiert wird.

Das Schicksal des Mannes sorgt seit Wochen für Schlagzeilen. Mohamed saß seit 2004 wegen Terrorverdachts in dem Lager und war zuletzt im Hungerstreik. Er war 2002 in Pakistan festgenommen worden. Nach eigener Darstellung wurde er anschließend in Marokko, Pakistan und Afghanistan in US-Gefangenschaft gefoltert, bis er die Terrorvorwürfe zugab. Dabei soll der britische Geheimdienst Fragen an seine Folterer weitergegeben haben.

"Viele haben sich an meinem Grauen mitschuldig gemacht"
"Ich muss - mehr in Trauer als in Wut - sagen, dass sich viele an meinem Grauen in den vergangenen sieben Jahren mitschuldig gemacht haben", sagte Mohamed in einer Erklärung. "Ich will keine Rache. Nur soll die Wahrheit bekannt werden, so dass niemand dasselbe aushalten muss wie ich." Die USA bestreiten alle Foltervorwürfe.

Mohameds Anwälte forderten die britische Regierung nach der Landung auf dem Militärflugplatz Northolt in London auf, den Mann nach Befragungen sofort wieder freizulassen. Der Sprecher von Premierminister Gordon Brown sagte, die Regierung werde alle Vorbereitungen treffen, damit die Öffentlichkeit nicht gefährdet werde.

Mohameds Familie kam 1994 nach London, zehn Jahre später wurde seine Aufenthaltsgenehmigung erneuert. 2001 konvertierte er zum Islam und reiste später nach Pakistan und Afghanistan. 2002 wurde er in Karachi festgenommen, weil er mit einem gefälschten Pass nach Großbritannien zurückkehren wollte.

USA fanden keine Beweise für die schweren Anschuldigungen
Er wurde beschuldigt, 2001 in einem Al-Kaida-Lager in Afghanistan ausgebildet worden zu sein, um Terroranschläge in den USA auszuführen. Im Mai vergangenen Jahres wurde ihm Verschwörung mit Al-Kaida-Mitgliedern zum Mord und Terrorismus zur Last gelegt. Außerdem soll er an Plänen für einen Anschlag mit einer "schmutzigen Bombe" beteiligt gewesen sein. Im Oktober wurden die Anschuldigungen fallen gelassen. Die Regierungen der USA und Großbritanniens hatten sich vergangene Woche geeinigt, Mohamed nach Großbritannien zurückzufliegen. Obama will das Lager auf Kuba noch innerhalb eines Jahres schließen. Der britische Außenminister David Miliband sagte, die Freilassung Mohameds sei "der erste Schritt" auf diesem Weg.

Mohameds Foltervorwürfe sind auch Kern eines Rechtsstreits vor einem Londoner Gericht: Mohamed hatte dort die Veröffentlichung von Akten beantragt, aus denen die Folterbeteiligung des britischen Geheimdienstes hervorgehen soll. Außenminister Miliband hatte die Veröffentlichung abgelehnt, weil es sich bei den Akten um US-Geheimdienstinformationen handle, die nicht ohne Einverständnis der USA veröffentlicht werden dürften. Kate Allen, Direktorin von Amnesty International UK, forderte am Montag eine unabhängige Untersuchung über die Rolle der Briten in dem Fall.

Pentagon empfiehlt Hafterleichterungen in Guantanamo
Indes hat das US-Verteidigungsministerium eine Lockerung der Haftbedingungen in Guantanamo empfohlen. Um die Insassen menschenwürdig unterzubringen, müsse ihre Isolation gemildert werden, hieß es in einem am Montag in Washington vorgelegten Bericht, den das Pentagon im Auftrag von Präsident Barack Obama verfasst hat. Die Verfasser empfehlen mehr soziale Kontakte und intellektuelle Beschäftigung für die Insassen.

In dem Gutachten kommen die Pentagon-Experten zu dem Schluss, dass der oft langjährigen Haftdauer der Gefangenen in Guantanamo Rechnung getragen werden müsse. "Mehr sozialer Austausch ist unerlässlich, um dauerhaft eine menschenwürdige Behandlung zu wahren." Der Schlüssel dazu seien "mehr Kontakte von Mensch zu Mensch, Freizeitangebote mit mehreren Gefangenen gemeinsam, intellektuelle Anreize und Gruppengebete". Das Pentagon schlug außerdem vor, alle Verhöre von Insassen auf Video aufzuzeichnen. Diese Art der Dokumentation solle eine menschenwürdige Behandlung der Gefangenen nachprüfbar garantieren und die Verantwortung für die Gefangenen unterstreichen.

Das Pentagon forderte außerdem eine schnelle Entscheidung über die 17 wahrscheinlich unschuldig in Guantanamo einsitzenden chinesischen Uiguren, deren ungeklärtes Schicksal sich demoralisierend auf die Lagerinsassen auswirke. Für die 17 Männer müsse rasch ein Aufenthaltsort gefunden werden. Ihr Fall "lässt Spannungen und Unsicherheit innerhalb der Lagerbevölkerung ansteigen". Die US-Regierung hat den Vorwurf des Terrorismus gegen die Angehörigen des muslimischen Volks der Uiguren längst fallen gelassen. Eine Rückkehr der Männer nach China gilt aber als zu gefährlich, weil ihnen dort Folter drohen könnte. Ein Drittland hat sich bislang noch nicht zur Aufnahme bereitgefunden. Die Gruppe war im Jahr 2001 in Afghanistan aufgegriffen und an die USA ausgeliefert worden.

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