Ein Museum tasten, hören, fühlen, riechen: Führungen für blinde und sehbehinderte Menschen machen das an mittlerweile allen 14 Standorten des Universalmuseum Joanneum möglich. Der Geist von Gründer Erzherzog Johann steht dafür Pate.
Die Oberfläche ist glatt, fast so als hätte man sie poliert. In den längsförmigen Löchern wachsen winzige, spitze Kristalle. Ein bisschen größer als eine Hand ist das Fossil, und 350 Millionen Jahre alt. „Fast alle Fossilien glitzern, weil sie Mineralien sind“, erklärt Vermittler Žiga Čerpes. „Man findet sie überall in der Steiermark.“
In der Naturkunde-Abteilung des Universalmuseum Joanneum gibt er Einblick in eine besondere Art der Führung: Sie richtet sich an Menschen, die blind oder sehbehindert sind. Seit rund drei Jahren arbeitet man an diesem Vermittlungsangebot, mittlerweile gibt es taktile Führungen an 14 Standorten (Schloss Stainz ist in Arbeit). „Das sollte selbstverständlich sein. Unser Gründer Erzherzog Johann hat das Museum als Volksbildungsanstalt gesehen – und das umfasst eben alle“, sagt Christian Pomberer, der den Fachbereich Inklusion leitet.
Keine Angst vorm Berühren
Entwickelt wurden alle taktilen Führungen gemeinsam mit Selbstvertretern – etwa dem Blinden- und Sehbehindertenverband Steiermark. Obmann Christian Schoier ertastet einen handflächengroßen Zahn eines prähistorischen Hais. „Der Hai war 20 Meter lang“, erklärt Žiga Čerpes. „Sein Gebiss war so groß, wie wenn man die Hände komplett ausstreckt.“
Schoier, der 30 Prozent Sehrest hat, lässt die Finger über das Exponat wandern, prägt sich Textur, Größe und Form ein. „Bei Blinden gibt es wenig bis gar keine Berührungsangst“, sagt Schoier. „Man sieht ja mit den Händen. Man erkundet die Welt.“ Besonders wichtig ist, dass Vermittler Čerpes so genau und bildlich wie möglich beschreibt. „Das ist auch die größte Herausforderung“, sagt er.
Tierische Nachbarn von flauschig bis drahtig
Weitaus empfindlicher als die hunderten Millionen Jahre alten Fossilien sind, man glaubt es kaum, die präparierten Rehböcke, Uhus und Füchse, die bei den Biowissenschaften hausen. Žiga Čerpes holt Felle und kleine Geweihe hervor. „Es ist flauschig, ein Wildtier, und lebt sogar im Stadtwald – was denkst du?“, sagt er und hält Christian Schoier einen Pelz hin. Er lässt die Hand über das Tierhaar gleiten, riecht daran. Auch die Sehenden sind ratlos. „Ein Fuchs!“, löst er das Rätsel auf.
Der Dachs ist drahtiger. Der Feldhase ist der Kuscheligste, die Stacheln des Igels betastet Schoier ganz vorsichtig. Dann hält Čerpes ihm eine Box unter die Nase: „Stinkt?“ – „Nein“, sagt Schoier. Es ist ein Modell von Igel-Kot.
Kleine Schritte sind entscheidend
Was Sehende sehen, kann für Blinde ein Rätsel sein. „Ein seit Geburt sehbehindertes Mädchen hat mich gefragt, wie groß denn ein Reh nun wirklich ist“, sagt Žiga Čerpes. „Ich hätte gerne ein lebensgroßes Modell zum Angreifen.“ Eine von vielen Ideen, die er in Zukunft hofft, realisieren zu können.
Oft machen aber schon kleine Aufmerksamkeiten ein Museum inklusiver: Tastmodelle mit Kontrasten und schwarze Schrift auf weißen Tafeln etwa, erklärt Pomberer. „Wir schulen nicht nur die Vermittler ein, sondern alle, sogar das Reinigungspersonal, damit niemand Dinge am taktilen Leitsystem abstellt. Kulturelle Bildung ist ein Menschenrecht.“
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