Die Suizidrate lag in der Steiermark im letzten Jahr auf einem historischen Tiefstand. Doch jeder Todesfall ist einer zu viel. Was Experten sagen.
Jeden zweiten Tag nimmt sich in der Steiermark statistisch betrachtet ein Mensch das Leben. Jährlich gibt es rund dreimal so viele Todesfälle durch Suizid als Tote im Straßenverkehr. Die Steiermark hat seit Jahren nach Kärnten die höchste Suizidrate in Österreich. Dennoch ist Selbsttötung nach wie vor ein heikles Tabu-Thema, Betroffene und Angehörige sind häufig stigmatisiert.
Niedrigste Zahl seit Aufzeichnungsbeginn
Für das letzte Jahr weist die Statistik allerdings eine – den Umständen entsprechend – positive Entwicklung auf: 2024 gab es in der Steiermark 184 Suizide (zuzüglich 14 assistierter Suizide), das ist die niedrigste Zahl seit Beginn der Erfassung durch die Statistik Austria im Jahr 1970. „Das sind tatsächlich um einige weniger als im Zehn-Jahres-Schnitt, wo wir von rund 220 Suiziden pro Jahr sprechen“, sagt René Stefitz, klinischer Psychologe und stellvertretender Leiter von GO-ON Suizidprävention Steiermark.
Daraus ließen sich aber noch keine konkreten Schlüsse ziehen. „Es ist das erste Mal im Zehn-Jahresvergleich, dass es einen derart starken Rückgang gegeben hat. Das auf eine einzelne Ursache zurückzuführen, wäre nicht seriös. Das Suizidgeschehen ist komplex“, so Stefitz.
Männer unterscheiden sich im Hilfe-Suchverhalten deutlich von Frauen. Sie bitten seltener und wenn, dann später um Hilfe.
Sigrid Krisper, Leiterin Suizid-Präventionsstelle GO-ON
Was sich aber schon in den letzten Jahren abgezeichnet habe, ist, dass Selbsttötungen gerade in jenen steirischen Regionen am stärksten zurückgegangen sind, in denen die Raten besonders hoch sind. Das sind meist ländliche Gegenden, insbesondere in obersteirischen Bezirken.
Ältere Menschen am Land sind besonders gefährdet
Die Ursachen sind vielschichtig, als zentral nennt René Stefitz zunächst ein durchschnittlich höheres Lebensalter in entlegenen Regionen. „Weltweit gilt: Je älter die Leute sind, desto höher ist die Suizidrate.“ Hinzu komme, dass es im ländlichen Raum weniger Angebote für psychosoziale Versorgung gibt als in urbanen Zentren. „Und was oft unterschätzt wird: Das Stigma, das Tabu rund um psychische Erkrankungen und Suizidalität ist am Land viel stärker als in der anonymen Großstadt“, erklärt der Psychologe.
Seit 1. Jänner 2022 gibt es in Österreich für unheilbar erkrankte Personen die Möglichkeit des assistierten Suizids. Die rechtlichen Voraussetzungen sind im Sterbeverfügungsgesetz geregelt. 2024 gab es in der Steiermark 14 solcher Fälle.
Wie auch bei den aktuellen steirischen Zahlen wieder deutlich wird, nehmen sich viel mehr Männer als Frauen das Leben. „Männer unterscheiden sich im Hilfesuch-Verhalten ganz deutlich von Frauen“, erklärt Sigrid Krisper, Leiterin der Präventionsstelle. „Sie bitten seltener und wenn, dann viel später um Hilfe. Sie flüchten sich zum Beispiel auch eher in Alkohol.“
Selbsttötungen sind seit den 80er-Jahren stark rückläufig. Das habe laut den Experten mehrere Gründe: viel besser ausgebaute psychosoziale Versorgung, gestiegene Aufklärung rund um psychische Erkrankungen oder Verschärfung von Waffengesetzen. Weiterhin hoch dürfte die Dunkelziffer an Suizidversuchen sein. Dazu gibt es keine lückenlose Erhebungsmethodik, sondern lediglich Hochrechnungen und Schätzungen. Anhand von Studien im deutschsprachigen Raum geht man aber davon aus, dass die Anzahl der Versuche jene von vollendeten Suiziden um das Zehn- bis 30-Fache übersteigt.
Die wichtigste Aufgabe der steirischen Suizid-Präventionsstelle GO-ON ist Wissensvermittlung rund um Themen wie Krisen, psychische Erkrankungen oder Resilienz. „Wir versuchen, das Thema Suizid zu enttabuisieren, entstigmatisieren und besprechbarer zu machen“, erklärt Projektleiterin Sigrid Krisper. 436 Veranstaltungen wie Workshops und Vorträge wurden im letzten Jahr in der ganzen Steiermark abgehalten. „Wir führen keine Interventionen durch, sehr wohl aber weisen wir auf Hilfsangebote hin und vermitteln.“
Wenn man bemerke, dass sich jemand sozial isoliere, Hobbys nicht mehr nachgehe oder gar konkrete Äußerungen zu Suizidgedanken mache, solle man das unbedingt ansprechen: „Das ist ganz ein zentrales Thema“, so Krisper.
Wichtige Anlaufstellen sind unter anderem:
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