"Keine Suizidgefahr"
Bombenbastler-Tod: Justiz weist Schuld von sich
Der Suizid des syrischen Bombenbastlers Jaber al-Bakr in der Justizvollzugsanstalt Leipzig schlägt hohe Wellen. Sein Verteidiger sowie Politiker aller Parteien gaben sich geschockt und entsetzt darüber, dass sich der 22-Jährige das Leben nehmen konnte, obwohl seine Selbstmordgefährdung laut dem Anwalt bekannt gewesen und er im Gefängnis unter ständiger Beobachtung gestanden war. Aufgrund des öffentlichen Drucks legte die sächsische Justiz am Donnerstagvormittag in einer Pressekonferenz ihre Sicht der Dinge dar und wies jede Schuld von sich: Demnach habe es im Vorfeld "keine Hinweise auf eine unmittelbare Suizidgefahr" gegeben.
Der Leiter der Justizvollzugsanstalt, Rolf Jacob, sagte vor den Journalisten in Dresden, Bakr sei in seiner Gefängniszelle am Mittwoch zunächst alle 15 Minuten kontrolliert worden. Am Nachmittag sei dann eine Expertenrunde zu dem Ergebnis gekommen, dass man die Kontrollen in einem Zeitabstand von 30 Minuten machen könne. Eine Psychologin habe nach einem Gespräch mit Bakr "keine akute Selbstmordgefahr" festgestellt. Die Frau habe allerdings keine Erfahrung mit Terroristen besessen, gestand Jacob ein. Ein Justizvollzugsbeamter habe dann bei einer Kontrolle festgestellt, dass sich Bakr selbst getötet habe. Die Reanimation sei erfolglos geblieben.
"Haben uns an alle Vorschriften gehalten"
Weiters sagte er, im Nachhinein könne man selbstkritisch fragen: "Waren wir vielleicht doch ein bisschen zu gutgläubig? Haben wir dem äußeren Anschein zu viel Bedeutung beigemessen?" Den Terrorverdächtigen in einem besonders geschützten Haftraum unterzubringen, sei aber schlicht nicht für notwendig gehalten worden. Zudem gebe es in dem Gefängnis keine videoüberwachten Räume, dies sei für Untersuchungshafträume in Sachsen gesetzlich ausgeschlossen. In Summe habe man sich "jedenfalls an alle Vorschriften gehalten".
Terrorverdächtiger erhängte sich mit Hemd an Gitter
Auch Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow sagte, es sei "keine akute Selbstmordgefahr des Beschuldigten festgestellt" worden. Bakr habe sich am Abend in seiner Zelle mit seinem Hemd an einem Gitter erhängt. Der Selbstmord des Terrorverdächtigen hätte nicht geschehen dürfen, "es ist aber leider geschehen". Nach jetzigem Stand habe man alles getan, um eine Selbsttötung zu verhindern. Ein Fremdverschulden werde weitestgehend ausgeschlossen, die Leiche werde nun obduziert. Rücktrittsaufforderungen lehnte Gemkow ab: "Dafür gibt es im Moment keine Veranlassung."
Nach dem Suizid werde allen Hinweisen auf mögliches Fremdverschulden nachgegangen, sagte Sachsens Generalstaatsanwalt Klaus Fleischmann. Die Situation in der Zelle sei nach der Selbsttötung und durch die Reanimationsversuche "nicht mehr ganz hundertprozentig zu klären" gewesen.
Video: IS-Bombenbastler konnte sich in Zelle erhängen
"Absolut fassungslos": Verteidiger sieht "Justizskandal"
Bakrs Pflichtverteidiger Alexander Hübner hatte am Mittwochabend scharfe Kritik an der sächsischen Justiz geübt: "Ich bin wahnsinnig schockiert und absolut fassungslos, dass so etwas passieren kann", sagte er "Focus Online". Er sprach von einem "Justizskandal". Hübner sagte, den Verantwortlichen der Justizvollzugsanstalt sei das Suizidrisiko des Beschuldigten bekannt gewesen, es sei auch im Protokoll vermerkt worden.
"Er hatte bereits Lampen zerschlagen und an Steckdosen manipuliert", so Hübner. Noch am Mittwochnachmittag habe ihm der stellvertretende JVA-Leiter telefonisch versichert, dass der in Einzelhaft sitzende Bakr "ständig beobachtet" werde. Hübner sagte weiters, dass sich der Terrorverdächtige seit seiner Festnahme im Hungerstreik befunden und seit Sonntag nichts gegessen und getrunken gehabt habe.
Politiker entsetzt, de Maiziere fordert "umfassende Aufklärung"
Bereits vor der Pressekonferenz am Donnerstag hatte der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere gesagt: "Das, was da passiert ist, verlangt nun wirklich nach schneller und umfassender Aufklärung durch die örtlichen Justizbehörden." Der Tod des Syrers erschwere natürlich die Ermittlungen nach den möglichen sonstigen Beteiligten und Hintermännern der Anschlagspläne. Der Suizid sei ein "Rückschlag im Anti-Terror-Kampf".
Auch andere deutsche Politiker äußerten sich entsetzt über den Vorfall. "Was ist da los?", schrieb Familienministerin Manuela Schwesig auf Twitter. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Volker Beck twitterte: "Wie konnte das geschehen?"
Die Ermittlungen in dem Fall gehen unterdessen auch nach dem Tod Bakrs weiter. Das Verfahren gegen den 22-Jährigen habe sich zwar erledigt, die Untersuchungen zu dem durch den anerkannten Flüchtling geplanten Sprengstoffanschlag auf einen Berliner Flughafen würden aber in gleicher Intensität weitergeführt, um die Hintergründe aufzuklären, sagte der Sprecher der Bundesanwaltschaft, Stefan Biehl, am Donnerstag in Karlsruhe.
Eine Chronologie der Ereignisse rund um den Fall Bakr sehen Sie hier im Video:
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