"Ich war nur Chauffeur!" An dieser Behauptung hält der verhaftete Verdächtige, Otto Kaltenbrunner, bisher in jedem Verhör fest. Doch mittlerweile steht fest, dass er mehrmals beim späteren Mordopfer aufgetaucht war. Inzwischen mehren sich auch die Zweifel, dass Kaltenbrunner alias Edilov R. wirklich tschetschenisch-stämmig ist. "Er ist keiner von uns", sagen Exil-Tschetschenen, denen die "Krone"-Reporter das Foto zeigten.
"Wir haben Todesangst"
Umso mehr dürfte die in St. Pölten wohnende Familie des 41-Jährigen vor möglichen Racheakten zittern. Im Rahmen der Kronzeugenregelung sollen auch Kaltenbrunners Frau, seine drei Kinder und das Enkerl unter Polizeibewachung gestellt werden. Die 17-jährige Tochter zur "Krone": "Wir haben Todesangst."
Schon zuvor war der Familie des ermordeten Ex-Leibwächters Personenschutz gewährt worden. Denn der Vater des Getöteten hatte über seine Anwältin die Befürchtung geäußert, dass sein Name als Nächstes auf der Todesliste stehen könnte.
Präsident folterte persönlich
Das Mordopfer, Umar Israilov, sei als "junger 0815-Rebell" von Kräften des Tschetschenen-Präsidenten Ramzan Kadyrov festgenommen und misshandelt worden, sagt sein Vater Ali Israilov in seiner der Wiener Anwältin Nadja Lorenz übermittelten Stellungnahme.
"Ramzan Kadyrov persönlich hat ihm Elektroschocks versetzt und ihn geschlagen", beschuldigt er den Präsidenten in der "öffentlichen Erklärung". Stattgefunden hätten die Folterungen im April 2003 während einer dreimonatigen Gefangenschaft in Kadyrovs Stützpunkt in Tsentoroi. Danach habe man seinen Sohn gezwungen, den Sicherheitskräften des jetzigen Staatsoberhauptes beizutreten. Als Mitarbeiter der Leibwache des Politikers habe er mehrere Monate zahlreiche Verbrechen miterlebt. "Außergerichtliche Hinrichtungen, systematischer Folter, Fälle von 'Verschwindenlassen' von Menschen und illegale Haft" seien unter dem Kommando des Präsidenten durchgeführt und veranlasst worden.
Die Erklärung im Wortlaut findest du in der Infobox!
Im Herbst 2004 sei Umar nach Europa geflüchtet und von Polen schlussendlich nach Österreich gelangt. Seit dem Jahr 2007 und den öffentlichen Anschuldigungen gegen den Präsidenten hätten dort die Probleme begonnen. Zuletzt habe er im Dezember 2008 in der Nähe seiner Wohnung wiederholt einen tschetschenischen Mann bemerkt, erklärte Ali. "Er fühlte sich bedroht, informierte die Polizei und fragte wiederholt um Hilfe."
Todesliste mit 300 Personen
Laut der Erklärung des Vaters des Ermordeten soll Russland zuvor versucht haben, Umar per internationalem Haftbefehl zur Rückkehr nach Tschetschenien zu zwingen. 2007 habe der Staat seinem Sohn Terrorismus, illegale Bewaffnung und einen Mordanschlag auf einen Sicherheitsmann vorgeworfen und die Auslieferung verlangt. Österreich habe diese wegen fehlender Fakten verweigert. Im Juni 2008 sei sein Sohn wiederum von einem unbekannten Tschetschenen bedroht worden - er solle die Anzeige zurückziehen und heimkehren. Dabei habe der Mann eine Liste mit 300 Personen, die "sterben müssen", erwähnt, 50 davon würden sich in Österreich befinden. Diese Liste habe er in Kadyrovs Residenz gesehen.
Umar Israilov hatte laut seinem Vater Kontakte zu einer Widerstandsbewegung in seinem Heimatdorf Mesker-Yurt. Nach der Flucht seines Sohnes nach Europa seien auch er, seine Frau sowie die Schwägerin von Umar festgenommen und gefoltert worden, berichtete Ali Israilov. "Kadyrovs Männer brachen mir meine Rippen und schlugen mir Zähne aus." Auch Morddrohungen wurden ausgesprochen, im Oktober 2004 sei das Martyrium durch die Flucht nach Europa beendet worden. Er und Umar hätten nach Gerechtigkeit gesucht, heißt es in der Erklärung des Vaters. Es sei schwer für ihn, den "Mangel an Reaktion" der österreichischen Polizei vor dem Mord zu akzeptierten.
Opfer hatte schon im Sommer Polizei alarmiert
Am Donnerstag hatten sich die Wiener Polizei und das Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung zu dem Mord geäußert: Die Indizien, dass es sich um eine politisch motivierte Tat an dem Ex-Leibwächter des tschetschenischen Präsidenten Ramzan Kadyrov handelt, könnten demnach korrekt sein. "Beweisen können wir allerdings nichts", hieß es. Der am Dienstag verhaftete Verdächtige mit dem Decknamen "Otto Kaltenbrunner" – er soll den Fluchtwagen gefahren haben – schweigt noch immer. Bekannt wurde auch, dass das Opfer bereits im Sommer 2008 erstmals die Polizei alarmiert hat. Umar Israilovs Flüchtlingsbetreuer sagte, dass sich der 26-Jährige bedroht fühlte.
Der Flüchtlingsbetreuer hat im Dezember erstmals mit dem LTV Kontakt aufgenommen. Laut Walter Nevoral vom LVT gab es diesbezüglich E-Mail-Verkehr. Darin sei eine "vage Bedrohungslage" angedeutet worden, die aus damaliger Sicht keine Sofortmaßnahmen notwendig machte. "Das Opfer hat sich beobachtet gefühlt, das war's", meinte Gerhard Jarosch, Sprecher der Staatsanwaltschaft Wien. Aber bereits im Sommer 2008 hatte sich der Ermordete an die Behörden gewendet: Er sei genötigt worden, seine Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zurückzuziehen. In der Klage war es um Folter in Tschetschenien gegangen.
Anders als sonst bei Mordfällen üblich, werden die Ermittlungen in dem Fall federführend vom LVT und nicht vom Landeskriminalamt geführt. Das liege daran, dass "der Mord in Zusammenhang mit seinen früheren politischen Tätigkeiten stehen könnte", begründete Nevoral. Um welche Aktivitäten es sich dabei handle, wurde nicht verraten. Seit Dienstag seien bereits Hausdurchsuchungen durchgeführt worden.
"Kaltenbrunner" bislang schweigsam
Der im Zusammenhang mit dem Mord festgenommene Landsmann des Opfers (kleines Foto) leugnet indes jede Beteiligung an der Tat. Der 41-jährige, als Asylwerber in St. Pölten wohnhafte Mann ist nach Angaben von Ermittlern der Zulassungsbesitzer jenes Autos, mit dem die beiden unbekannten Täter nach dem Mord geflüchtet sind. Für seinen Decknamen "Otto Kaltenbrunner" soll sich der Tschetschene den Nachnamen des Nazi-Schergen Ernst Kaltenbrunner als Vorbild genommen haben. Er sitzt in U-Haft.
Umar Israilov wurde laut Polizei von drei Projektilen getroffen, und zwar im Oberkörper, an einem Arm und an einem Bein. Die zunächst von einer Polizeisprecherin getätigte Aussage, die Täter hätten ihm in den Kopf geschossen, wurde widerrufen. Nach der Tat in Floridsdorf versuchten die Täter, Autos aufzuhalten, und stiegen schließlich in einen grünen Volvo (Foto), der später auf einem Parkplatz in Wien entdeckt wurde. Polizisten wurden auf das Fahrzeug aufmerksam, da es nachlässig eingeparkt war und trotz Kälte ein Seitenfenster offenstand. Über den Volvo kamen die Ermittler auf den verdächtigen 41-Jährigen.
Von den mutmaßlichen Geheimdienst-Killern ist wenig bekannt: Die beiden Flüchtigen seien zwischen 20 und 30 Jahre alt, 1,75 bis 1,80 Meter groß und von durchtrainierter Statur. Einer war mit einer Tarnjacke, dunkler Hose, weißen Sportschuhen und einer Wollhaube bekleidet. Er hatte eine auffällige Narbe oder ein Muttermal oder eine Blutkruste am Nasenrücken, berichteten Zeugen. Der zweite Täter trug eine dunkle Jacke, eine graue Mehrzweckhose und ebenfalls eine Wollhaube. Ob er bewaffnet war oder nicht, darüber waren sich die Zeugen nicht einig, merkte Nevoral an.
Folgenden Fragenkatalog hat die Polizei veröffentlicht:
Hinweise werden erbeten an den Journaldienst des Landesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung Wien unter der Tel.: 01-31310-74035 und auf Wunsch vertraulich behandelt.
Witwe: "Ramzan Kadyrov hat die Killer geschickt"
Die 28-jährige Frau des Mordopfers zeigte sich am Mittwoch im Interview mit der "Krone" überzeugt, dass ihr Mann von Profi-Killern getötet wurde: "Der tschetschenische Präsident Ramzan Kadyrov hat sie geschickt. Mein Mann war ein überzeugter Rebell und wurde im Jahr 2003 von der Regierung festgenommen. Nach drei Monaten Haft musste er die Seite wechseln. Sonst wäre seine ganze Familie ermordet worden", erzählt die im 9. Monat schwangere Mutter von drei Kindern. "Er arbeitete einen Monat als Kommandant für Kadyrov, danach flüchteten wir aus Tschetschenien."
Neun Monate war die junge Familie in Polen untergetaucht, ehe sie nach Österreich kam. Im Sommer tauchte dann plötzlich ein Mann auf. "Er sagte, er käme im Auftrag Kadyrovs und wolle uns auf friedliche Weise zurückholen. Er drohte uns mit einem Unglück, wenn wir nicht mitkommen würden." Nun hat auch 28-Jährige Todesangst: "Ich weiß nicht, wo ich und meine Kinder nun sicher sind."
Geheimdienst-Kreise: Opfer galt als gefährlicher "Verräter"
Geheimdienst-Kreise erzählen eine etwas andere Geschichte als die junge Witwe: Demnach soll Umar Israilov jahrelang persönlicher Leibwächter von Ramzan Kadyrov gewesen sein. Nach einem Streit wurde er von diesem gefoltert - was auch der tatsächliche Grund für seine Flucht gewesen sein dürfte. Die Nachbarn erinnerten sich beim "Krone"-Lokalaugenschein: "Herr Israilov sprach hochdeutsch und wirkte sehr gebildet. Es gab jedoch offenbar öfter Streit mit seiner Partnerin und den Kindern. Abends traf er sich immer mit dunklen Gestalten. Es wirkte, als wäre er ständig auf der Flucht." Nachdem Israilov es sich zum Ziel gesetzt hatte, mit seinem Insiderwissen gegen Kadyrov vorzugehen, wurde er offenbar zum Problem - und zur freigegebenen Zielscheibe.
Wien als Agentendrehscheibe - Nachrichtendienste sehr aktiv
Wegen seiner zentralen geographischen Lage in Europa war Wien nicht nur Kulisse für den Film „Der dritte Mann“, sondern ist auch heute noch für Geheimdienste interessant. Besonders aktiv in Sachen Aufklärung und Spionagetätigkeit zeigt sich nach wie vor Russland. In dem aktuellen Lagebericht des österreichischen Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) heißt es jedenfalls wörtlich: „Es konnte keine Reduktion der an diplomatischen Vertretungen und internationalen Organisationen stationierten Nachrichtendienstoffiziere festgestellt werden...“
Von M. Perry, Ch. Budin und Klaus Loibnegger, Kronen Zeitung und krone.at
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