Heute Abend (ORF 2, 20.15 Uhr) startet der Dauerbrenner „Liebesg‘schichten & Heiratssachen“ in seine 29. Staffel. Seit 2020 ist Nina Horowitz am Ruder. Im großen „Krone“-Interview spricht sie über Empathie, Ghosting, Langlebigkeit und elektronische Fußfesseln.
„Krone“: Frau Horowitz, bei der Recherche zu „Liebesg’schichten und Heiratssachen“ treffen Sie gewiss auf Leute, deren Ansichten und Meinungen Sie nicht teilen. Können Sie eine emotionale Distanz zu den Bewerbern verhindern?
Nina Horowitz: Bevor ich zu den Leuten hinfahre, telefoniere ich mit ihnen und erfahre dadurch schon, wie sie ticken. Natürlich ist eine Zusammenarbeit mit einem Menschen, den ich mag, schöner, als wenn mir jemand gegenübersitzt, der ganz anders denkt. Wenn man gute Interviews machen will, muss man empathisch sein und dann übernimmt man die Emotion des Gegenübers. Wenn ich jemanden interviewe, der sehr traurig ist, nehme ich das eine Zeit lang mit. Ich kann und will mich nicht davon distanzieren. Wenn ich das Gefühl habe, jemand hat kein ernsthaftes Interesse, dann kommt er nicht in die Sendung. Am Ende bleiben bei der Staffel 54 Singles aus vielen Bewerberinnen und Bewerbern übrig.
Am Ende des Tages wertet man aber immer – bewusst oder unbewusst.
Mit dem Werten passe ich sehr auf. Wertet man, wird das Interview nicht gut. Es ist ein bisschen wie Psychotherapie, wo man auch zuhört und auslotet, aber nicht wertet. Natürlich mache ich mir meine Gedanken und wenn jemand sagt, er war schon dreimal verheiratet, frage ich nach, warum dem so ist. Das kann traurig, spannend oder überraschend sein. Ich lerne bei jedem Interview etwas Neues dazu – aber nicht über die Liebe, sondern über die Menschen. Jeder Mensch hat eine Geschichte zu erzählen, hat Regisseur Jean-Luc Godard einmal gesagt. Es geht darum, Vertrauen zu schaffen, damit mir die Menschen ihre Geschichten erzählen.
Ist das Geheimnis, dass man als Fragestellende selbst immer authentisch und echt bleibt? Kann man dann leichter etwas rauskriegen, als wenn man selbst ganz anders tickt?
Ich bin sicher nicht perfekt. Schon dadurch nehme ich den Menschen die Scheu, das ist ein bisschen ein Talent von mir. Zwischendurch mache ich kleine Witze und wenn wir uns mal verreden, ist es auch egal. Wir sind ja nicht in der „ZiB 2“-Liveschaltung. Meist sind die Menschen fünf bis zehn Minuten nervös und dann läuft alles ganz locker.
Die Menschen bewerben sich aufgrund ihrer Einsamkeit für die Sendung. Muss man besonders darauf achten, Empathie nicht mit Mitleid zu verwechseln?
Da muss ich widersprechen, denn es gibt ganz verschiedene Gründe, warum jemand bei der Sendung mitmacht. Nicht alle Menschen sind einsam. Manche sind erst seit kurzem getrennt, andere wiederum hätten die Sendung gerne als große Plattform. Da muss man aber aufpassen. Habe ich das Gefühl, dass sich jemand nur vermarkten oder narzisstisch präsentieren will, wird er erst gar nicht interviewt. Es gibt auch wahnsinnig lustige Singles, wie den niederösterreichischen Bestatter Klaus in der ersten Folge, der sagt, mit seinem strammen Hintern könnte er eine Nuss aufknacken. Bei so einer Sendung geht es immer um die richtige Mischung, damit man viele verschiedene Typen abbilden kann.
Doch selbst der lustige Klaus wird gegen die Einsamkeit ankämpfen, sonst würde er sich auf diesem Weg keine Partnerin suchen.
Einsamkeit ist eine Frage der Definition. Klaus ist allein, aber sicher nicht einsam. Aber natürlich ist Einsamkeit ein großes Problem. Erst unlängst kam eine Studie raus, die besagt, dass Einsamkeit körperlich krank macht und fast jeder sechste Mensch ist davon betroffen. Ich bin nicht katholischer als der Papst und sage, in meiner Sendung können nur jene mitmachen, die bis zur Goldenen Hochzeit kommen wollen. Aber natürlich versuche ich, so viele Menschen wie möglich zusammenzubringen. Unsere Quote ist ziemlich gut, weil sich rund ein Drittel der Menschen bislang verliebt haben.
Für das Fernsehen braucht man taugliche Typen. Das müssen Leute sein, die Witz und Charme versprühen, gewisse Spleens haben oder anderweitig auffallen. Nur dann bleiben die Menschen dran.
Es geht nicht um Spleens oder das Schräge. Schräg sind wir alle. Es geht darum, jemanden so darzustellen, wie er ist und nicht so, wie man ihn gerne hätte, damit die Einschaltquote hoch ist. Da spreche ich vielleicht manchmal auch gegen meine eigene Sendung.
Die Sendung soll eine geografische und demografische Breite des Landes abbilden. Findet man nicht vor allem junge Leute extrem schwer?
Insgesamt werden wir in der Sendung jünger und das ist gut so. Von den 54 Singles sind in der aktuellen Staffel elf unter 49 Jahre alt. Wir haben heuer etwa eine junge, 33-jährige Dame, die möchte noch Kinder, andere einen gemütlichen gemeinsamen Lebensabend miteinander verbringen. In einer früheren Staffel habe schon mal einen 19-Jährigen verkuppelt, meine älteste Kandidatin war 94. Am Ende wollen wir alle Altersgruppen ansprechen.
Halten Sie nach dem Dreh mit einigen ihrer Bewerber noch länger Kontakt?
Ich habe ein zweites Handy für solche Fälle. Manche schicken mir Fotos aus Mauritius oder googeln meinen Geburtstag und beglückwünschen mich dann immer. Im November kommt die Sendung mit der Bilanz, in der wir zeigen können, was sich seither alles getan hat. Man kann nie vorhersehen, was passiert, aber ich bin froh darüber, dass der Kontakt mit den Singles so gut hält.
Sie haben die Sendung 2020 übernommen, wo die Digitalisierungswelle schon landläufig war. Sind Apps wie Tinder und Co. nicht längst harte Konkurrenz für die „Liebesg’schichten und Heiratssachen“?
Zu mir kommen die Menschen, die mit Online-Dating nichts zu tun haben wollen, weil es ihnen am Nerv geht. Das Wort „Ghosting“ ist da ein großes Thema oder Fake-Profile, auf die viele reinfallen. Bei unserer Sendung machen viele Menschen mit und der Radius an Leuten, die einen dann im Fernsehen sehen, ist viel größer. Wir haben zum Glück herrliche Geschichten und gute Quoten. Die Wienerin Sylvia hatte zum Beispiel ein Date, bei dem ihr ein Mann erzählt hat, dass er bald eine elektronische Fußfessel bekommt. Das war ihr wirklich zuviel und sie hat dem Online-Dating den Rücken gekehrt und sich bei uns beworben. So ein Interview ist dann göttlich. Online-Dating kann sicher auch funktionieren, aber diese Geschichten höre ich dann ja nicht.
Mittlerweile haben auch viele andere Sender ein ähnliches Konzept in ihr Programm genommen. Fühlt sich das nach Konkurrenz an?
Nein, das nehme ich nicht so wahr. Es läuft gut und wir suchen auch schon wieder neue Singles für unsere Jubiläumsstaffel nächstes Jahr.
Hält sich die Menge der Bewerber über die letzten Jahre oder ist da schon ein Rückgang zu verzeichnen?
Das ist ganz unterschiedlich. Wenn die Sendung gerade in aller Munde ist, kommen natürlich mehr Bewerbungen rein als sonst.
Die Spannungsbögen sind interessant. In Folge eins haben Sie einen Kandidaten, der lange Zeit ganz durchschnittlich wirkt und erst am Ende von seiner Vorliebe für den Swingerclub erzählt.
Ich habe in dieser Staffel überhaupt viel dazu gelernt. Etwa über die Unterschiede zwischen erotischen Bars und Swingerclubs. Im Swingerclub muss man sich bei der Garderobe schon bis zur Unterhose ausziehen. Sex ist in dieser Staffel ein wichtiges Thema. Wenn mir jemand von seinen Sexerlebnissen erzählt, interessiert mich aber eher das Drumherum. Etwa: Was gibt es im Swingerclub zum Essen.
Wohin die Reise geht, merkt man erst, wenn man die Bewerber kennt.
Die meisten Menschen haben spannende Geschichten zu erzählen, man muss sie nur finden.
Dass jemand ein Fernsehteam und fremde Menschen in seine Wohnung lässt, ist etwas ganz Besonderes …
Das ist es in der Tat, denn man zeigt damit ganz deutlich, wie man lebt und ist. Manche würden gerne im Kaffeehaus drehen, aber denen müssen wir leider absagen. So läuft das bei uns nicht. Dass man in die Wohnungen der Menschen darf, ist Kern der Sendung. Für mich ist es längst normal, in fremde Wohnungen zu gehen. Ich starte jetzt in mein siebentes Jahr und mir war noch keine Sekunde langweilig.
Was nehmen Sie von den Menschen für sich selbst mit? Wie hat sich Ihr Zugang zu den Leuten verändert?
Ich mache Interviews seit ich 19 bin und habe daher mittlerweile eine gute Menschenkenntnis. Aber natürlich: Ich habe das Glück, meinen Job unheimlich gerne zu machen und immer etwas dazuzulernen.
Gerade bei einem heiklen Thema wie der Liebe basiert alles sehr stark auf Vertrauen – und die müssen Sie den Menschen vermitteln.
Im allerersten Jahr war das für mich schwieriger als jetzt, weil das Publikum noch nicht meine Machart kannte. Nach der ersten Staffel haben die Menschen gemerkt, dass ich ihnen nichts Böses will.
Elizabeth T. Spira hat die Sendung mehr als 20 Jahre lang gestaltet. Sie mussten sich natürlich emanzipieren und eine eigene Schiene finden, sonst hätten die Menschen das wahrscheinlich nicht akzeptiert.
Ich bin ein ganz anderer Typ, so hat sich das ganz natürlich ergeben. Da musste ich mich nicht verstellen oder verändern.
Viele Geschichten sind sehr berührend. Müssen Sie manchmal aufpassen, nicht zu empathisch zu sein und die Dinge nicht zu nah an sich heranzulassen?
Empathie wegzulassen, ist mir gar nicht möglich. Ich leide oft mit, wenn ich eine tragische Geschichte höre. Würde ich abstumpfen, sollte ich den Job wechseln.
Wird die Suche nach einem Gegenüber eigentlich in unseren Zeiten immer wichtiger, wo gefühlt alle Monate neue Kriege ausbrechen und die Welt in allen Bereichen zerrüttet scheint?
Als ich die erste Staffel gedreht habe, brach Corona aus. In der Hochzeit der Pandemie konnte man nicht rausgehen, aber ich konnte mich daheim mit den Interviews der Menschen befassen, die auf der Suche nach der Liebe sind. Auch die heutige Zeit ist herausfordernd - das sind natürlich viele lieber zu zweit als alleine.
Hat sich das Bild der Liebessuchenden nach dem idealen Gegenüber über die Jahre verändert?
Ich glaube, viele Dinge verändern sich gar nicht. Bei Frauen kommt nach wie vor häufig vor, dass der Mann größer sein soll. Da geht es wohl um die klassische Schulter zum Anlehnen. Bei Männern wiederum kommt recht oft, dass die Frau sehr schlank sein soll, auch wenn sie es selbst vielleicht gar nicht sind.
Heute beginnt die 29. Staffel, Sie arbeiten bereits fleißig an der 30. Staffel für 2026 - kaum ein Format ist derart langlebig und erfolgreich. Gibt es Dinge, die Sie trotzdem anders machen oder modernisieren würden? Kann man das Format zusätzlich stärker in die digitale Welt ziehen?
Der Zauber dieser Sendung ist, dass man sie nicht verändert und so nostalgisch lässt. Da spielt auch die Musik eine wichtige Rolle – wo kann man im Fernsehen sonst eine Minute lang einen Lionel-Richie-Song hören, ohne dass unterbrochen wird? Sehr viele junge Menschen sind mit den „Liebesg’schichten und Heiratssachen“ aufgewachsen. Ich war unlängst beim Optiker, da waren zwei fesche junge Leute, die mir sofort erzählten, dass sie die Sendung schon mit ihrer Oma gesehen haben und sich gerne an diese Zeit erinnern. Ich glaube, dieses Format kann noch weitere 30 Jahre so laufen.
Für 2026 bewerben
2026 feiert „Liebesg‘schichten und Heiratssachen“ den 30. Geburtstag. Unter liebesgschichten@orf.at können sich Interessierte bereits jetzt für die Jubiläumsstaffel bewerben.
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