E10-Chaos bei uns?

Streit um Biosprit, während Benzin Rekordpreis erreicht

Österreich
08.03.2011 15:49
Nach drei Jahren vergeblicher Bemühungen gesteht die deutsche Bundesregierung dieser Tage nach und nach einen gesamtheitlichen Flop bei der Einführung des "Bio-Benzins" E10 ein. Nun gehen auch in Österreich die Wogen hoch. Hierzulande soll der mit zehn Prozent Bio-Ethanol vermischte Treibstoff nämlich ab Herbst 2012 verkauft werden. Die Diskussion beginnt zeitgleich mit einem neuen Spritpreis-Höchststand von 1,367 Euro für einen Liter Eurosuper.

In Deutschland weisen sich seit Tagen Politik, Minieralölindustrie und Autobauer gegenseitig die Schuld zu. Die Autofahrer tanken E10 nicht, weil die Ölmultis den Sprit als unliebsames Stiefkind behandeln und die Automobilindustrie keine ausreichenden Garantien abgegeben hat, dass ihre Motoren das mit Bio-Ethanol angereicherte Benzin vertragen, um nicht für etwaige Schäden haften zu müssen. Und über allem drüber rechnen Wissenschaftler und Umweltschützer vor, dass bei der Herstellung von Bio-Ethanol möglicherweise nicht wirklich dem Klimawandel entgegengewirkt wird (Stichwort: ökologischer Fußabdruck) und die Verwendung von Getreide zur Spritproduktion in anderen Teilen der Welt Hungersnöte und Umweltzerstörung (Stichwort: Regenwald) hervorrufen könnte.

Der deutsche Automobilclub ADAC warnt jedenfalls, dass für Motorschäden durch E10 der Fahrzeugbesitzer verantwortlich ist. Zudem müssten Autofahrer wegen der E10-Verunsicherung mit einem höheren Benzinpreis rechnen. Hintergrund ist, dass in vielen Raffinerien wegen der Kaufzurückhaltung Kosten entstehen - etwa für Lagerhaltung und Überstunden der Mitarbeiter. Die dürften letztlich auf die Autofahrer abgewälzt werden, vermutet der ADAC.

Debatte beginnt mit neuem Spritpreis-Höchststand
Die österreichische Bundesregierung demonstrierte am Dienstag Uneinigkeit. Während Umwelt- und Landwirtschaftsminister Nikolaus Berlakovich vor dem Ministerrat betonte, dass E10 wie geplant ab Herbst 2012 in Österreich am Markt sein soll, bremst die SPÖ fürs Erste. Infrastrukturministerin Doris Bures meinte, aus ihrer Sicht gehörten Lebensmittel auf den Teller und nicht in den Tank. Ein klares "Nein" zu E10 kam von Bures aber auch nicht.

Gleichzeitig mit Beginn der Diskussion erklomm der Spritpreis am Dienstag einen historischen Höchststand mit durchschnittlich 1,367 Euro pro Liter Eurosuper. Der bisherige Höchststand lag bei 1,359 Euro und wurde am 2. Juli 2008 erreicht. Autofahrer berichteten laut ARBÖ, dass auf Tankstellen an der Südautobahn teilweise satte 1,499 Euro für den Liter Super verlangt wurden. Deutlich angezogen haben auch die Preis für Diesel. Diese erreichten am Dienstag mit 1,346 Euro pro Liter den höchsten Stand seit dem 6. August 2008. Grund für die aktuellen Preisexplosionen sind allerdings die Demokratie-Proteste in Nordafrika, vor allem die Unruhen in Libyen.

Berlakovich pocht auf Selbstversorgung
Der Umweltminister redete die Probleme in Deutschland am Dienstag klein. Dort habe es nur Kommunikationsmängel gegeben, die man in Österreich vermeiden werde. Klargestellt wurde von ihm, dass er nicht an Biotreibstoffe denke, deren Basis zum Beispiel in Brasilien angebaut werde: "Biosprit aus Österreich: Ja, Biosprit aus dem Urwald: Nein." Allerdings kommen die Rohstoffe beim Biodiesel, von dem Österreich derzeit rund sieben Prozent zumischt, nur zu einem Viertel aus Österreich. Bei Ethanol hingegen soll Österreich Selbstversorger sein, heißt es aus der Biosprit-Branche.

Aber auch hier sprechen die derzeitigen Fakten gegen die Strategie: Vom größten Ethanol-Produzenten Agrana hieß es am Dienstag, dass 60 Prozent des Maises und Weizens aus Österreich kommen und 40 Prozent aus dem Ausland, primär aus den osteuropäischen Nachbarstaaten. Gleichzeitig exportiert die Agrana Ethanol nach Deutschland oder Rumänien.

Aus der Diskussion heraushalten will sich Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner. Er habe zwar in Österreich bei der Bevölkerung keine Verunsicherung bemerkt. Wenn es aber Probleme mit E10 gebe, werde man sich diese eben ansehen. Naturgemäß verteidigt wurde der Sprit vom Acker von den Landwirten, die sich von der Bioenergie ein zusätzliches Standbein erhoffen.

Autofahrerclubs rechnen mit höheren Spritpreisen
Die Zeche dafür könnten aber die Autofahrer zahlen, denen höhere Spritpreise drohen, warnt der ÖAMTC. Denn der Biosprit ist teurer als raffiniertes Öl. Der ÖAMTC appelliert daher, parallel zur Einführung von E10 neue Steuermodelle anzubieten. Eine Stützung müsste aber in dem Fall erst recht wieder der Steuerzahler berappen. Der ARBÖ wiederum warnt vor Plänen des Umweltministeriums, dass nach der Einführung von E10 in Österreich der herkömmliche Eurosuper verschwinden soll. Wer dann nicht E10 tanken kann oder will, muss zum teureren Super Plus greifen (was in Deutschland einigerorts der Fall war). Der ÖAMTC regt in diesem Zusammenhang an, dass es künftig E5 (Benzin mit fünf Prozent Bio-Ethanol, das als unbedenklich für Motoren gilt) und E10 geben solle, der ARBÖ spricht sich massiv für eine Verschiebung der E10-Einführung aus. Immerhin würden 300.000 bis 500.000 Autos in Österreich E10 nicht vertragen.

Während sich Infrastrukturministerin Bures am Dienstag bedeckt gab, war die SPÖ in der Vergangenheit mehrfach gegen den steigenden Biospritanteil zu Felde gezogen. Sie verwies unter anderem darauf, dass der vermehrte Anbau von Energiepflanzen die Ausbreitung genetisch veränderter Arten voran treibe. Im Gegensatz dazu wollte der jetzige Vizekanzler und damalige Landwirtschaftsminister Josef Pröll E10 bereits im Jahr 2010 einführen.

VCÖ: "Biofuels" klimaschädlicher als normale Treibstoffe
Einmal mehr hat sich auch der Verkehrsclub Österreich kritisch zum Sprit vom Acker geäußert. Studien zeigten, dass "Biofuels" in ihrer Gesamtbilanz sogar klimaschädlicher sein können als herkömmliche Treibstoffe. Der VCÖ betont, dass die Reduktion des Verbrauchs wichtiger sei als der Ersatz durch alternative Treibstoffe. Eine Studie des Instituts für Europäische Umweltpolitik zeige, dass für die Spritherstellung eine zusätzliche Anbaufläche für Energiepflanzen im Ausmaß von 41.000 bis 69.000 Quadratkilometer nötig wäre.

"Die Studie hat auch den Anteil Österreichs untersucht: Damit Österreich die Biosprit-Ziele erreicht, sind zusätzlich 104.000 Tonnen Bioethanol und Biodiesel nötig. Laut Studie wird dadurch das Klima mit 300.000 bis 500.000 Tonnen CO2 belastet. Und: Es sind 280 bis 480 Quadratkilometer an zusätzlicher Anbaufläche nötig. Die Gesamtfläche Wiens beträgt 414 Quadratkilometer", rechnete der VCÖ am Dienstag in einer Aussendung vor.

Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.



Kostenlose Spiele