Anti-Strahlen-Einheit

ABC-Abwehr – ein Besuch beim Clan der Furchtlosen

Österreich
16.03.2011 07:23
Das Thema Strahlenschutz ist mit den AKW-Störfällen in Japan aktueller denn je. Droht Gefahr durch atomare oder auch biologische und chemische Stoffe, so tritt in Österreich die ABC-Abwehrtruppe des Bundesheeres auf den Plan. "Wir haben Detektoren, Dekontaminationseinheiten, wir können Wasser aufbereiten und in verstrahltem Gebiet Verschüttete bergen", erklärt Hauptmann Michael Eichhübl beim Lokalaugenschein am Dienstag in der ABC-Abwehrschule in Korneuburg, Niederösterreich. "Binnen zehn Stunden ist ein Team im Ernstfall einsatzbereit und kann sich 14 Tage im Krisengebiet autark versorgen."

Gearbeitet wird bei der ABC-Abwehrtruppe in 18 Kilo schweren Gummi-Anzügen mit Atemschutzmasken, Stiefeln und Handschuhen. "Es ist gewöhnungsbedürftig, aber nicht schwer", berichtet Offiziersstellvertreter Andreas Hämmerl. Die Anzüge verhindern, dass Radioaktivität eingeatmet oder geschluckt wird. "Sie halten die schädlichen Partikel ab, die Strahlung selbst kann kein Anzug abschirmen", ergänzt Eichhübl. Daher werde laufend gemessen und das Personal nach einer bestimmten Strahlenbeanspruchung ausgetauscht. An jedem Anzug befindet sich ein Dosimeter, das genau zeigt, wie viel Strahlung man bereits abbekommen hat.

Zehn Millisievert kann man sich laut Eichhübl zum Beispiel zehn Stunden lang aussetzen, bevor eine Belastung von 100 Millisievert erreicht ist. Erst ab diesen Wert seien die ersten Veränderungen im Körper durch Radioaktivität überhaupt nachweisbar. "Ab so einem Wert wird erst einmal ein Schutzanzug angezogen", schmunzelt ein erfahrener Abwehrspezialist.

Wöchentlich werden "Verseuchte" dekontaminiert
Bei der Kontamination verstrahlter Personen geht die Abwehrtruppe akribisch vor. Die "Verseuchten" werden über eine abgezäunte Schleuse zu Zelten geleitet: Zuerst werden die Schuhe gründlich gereinigt, dann müssen sich die Personen ausziehen und die kontaminierte Kleidung abgeben. In einer Dusche mit bis zu 37 Grad heißem Wasser und Reinigungsmittel werden die Menschen einzeln abgeduscht, bis der Geigerzähler keine zu hohe Radioaktivität mehr zeigt. "Die Japaner machen das genauso", erklärt Hämmerl. Zum Abschluss bekommen die Gereinigten Ersatzkleidung, die OP-Mänteln und -Hauben sowie Badeschlapfen, gleicht.

Das Prozedere wird laut Hämmerl wöchentlich geübt, in Tschechien beispielsweise auch mit chemischen Kampfstoffen. Nicht nur Personen, auch verstrahlte Zivil- und Militärfahrzeuge werden dabei mit Geigerzähler Zentimeter für Zentimeter untersucht und auf einer Plane mit 80 Grad heißem Wasser und Reinigungsmittel gesäubert, bis keine zu hohe Strahlung mehr messbar ist. Erst dann dürfen sie von der radioaktiven "heißen" in die "reine" Zone.

Zu den Aufgaben der Spezialisten gehört auch die Reinigung von verseuchtem Wasser. Radioaktive Partikel werden mit Filtern ausgesondert. Nur wenn das Wasser selbst radioaktiv ist - zum Beispiel nachdem es im Reaktor war -, sei dies durch die verfügbaren Maßnahmen nicht möglich. Weiters verfügt das ABC-Team über Dingo-Wagen mit Wettermasten, um eine Prognose aus dem Inneren vornehmen zu können und Sanitäts-Fahrzeuge mit abgetrennten Patientenkapsel für verstrahlte Personen.

Offizier: Unterschiede zwischen Japan und Tschernobyl
Als Anti-Atom-Einheit sind die ABC-Soldaten auch Experten in Bezug auf atomare Notlagen. Bei der Situation im japanischen Atomkraftwerk Fukushima sieht zum Beispiel ABC-Abwehroffizier Otto Strele grundlegende Unterschiede zwischen den Störfällen in Japan und dem Atomunglück in Tschernobyl vor 25 Jahren, das auch Österreich betraf. Da das Kraftwerk in Japan heruntergefahren wurde, sei - selbst wenn eine Kernschmelze eintritt - weniger Nuklid-Inventar innerhalb der Reaktorschutzhülle, das austreten könne, erklärt der Offizier. Bei vollem Betrieb - wie in Tschernobyl - wären im Inneren "Unmengen" an spaltbarem Material und künstlichen Elementen in Wasser und Luft.

Hinzu komme, dass es bei Tschernobyl keine Reaktor-Schutzhülle gegeben habe und das Material nach einer Explosion im Reaktor bis in die Stratosphäre transportiert wurde. Verschärft worden sei der Störfall vor 25 Jahren durch 250 Tonnen brennbares Graphit, was Temperaturen um 3.000 Grad und eine mit Nukliden angereicherte Rauchwolke bedingt habe. "Das geringere Übel ist das in Japan. Aber eine Gefährdung der Menschen ist gegeben", so Strele.

Bei einem Austritt von Radioaktivität würden sämtliche Gebäude, Autos und Gegenstände verstrahlt. "Alle Oberflächen werden kontaminiert, das kann man sich ein bisschen wie Staub vorstellen", erklärt Strele. Eine hohe Konzentration sammle sich vor allem in Filtersystemen - in Motoren, Zügen, Klimaanlagen von Krankenhäusern - an. Notwendig sei daher eine umfassende Dekontamination durch Filtertausch und das Abwaschen mit einer bestimmten Lösung aus Lauge und Komplexbinder. Danach müsse man das radioaktiv verseuchte Abwasser entsorgen. Beim Menschen funktioniere das "Abwaschen" von Strahlung nur bedingt.

Viele Soldaten würden freiwillig nach Japan
Zurückschrecken würde die österreichische ABC-Abwehrtruppe vor einem - wohlgemerkt freiwilligen - Einsatz im japanischen Krisengebiet nicht: "Am Wochenende hätten sich schon sehr viele gemeldet", erklärt Hämmerl. "Angst" vor radioaktiver Verstrahlung hat er nicht: "Von meiner Seite in keiner Weise", betont der Stabsunteroffizier. "Wir trainieren das und sind dafür ausgebildet."

Tatsächlich zum Einsatz kommen wird das ABC-Team aber höchstwahrscheinlich nicht: "Es gibt kein Ansuchen und es ist auch keines zu erwarten", so Michael Schuster, Kommandant der ABC-Abwehrschule. "Japan als hoch technisierter Staat will der Bevölkerung zeigen, dass sie das im Griff haben." Zudem drohe das Risiko des "Katastrophentourismus", wenn man zu viele Helfer ins Land lasse, die man dann nicht mehr koordinieren könne. Japan habe gezielt seine nächsten politischen Partner - die USA, Australien und Russland - um Hilfe gebeten.

Grundsätzlich könnte es einen Einsatz der österreichischen Truppe nur dann geben, wenn Japan ein Ansuchen stellt, erklärt Schuster. Danach entscheidet der ministerielle Krisenstab in Österreich. Stimmt dieser zu, muss noch der Hauptausschuss im Parlament seine Genehmigung erteilten. Obwohl es anders klingt, gehe das "sehr, sehr schnell". Ist ein Einsatz in Österreich notwendig, sei der Entscheidungsweg freilich kürzer und erfolge über ein Ansuchen der jeweiligen Landesregierung, die Unterstützung fordere.

Hundert "ABCler" ständig in Bereitschaft
Insgesamt sind in Österreich fünf ABC-Abwehreinheiten mit je 175 Mann in Korneuburg, Mautern bei Krems, Linz-Hörsching, Graz und Absam eingerichtet. Sie verfügen über zwölf spezielle Dingo-Fahrzeuge, jeweils über eine Trinkwasseraufbereitung, einen Dekontaminations-, einen Aufklärungs- sowie einen Rette- und Bergezug. Ein Präsenzdienst mit 100 Mitarbeitern ist permanent verfügbar, im Krisenfall wird das volle Potenzial der Einheiten je nach Bedarf ausgeschöpft, die Teams werden entsprechend zusammengestellt.

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