KGB-Affäre

Litauen beschimpft Österreich als ‘beschissenes Land’

Österreich
18.07.2011 10:32
Der Fall rund um den in Wien verhafteten Ex-KGB-Mann Michail G. (Bild) weitet sich zur Staatsaffäre aus. Denn Österreich ließ den Russen, der in litauischen Augen ein Kriegsverbrecher ist, trotz eines europäischen Haftbefehls wieder laufen. Die Politik des baltischen Staates reagierte am Sonntag mit harscher Kritik an unserem Land. Und auch die Presse teilte aus: "Beschissenes kleines Österreich", polterte das Online-Portal delfi.lt.

G. wird von Litauen vorgeworfen, die "Blutnacht von Wilna" verschuldet zu haben, bei der es am 13. Jänner 1991 14 Tote und rund 1.000 Verletzte gab. Damals hatte sich das Land gerade von Russland losgesagt, pro-russische Kräfte starteten aber einen Putsch, der von den Sowjet-Truppen unterstützt wurde. Junge Aktivisten versuchten daraufhin, den Fernsehturm der Stadt gegen die russische Spezialeinheit "Alpha" zu verteidigen, deren Kommandant G. war.

Litauen erachtet G. wegen seiner Taten als Kriegsverbrecher, Österreich bezeichnete die Vorwürfe im Haftbefehl allerdings als "zu vage" und ließ den Ex-KGBler wieder frei. Heftige Kritik kommt deswegen seitens hochrangiger Politiker sowie litauischer Justizvertreter. Und auch die Intelligenz des Landes teilt via Presse kräftig aus, wie beispielsweise der Politologe und Kommentator Vladimiras Laucius am Sonntag auf dem Online-Portal delfi.lt: "Wer erinnert sich nicht daran, als ein ehemaliger französischer Botschafter Israel als 'beschissenes kleines Land' bezeichnete. Das waren verabscheuungswürdige und unfaire Worte. Wenn aber heute jemand Österreich derart charakterisierte, wäre das weder allzu verabscheuungswürdig oder zu unfair. Nach dieser Sauerei ist dies sogar ziemlich zutreffend", heißt es in dem Kommentar.

"Schändliche Servilität gegenüber Russland"
Laucius bezieht sich in seinem Artikel auf eine kolportierte Aussage des ehemaligen französischen Botschafters in London, Daniel Bernard. Dieser hatte im Dezember 2001 weltweit für Empörung gesorgt, als er Israel in privatem Rahmen als "shitty little country that threatens world peace" (... Land, das den Weltfrieden bedroht) bezeichnete. Laucius wirft den österreichischen Behörden weiters "rechtlichen Nihilismus", Respektlosigkeit gegenüber den Opfern der Ereignisse vom 13. Jänner 1991 sowie "schändliche Servilität gegenüber Russland" vor.

Auch die litauische Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite sparte nicht mit Kritik an Österreich. Sie nannte die Vorgangsweise der Wiener Behörden "eine politisch nicht zu rechtfertigende Handlung, die die Rechtszusammenarbeit der EU-Mitgliederstaaten kompromittiert". Ministerpräsident Andrius Kubilius sagte, dass Österreich die "europäische Solidarität" in einem Fall von so großer Bedeutung für Litauen missachte.

Generalstaatsanwalt: "Österreich verletzt die Regeln"
Zuvor hatte bereits die litauische Generalstaatsanwaltschaft in einer Aussendung die Vorgangsweise der österreichischen Justiz als "grobe Verletzung von EU-Regeln" bezeichnet. Der gesuchte Russe in Österreich sei weniger als 24 Stunden lang in Haft gewesen, obwohl ihn die österreichischen Behörden nach Meinung der litauischen Justiz aufgrund des europäischen Haftbefehls bis zu 48 Stunden lang hätten festhalten können.

Das Wiener Außenministerium rechtfertigte sich damit, dass die Freilassung "rein rechtliche" Gründe gehabt habe und nicht als politischer Akt zu verstehen sei. Die litauische Staatsanwaltschaft behauptet dagegen, sie habe die belastenden Ermittlungsergebnisse den österreichischen Behörden übermittelt. Des Weiteren hätten die litauischen Behörden kein offizielles Ersuchen des österreichischen Justizministeriums über zusätzlich erforderliche Informationen erhalten.

Spindelegger sieht kein Vergehen Österreichs
Außenminister Michael Spindelegger sieht wie seine Beamten kein Vergehen seitens Österreichs. Vor Beginn des EU-Außenministertreffens in Brüssel am Montag sagte der ÖVP-Mann, dass er die Verstimmungen bereits mit seinem litauischen Amtskollegen Audronius Azubalis erörtert habe. Auf die Frage, ob er bei dem Treffen am Montag nochmals mit Azubalis reden werde, antwortete Spindelegger: "Wenn er noch einmal will. Wir haben das schon erörtert. Wir können das gerne noch mal tun."

Beim ersten Gespräch habe der litauische Außenminister die Sachlage "zur Kenntnis genommen". Spindelegger betonte: "Wir sind ein Rechtsstaat, das ist klar, mit einer unabhängigen Justiz, die ihre Entscheidungen trifft. Es gab ein Ansuchen aus Litauen, wir haben da eine Frist gesetzt, wo die Unterlagen mit ganz konkreten Angaben geliefert werden sollten. Diese Frist ist verstrichen, ohne dass die Angaben konkret waren. Daraufhin hat die Staatsanwaltschaft entschieden, keinen Haftantrag zu stellen."

Es handle sich letztlich um Entscheidungen der österreichischen Justiz, die "selbstverständlich zur Kenntnis zu nehmen sind. So wie wir auch litauische Justizentscheidungen zur Kenntnis nehmen müssen". Ob die Sache damit bereinigt sei? Spindelegger: "Das werden wir sehen. Aus meiner Sicht ist dann, wenn die Justiz entschieden hat, ein Faktum gesetzt, dem nichts hinzuzufügen ist."

Österreichs Botschafter einbestellt
Für Litauen ist die Causa aber offenbar noch lange nicht erledigt. Wegen der behaupteten Verletzung von EU-Recht will das Land "in Kürze" die europäische Justizbehörde Eurojust einschalten. Bereits am Montagmorgen hatte Litauen seinen Botschafter in Österreich zu Konsultationen nach Wilna einberufen. Außerdem soll im Laufe des Tages Österreichs Botschafter in Wilna eine offizielle Protestnote entgegennehmen. In dem Schreiben verlangt Litauen von Österreich "eine plausible Erklärung" für die rasche Freilassung des Ex-KGB-Offiziers. Die Einberufung des Botschafters zu Konsultationen stellt im diplomatischen Verkehr die zweitschärfste Sanktion nach dem Abzug des Botschafters dar.

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