Meckern erlaubt

Kubas “Granma” druckt kritische Leserbriefe ab

Ausland
26.05.2008 10:09
Seit Raúl Castro in Kuba Präsident ist, hat er den freien Verkauf von Handys und Computern gestattet, Todesurteile in Haftstrafen umgewandelt und jetzt erlaubt er auch noch das Meckern. In der "Granma", dem Zentralorgan der Kommunistischen Partei, werden seit einigen Wochen jeden Freitag kritische Leserbriefe abgedruckt, in denen es um zu niedrige Löhne, den Mangel an Eigenverantwortung in den Betrieben oder Missstände wie Korruption geht. Die Kritik soll dem Zweck dienen, den Sozialismus zu stärken und zu vervollkommnen. Doch auch wenn die Beschwerden gefiltert werden, gibt die "Granma"-Rubrik einen Eindruck vom wirklichen Leben in Kuba.

Immer wieder angeprangert wird in den Leserbriefen die "Gleichmacherei" in Kuba, wo ein Arzt kaum mehr als ein Arbeiter verdient. "Gleichheit, nicht Gleichmacherei" wird gefordert, und P. Núñez kritisiert, dass durch die Gleichmacherei "das Richtige und das Falsche unterschiedslos belohnt" wird. R. Avila findet es ärgerlich, "dass das einzige Land, in dem man ohne zu arbeiten leben kann, Kuba ist". M. Angel prognostiziert einen Teufelskreis: "Das niedrige Gehalt führt dazu, dass einige nicht motiviert sind zu arbeiten; und weil sie nicht arbeiten, produzieren sie nichts; und das führt dazu, dass sie keine guten Gehälter bekommen können."

Leserbriefe sollen alarmieren
Drei bis vier Leser können in jeder Freitagsausgabe der "Granma", in der auch Revolutionsführer Fidel Castro seine Kolumnen veröffentlicht, zu Wort kommen. Die Briefe werden mit dem Anfangsbuchstaben des Vornamens und dem ersten der beiden Nachnamen gekennzeichnet. Der Abdruck der kritischen Briefe wurde Mitte März eingeführt, "um zu alarmieren und Alternativen vorzuschlagen", wie das Parteiblatt schreibt. Eine vollständige Ablehnung des Kommunismus hat hier keinen Platz.

Tiefgreifende Reformen gefordert
Allerdings werden in dem Forum Forderungen nach tiefgreifenden Reformen laut. "Unser Wirtschaftsmodell muss umgestaltet werden", schreibt I. Hernández. Um die sozialistischen Betriebe produktiver zu machen, müsse ihnen mehr Eigenverantwortung übertragen werden. A.R. Hernández warnt vor der "Neigung zu Gigantismus und übertriebener Zentralisierung". Statt von den Kubanern "mehr Arbeit" zu verlangen, müsse vielmehr über "bessere Arbeit" gesprochen werden. P. Núñez schreibt: "Die Aussage, wonach wir 'Herren über die Produktionsmittel' sind, ist eine abgenutzte Floskel".

Wunsch nach mehr Wohlstand
Tatsächlich ist der Wunsch nach mehr Wohlstand in dem Karibikstaat groß. Nachdem der 76-jährige Raúl Castro im Februar seinen Bruders Fidel an der Spitze des Staates endgültig ablöste, hob er zwar das Verkaufsverbot für Computer, Fernseher und andere Elektrogeräte auf und erlaubte auch den freien Verkauf von Handys. Viele Kubaner haben aber nicht genug Geld, um sich solche Konsumgüter zu leisten. Dieses Problem kann die Regierung in Havanna nicht völlig ignorieren. Sie kündigte Ende April zumindest eine Rentenerhöhung und höhere Löhne für Justizangestellte an.

Klagen über Korruption und Schwarzmarkt
Solange die Löhne jedoch niedrig sind und Waren zu teuer oder nicht zu bekommen, blühen in Kuba der Schwarzmarkt und die Korruption. L.E. Rodríguez beklagt in einem Leserbrief, die Korruption am Arbeitsplatz reiche "bis hin zu den einfachen Angestellten". A.S. González fragt sich in der "Granma", warum sie in der örtlichen Apotheke drei Monate lang keine Damenbinden bekam, "während es so viele Leute auf der Straße gibt, die sie ungestraft mit Gewinn verkaufen." Selbst die "Granma" trifft das Problem: Oft ist sie in den Zeitungsläden nicht zu finden und wird stattdessen schwarz zum fünffachen Preis verkauft. Der Stoff für die kritischen Leserbriefe wird also wohl nicht so bald ausgehen.

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