Album „Dark Matter“

Pearl Jam: Fokus auf die Kernkompetenzen gelenkt

Musik
18.04.2024 09:00

Die elektronischen Experimente auf dem letzten Langspieler „Gigaton“ haben die Fans nicht entzückt, dazu sagten Pearl Jam ihr geplantes Wiener Stadthallen-Konzert 2022 auch noch fünf nach zwölf ab. Vergeben und vergessen, denn mit „Dark Matter“ gelingt den Grunge-Legenden aus Seattle ein rockiges Comeback, das so nicht mehr zu erwarten war.

(Bild: kmm)

Der letzte Kontakt der Grunge-Veteranen Pearl Jam mit Österreich war ein wenig erbaulicher. Acht Jahre nach ihrem letzten Auftritt in der Wiener Stadthalle hätten Eddie Vedder und Co. im Juli 2022 an ebenjener Stelle wieder konzertieren sollen. Die Band war schon am Vortag in einem Wiener Innenstadthotel, das Konzert monatelang restlos ausverkauft und die ersten Fans aus unterschiedlichen europäischen Ländern machten sich am heißen Sommertag schon nachmittags dazu bereit, ihren Abend des Jahres zu verbringen. Die Hiobsbotschaft kam, als der Einlass in die Stadthalle bereits begann. Wegen anhaltender Stimmprobleme Vedders, die offenbar nicht einmal kurzfristig konsultierte Ärzte bereinigen konnten, wurde das Konzert in allerletzter Minute abgesagt. Sehr zum Ärger der Abertausenden von Fans, denn einen späteren Ersatztermin hat die Band nicht mehr eingelegt.

Der Schock sitzt noch tief
Knapp zwei Jahre später hat sich der Heilungsprozess längst vollzogen. Eddies Stimme ist wieder in alter Stärke zurück und die nicht unberechtigte Wut so mancher Fans hat sich gelegt. Shit Happens, könnte man zu dem Vorkommnis auch sagen. Machen wir einfach weiter. Pearl Jam selbst haben sich in den letzten Monaten mit zwei mehr als amtlichen Singles wieder ins Licht der Öffentlichkeit gerückt. „Dark Matter“ und das ruppige, fast an Post-Punk angelehnte „Running“ zeigten die Legenden aus Seattle jedenfalls so rockig und kompromisslos wie schon lange nicht mehr. Die Angst der treuen Anhänger vor neuen Songs war nicht gerade klein. Zu groß sitzt noch der Schock des unausgegorenen Vorgängers „Gigaton“ in den Knochen. Dort experimentierten Pearl Jam mit Synthie- und Elektronikelementen, verloren dabei ihre Rock’n’Roll-Kernkompetenz aus den Augen und schlingerten ziellos im Sumpf der Beliebigkeit.

Dass dieser Ausritt in Genre-fremde Gefilde doch nicht so feierlich aufgenommen wurde wie erhofft, hat Eddie Vedder glücklicherweise früh genug überrissen. Die Kurskorrektur auf „Dark Matter“, dem erst zwölften Studioalbum in 34 Bandjahren, kommt einer Rückbesinnung zu den eigenen Stärken gleich, was nicht nur langjährige Die-Hard-Fans erfreuen wird, sondern auch jene Zeitgenossen, die allzu gerne schnappatmend den endgültigen Untergang der Rockmusik in die virtuellen Äther dieser Welt krakeelen. Verantwortlich für die klangliche Kurskorrektur ist ausgerechnet Star-Produzent Andrew Watt, der sich mit Zusammenarbeiten von Justin Bieber und Dua Lipa über Metallica und Ozzy Osbourne bis hin zu Elton John, Lana Del Rey und Mick Jagger schon längst sein eigenes Denkmal gebaut hat. In den kalifornischen Shangri-La-Studios von Rauschebart Rick Rubin hatte Watt einen richtungsweisenden Gedanken, wie er dem britischen Musikmagazin „Mojo“ verriet: „Ich habe bei der Arbeit an die Wünsche der Fans gedacht.“

Nachlassverwaltung und Aufgabe
Solcherart Fan-Dienlichkeit versuchen Musiker mit einer selbstauferlegten künstlerischen Agenda üblicherweise tunlichst zu vermeiden, bei Pearl Jam geht’s neben der Verwaltung der Hits aus den großen Grunge-Jahren Anfang der 90er-Jahre aber auch darum, als letzte Vertreter ihrer Zunft den übriggebliebenen Hauch eines marodierenden Sub-Genres zu hecheln. Dementsprechend hat man den Hang zum Experimentieren völlig zur Seite gestellt und sich auf die Kernkompetenz der alten Tage fokussiert: dicke Riffs, Vedders glockenklare Stimme und einen gitarrenfördernden Songaufbau, der in seiner klassischen Herangehensweise jede Ära der Band abdecken könnte. Gut zu hören etwa im zurückgelehnten und ungemein intensiven „Wreckage“, das in seiner breitspurigen Machart nicht weit von den Stadionrockklassikern eines Bruce Springsteen entfernt ist. Beileibe nicht der schlechteste Vergleich, zumal Pearl Jam im internationalen Gesamtvergleich auch schon mit eineinhalb Füßen im Legendengenerationsgraben stehen.

Ihrem Alter entgegengesetzt, gehen die Bandmitglieder von Beginn an in die Vollen. „Scared Of Fear“ und „React, Respond“ halten sich nicht lange mit Selbstreflexion auf, sondern gehen direkt ins Eingemachte. Die sanften Seiten, für die die Amerikaner eigentlich bekannter sind, packt man erst etwas später aus. Das wundervolle durch und durch amerikanische „Won’t Tell“ oder das vergangenheitsbezogene „Something Special“ stechen dabei besonders heraus. Weniger gut fällt dafür das ausufernde „Upper Hand“ aus, das mit schrägen Gitarren der Red Hot Chili Peppers und einem sich aufbauschenden Finish à la „Freebird“ (Lynyrd Skynyrd) etwas zu viel in zu wenig Zeit möchte. In „Waiting For Stevie“ schwingt sich Vedder dann wieder in himmelhohe Vokalsphären, die ihm auch mit knapp 60 noch mühelos zu gelingen scheinen.

Release-Party am Badeschiff
Die wiederentdeckte Spielfreude und Rückbesinnung auf einen basischen Rocksound tun „Dark Matter“ aber sehr gut. So frisch und gleichzeitig nostalgisch haben Pearl Jam in diesem Jahrtausend noch selten geklungen. Zudem tappt das Quintett nicht in die Falle, sich irgendeinem Zeitgeist anbiedern zu wollen und sich dabei am Weg zu verfranzen. Da kann man auch mal verzeihen, dass mit Eddie Vedder in der späten Euphorie die Gäule durchgingen und er „Dark Matter“ als „bestes Album der Karriere“ bezeichnet. Das ist – bei allem gebührenden Respekt – bei einer Vita mit Alben wie „Ten“ (1991), „Vs.“ (1993) oder „Vitalogy“ (1994) natürlich Schwachsinn. Am Donnerstag (heute) findet im Wiener Badeschiff ab 20 Uhr eine Release-Party statt. Dort feiert „Dark Matter“ bei Clublautstärke seine Österreichpremiere. Ab Mitternacht können Fans an Ort und Stelle das Album erwerben, der Eintritt ist frei. Ein Konzert in Österreich indes ist weiter nicht in Sicht …

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