Zum dritten Mal ist Julia Koschitz als forensische Psychiaterin Dr. Karla Eckhardt in der Krimireihe „Im Schatten der Angst“ zu sehen (19. Oktober, 20.15 Uhr, ORF 2). In „Der Skorpion“ glaubt sie beim psychisch kranken und inhaftierten Mörder Anton Lisky (Stefan Gorski) an eine zweite Chance. Daraus ergibt sich ein stargespicktes Kammerspiel, in dem der 34-jährige Wiener Gorski sein volles Repertoire präsentiert. Wir haben ihn zum Gespräch gebeten.
„Krone“: Herr Gorski, in „Im Schatten der Angst: Der Skorpion“ spielen Sie die Rolle des Anton Lisky, ein psychisch kranker Mörder, der nach seiner Verurteilung Reue zeigt und am Weg der Besserung ist. Wie sind Sie an diese zerrissene Rolle herangegangen?
Stefan Gorski: Ich arbeite immer mit einem Coach, um so in die Tiefen des fiktiven Charakters zu gehen. Ansonsten war ganz viel Recherche dabe gerade was paranoide Schizophrenie angeht. Meist arbeite ich aber relativ instinktiv, ohne großes Vorhaben. Das Drehbuch war sehr gut geschrieben und die Figur ist komplex und vielseitig. Insofern hatte ich das Gefühl, dass sich alles wie von selbst ergeben hat. Viele Entscheidungen sind dann auch erst am Set entstanden. Bestimmte Haltungen oder Emotionen ergeben sich ganz banal aus dem Spiel.
Der Film beginnt damit, dass sich Lisky im Blutrausch befindet und man ihn sofort als eine Bestie erkennt. Hatten Sie dafür jemanden aus der Filmhistorie im Kopf? Mir fiel instinktiv Robert De Niro in „Kap der Angst“ ein.
Nein, ich habe mich nicht an bereits bestehenden Filmmaterialien orientiert, es passierte alles ganz instinktiv. Die Situation war im Drehbuch schon relativ gut beschrieben und ich habe dann aus meinem Inneren geschöpft. Wenn Sie die Szene an etwas erinnert, freut mich die Assoziation. Sie war aber nicht beabsichtigt.
Lisky ist ein sehr ambivalenter Charakter, der sich im Laufe des Films wandelt oder zumindest wandeln möchte. Welche Art der Person haben Sie denn lieber gespielt?
An der Figur ist eben gerade die Vielschichtigkeit so spannend. Die verschiedenen Facetten, die jeder Mensch in sich trägt und die durch äußere Umstände herausgekitzelt werden. Am Ende fand ich vor allem den Entwicklungsbogen der Figur sehr spannend. Es gibt nicht so oft Figuren, die sich innerhalb eines Drehbuchs so stark verändern. Für einen Schauspieler ist das Gold, weil man eine Reise von A bis Z antritt und noch alle Etappen dazwischen beschreitet. Das Wort „Bösewicht“ ist so eine Sache. Jeder Mensch trägt Gutes, aber auch Böses in sich. Die Umstände und die Entscheidungen, die wir treffen, machen uns zu dem, wer wir sind. Kein Mensch ist von Natur aus böse. Wenn Menschen Schlechtes tun oder falsche Entscheidungen treffen, labeln wir sie als böse – das ist eine moralische Frage. Es hat jedenfalls Spaß gemacht, diese Figur zu spielen.
In vielen Bereichen ist der Film auch eine Art Kammerspiel zwischen Ihnen als Lisky und seiner Psychiaterin Dr. Karla Eckart, die von Julia Koschitz verkörpert wird. Wie wichtig ist für so ein Spiel eine gute Chemie zwischen zwei Schauspielern?
Eine gute Chemie ist jedenfalls von Vorteil, weil wir aktiv miteinander agieren und im besten Fall immer etwas aus uns herauskitzeln. In dieser Konstellation war es wichtig, dass Lisky jemanden in seinem Leben hat, der an ihn glaubt und ihm mit echter Sympathie entgegentritt. Das ist im Endeffekt der Schlüssel dafür, dass er überhaupt die Bereitschaft entwickelt, sich zum Besseren zu wenden. Es ist essenziell, dass man im Leben Menschen hat, die an einen glauben. Sich die Dinge mit sich selbst auszumachen, ist eine schwierige Angelegenheit.
In manchen Szenen wirkt Lisky besonders charmant und zuweilen etwas manipulativ. Zieht er die Psychiaterin nicht doch auch geschickt auf seine Seite?
Ich habe das nicht so gewertet, finde es aber spannend, dass Sie das so sehen. Er versucht sie weder durch Scham, noch durch andere Techniken zu manipulieren – ganz im Gegenteil. Es war Absicht ihn so zu spielen, dass er sich ihr gegenüber sehr stur und wie ein Kind zeigen darf. So kann er diese Form von kindlicher Sensibilität erstmals in seinem Leben sichtbar machen – das ist auch die größte Diskrepanz zu der Version, die er am Anfang des Films darstellt. Da hat er „Schwäche“ und Vulnerabilität nicht zugelassen, was eine Folge von Missmut und fehlendem Vertrauen in die Menschen in seiner Umgebung ist. Wenn man die Metapher des Films heranzieht, traut er sich bei Dr. Eckart vom Skorpion zum Frosch zu werden. Er hält sich für einen Skorpion, womit einhergeht, dass er niemandem vertraut. Es ist ein Schutzmechanismus, weil er von niemandem übergangen werden möchte. Um mit Menschen in Verbindung treten zu können, muss er den Schutzpanzer aber ablegen und das birgt immer ein gewisses Risiko. Dann setzen wir uns Konflikten und Schmerzen aus und dazu ist er bei Dr. Eckart das erste Mal bereit.
Am Anfang sitzt Lisky Dr. Eckart gegenüber und erklärt seine riesengroße Skorpion-Tätowierung auf seinem Rücken mit: „Ich kann nicht anders. Ich bin, was ich bin.“ Konterkariert er damit nicht die Reue, die er ausstrahlt?
Richtig, aber er sucht nach einer Veränderung. Eine entscheidende Frage des Films ist, ob sich ein Mensch ändern kann. Ich persönlich glaube daran, aber man muss den Willen dazu haben. Diesen Willen zeigt er der Psychiaterin, indem er vermittelt, dass er sich vorstellen kann, vom Skorpion zum Frosch zu werden. Das ist der Schlüssel zur Veränderung der Seele.
Darin schwingt die Botschaft mit, dass sich jeder Mensch eine zweite Chance verdient hat. Egal, was er gemacht hat?
Wir müssen auf jeden Fall die Bereitschaft haben, im Menschen auch das Gute zu sehen. Wir alle machen Fehler und kommen da nicht drumherum, lernen aber auch aus Fehlern. Die Frage ist natürlich, mit welchem Ausmaß und welcher Quantität an Fehlern wir als Gesellschaft wie umgehen können. Ich finde, dass jeder eine zweite Chance verdient hat und man einem Menschen auch einen gewissen Vertrauensvorschuss geben muss.
Das ist wahrscheinlich besonders schwierig, wenn Lisky als Mörder mit der Mutter seines Opfers konfrontiert wird. Wie soll sie vergeben können?
Das erfordert wahnsinnige Größe. Ich kann mir nichts Schlimmeres auf der Welt vorstellen, als das eigene Kind zu verlieren – und dann auch noch unter solchen Bedingungen. Wenn eine Mutter in so einer Situation dazu fähig ist, zu vergeben, dann zeugt das von absoluter Größe.
Sie haben jahrelang sehr viel Erfahrung im Theater gesammelt. Ist das hilfreich, wenn man eine mimisch und gestisch so starke Rolle für das Fernsehen spielt?
Man lernt weder im Theater noch im Film besser oder intensiver zu spielen. Es sind am Ende zwei Formen derselben Sache. Man verwendet unterschiedliche äußere Mittel, um sich auszudrücken, aber ich kann keinen direkten Vergleich ziehen.
Wir alle wissen, dass die Menschen und Fernsehzuseher derart „derangierte“, gebrochene und ambivalente Charaktere wie jenen des Anton Lisky lieben. Können Sie die Liebe zu solchen Figuren nachvollziehen?
Durchaus. Der Grund, warum wir Film und Theater schauen ist, dass diese beiden Welten nicht ohne Konflikt funktionieren. Wir wollen sehen, wie Charaktere in Konfliktsituationen geraten und Wege suchen, um sich davon freizumachen, diese Konflikte zu lösen. Ohne Konflikt braucht man nicht zuzuschauen. Ein so „derangierter“ Charakter wie Lisky hat nicht nur mit seiner Umwelt wahnsinnig viele Konflikte, sondern auch mit sich selbst. Das erinnert die Menschen sicher auch an die eigenen, die sie auszutragen haben. Wir schauen solchen Figuren wahrscheinlich auch deshalb so gerne zu, weil wir instinktiv und unterbewusst darauf hoffen, dass sie uns ein bisschen Orientierung dahingehend geben, wie wir unsere eigenen Konflikte lösen können.
Nehmen Sie von der Personifizierung eines solchen Charakters längerfristig etwas mit, auch wenn der sehr weit vom eigenen Leben entfernt ist?
Man taucht in Themen ein, mit denen man sonst wahrscheinlich nicht so schnell in Berührung kommen würde. Aber das ist ja das Tolle an diesem Beruf, dass man im Gegensatz zu einem normalen Bürojob nicht mit der Buchhaltung in Berührung kommt, sondern neue Welten auskundschaftet. Ansonsten hinterfragt man viel und stellt sich selbst immer gegenüber. Wie würde ich mit diesem Konflikt umgehen? Allein schon die Tatsache, sich mit dieser Frage zu konfrontieren, kann sehr gewinnbringend für einen selbst sein.
Bei Ihnen folgt derzeit Highlight auf Highlight. Wie fühlt sich diese rasant aufsteigende Karrierekurve der letzten Jahre an?
Momentan denke ich gar nicht daran, weil ich in diesem Jahr so wahnsinnig viel gearbeitet habe. Ich freue mich darüber, das Glück und Privileg zu haben, so viel arbeiten zu dürfen und so viele spannende Projekte und Rollen angehen zu können, die mich interessieren. Ob das ein Karriereaufstieg ist, weiß ich nicht. Das würde ich mich so nicht zu sagen trauen, aber ich freue mich darüber, dass ich so viele verschiedene Dinge tun darf. Für mich ist die Film- und Fernsehwelt eine tolle Spielwiese und es freut mich, dass man mir gerne bei der Arbeit zusieht und teilnimmt an dem, was ich durch meine Rollen zu erzählen habe.
Welche Art von Charakter würden Sie ad hoc gerne personifizieren? Gibt es eine bestimmte Figur, die Sie besonders reizen würde?
Ich habe da nichts Spezifisches im Kopf, aber insgesamt so vieles noch nicht gemacht. Sehr interessiert wäre ich an einer äußeren Veränderung. Irgendetwas mit sehr viel Fremdanteil. Ich bin allgemein wahnsinnig offen für die verschiedensten Rollen und Möglichkeiten – wenn man so will, bin ich sehr eklektisch unterwegs. Wobei: Ich würde sehr gerne mal ein Biopic drehen und darin jemand anderes darstellen. Sozusagen „Malen nach Zahlen“, weil ich die Kunst der Imitation sehr schätze.
Nach welchen Kriterien entscheiden Sie, welche Rollen Ihnen zusagen?
Konfliktreiche Charaktere sind sehr wichtig. Die Konflikte darin können von A bis Z variieren, aber es darf nicht zu glattgebügelt und gewöhnlich sein.
Sie haben gesagt, dass Sie die Figur des Anton Lisky sehr intuitiv gespielt haben – sagen Sie auch andere Rollen genauso intuitiv zu?
Meistens schon. Entweder spricht eine Rolle zu mir oder nicht. Ich kann das gar nicht wirklich erklären, denn ich folge grundsätzlich einem Grundinteresse. Wenn ich dann merke, dass mich eine Figur oder ein Projekt interessiert, dann reizt das meine Neugierde. Dann bin ich viel eher gewillt, ja zu sagen – natürlich dann, wenn es meine Kapazitäten es mir erlauben.
Wo wird man Sie in absehbarer Zeit noch sehen können und welche Filme, Serien, Projekte stehen an?
Ich habe in diesem Jahr einige Projekte gedreht, die wahrscheinlich alle 2026 erscheinen werden. So gegen Februar oder März wird ein Disney+-Projekt namens „Vienna Game“ zu streamen sein – ich würde allen Zuschauern raten, diese Sendung unter die Lupe zu nehmen. Das wird ein sehr spannendes Unterhaltungsformat, so eine Mischung aus „Fluch der Karibik“ und „Bridget Jones“. Ich habe auch in der zweiten Staffel von „Braunschlag“ mitgespielt und bekleide dort die Rolle eines FPÖ-Politikers und Umut Dağ, der Regisseur von „Im Schatten der Angst – Der Skorpion“, hat noch einen Film mit dem Arbeitstitel „Gnadenlos“ gedreht. Da spiele ich einen übergriffigen Wärter in einem Frauengefängnis. Zudem haben gerade die Dreharbeiten zum letzten Wiener „Tatort“ mit Harald Krassnitzer und Adele Neuhauser begonnen, an dem ich ebenfalls beteiligt bin. Ab November spiele ich dann eine Hauptrolle in einer Serie, die in Lettland gedreht wird, aber darüber darf ich noch nicht viel sagen.
Viel Ruhe bleibt Ihnen nach einem anstrengenden Drehjahr nicht ...
Nein, aber die Arbeit an den Filmen und Projekten macht mir gerade unheimlich viel Spaß, deshalb freue ich mich auch, dass so viele schöne Rollen auf mich zukommen.
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