„Krone“-Interview

Walter Trout: „Hatte wirklich viel Glück im Leben“

Musik
04.03.2024 09:00

Er spielte u.a. mit John Mayall, John Lee Hooker oder Canned Heat und begeistert seit mehr als 30 Jahren solo. Vor zehn Jahren sprang er dem Tod im letzten Moment von der Schippe, jetzt veröffentlicht der kultige Blues-Gitarrist Walter Trout mit „Broken“ sein 31. Album. Ein Gespräch über den Jazz der alten Tage, die unvermeidliche Endlichkeit und die einzigartige Magie von Musik.

(Bild: kmm)

„Krone“: Walter, du warst letzten Frühling das letzte Mal in Österreich im Wiener Reigen zu Gast. Das war ziemlich zu Beginn deiner Tour …
Walter Trout:
Ich habe 1979 zu Touren begonnen und seitdem nie aufgehört. (lacht) Ein paar Jahre war ich im Spital und ein paar Jahre hielt mich die Pandemie auf. Ansonsten spiele ich normalerweise 200 Städte pro Jahr, das kann sogar bis 250 gehen. Mit John Mayall war es am schlimmsten, er war das größte Arbeitstier. Er wollte nie heimgehen und ich war immer voll dabei.

Obwohl du aus New Jersey bist und auf den hemdsärmeligen Blues setzt, hast du eine unglaubliche Fanbase hier in Europa. Es gibt Fanclubs und über den ganzen Kontinent verstreut immer viele Konzertbesucher. Was macht dich in Europa so beliebt?
Mir geht es in den USA mittlerweile auch schon ganz gut, aber der große Unterschied ist mein 1990er-Album „Prisoner Of A Dream“. Darauf befindet sich der Song „That Love That We Once Knew“ und der wurde in Europa zu einem großen Hit, dessen Video auf MTV lief und der zeitweise sogar Bon Jovi übertrumpfte. Eric Clapton wurde immer als Blues-Man bezeichnet, aber er ist auch im Mainstream-Rock daheim. Bei mir ist das ähnlich. Ich spiele Balladen, Rock’n’Roll und ein bisschen Country - das mögen die Europäer. Der Blues ist der Unterbau meines Sounds.

Dabei hat bei dir ursprünglich alles mit dem Jazz begonnen …
Ich wollte zuerst ein Jazz-Trompeter werden. Als ich klein war, fragte mich meine Mutter, ob ich Duke Ellington und Tony Bennett in New Jersey sehen möchte und wir gingen auf ihr Anraten schon um 14 Uhr nachmittags zur Konzertvenue. Wir wohnten nur zehn Minuten entfernt und wir wollten dort Karten kaufen, bevor es zu spät war. Meine Mutter klopfte hinten einfach an die Tür, um es mit einem Autogramm für mich zu versuchen. Der Saxofonist Paul Gonsalves öffnete und ich gratulierte ihm zu seinen Soli. Er war ganz begeistert und sagte der Band, dass dieser kleine weiße Junge seine Musik liebe. Ich feierte sie alle ab und Ken Anderson war der Trompeter - ich war hin und weg, während meine Mutter nur Augen für Tony Bennett hatte und sich nicht um die anderen scherte. (lacht) Ken zeigte mir Tricks auf der Trompete und Duke sprach dann eine halbe Stunde mit mir auf einer weißen Couch. Er war der warmherzigste, charismatischste und netteste Mensch, den ich je traf - ich war hin und weg. Da wusste ich, ich musste Musiker werden.

Fünf Jahre später traf ich Buddy Rich und das war so ein Arschloch, dass ich all meine Pläne wieder hinterfragte. Zum Glück ließ ich mich davon nicht entmutigen. Ich habe auch Miles Davis, Eric Dolphy und Charles Mingus gehört. Mingus‘ Song „Diane“ ist für mich bis heute eines der besten Lieder der Welt. Das Piano mit dem Bass dahinter - pure Magie. Mein älterer Bruder hat mir damals immer Musik heimgebracht, die ich auschecken konnte. 1962, ich war elf, gab er mir das erste Album von Bob Dylan und das war wie eine Erweckung für mich. Simple Songs, die aber ganz anders klangen. Ich kapierte damals, dass ich mit einer Gitarre und drei Akkorden auch solche Songs schreiben könnte. Am nächsten Tag brachte mir mein Bruder eine Gitarre mit und es ging los. Ich habe im High-School-Orchester Trompete gespielt, aber am Wochenende Gitarre in den Blues Bars. Das Orchester in der Schule hat mich vor dem Turnunterricht und den ganzen Sportidioten bewahrt. Die Athleten waren nie so mein Fall. Die Musik war in vielerlei Hinsicht toll für mich.

Hattest du auch mal einen Plan B, oder war es von Kindheitsbeinen an klar, dass du deine volle Kraft und Konzentration auf die Musik legen wirst?
Ich sagte meiner Mutter immer, dass ich ein Blues-Gitarrist werden möchte. Sie war Englischlehrerin und führte die Bibliothek in der Schule. Ich habe die Schule abgebrochen, weil ich unbedingt Musiker werden wollte. Mit 17 habe ich alles hingeworfen. Gott schütze meine Mutter, denn sie sagte mir, sie hätte mich im Schlafzimmer spielen gehört und vertraute mir, dass es klappen könnte. Fast alle Musiker, die ich kenne, wurden von ihren Eltern gebremst, um einen anderen Job anzunehmen. Ich war schon mit zwölf bei James Brown und bei den Righteous Brothers. Ich sah Richard Burton als „Hamlet“ am Broadway - meine Mutter hat meine Liebe zur Kultur genährt und wollte mich nie in einen Job schieben. Sie bläute mir nur eindringlich ein, dass meine Finger mein Kapital wären und ich auf sie achten müsse. Den kleinen Finger habe ich mir dreimal gebrochen und die letzten vier Alben habe ich mit drei Fingern eingespielt. Sie hatte also recht, ich hätte besser achtgeben sollen.

Als Blues-Gitarrist hast du dann von John Mayall bis John Lee Hooker mit allen Größen gespielt. Hattest du mit einem Musiker eine ganz besondere Chemie?
Als ich Side-Man war und als Mietmusiker spielte, war immer ganz klar: Niemand kommt an Mr. Mayall ran. Mayall hat es geschafft, dir einen Doktortitel in den Fächern „wie spielt man live“ oder „wie tourt man“ zu verschaffen. Mayall hat sich in einer vollen Carnegie Hall umgedreht und spontan eingezählt. Du wusstest also besser, was zur Hölle du zu tun hast, denn sonst wurde es peinlich. Wenn du den Blues einmal beherrscht, dann brauchst du keine Proben mehr. Ich habe einmal mit Van Morrison gespielt, ohne proben zu müssen. Van spielte eine 12-saitige Gitarre und spielte damit Leadbelly. Man lernt, wann man startet, stoppt und den Ton verändert. Ich habe das bei Hooker und Mayall bis zum Exzess gelernt. Auch bei Big Mama Thornton - wir sind einfach auf die Bühne und haben den Blues gespielt, fertig. Bei Big Mama war ich der einzige Weiße und der einzige junge Typ, das hat mich nervös gemacht. Ich fragte sie, was wir am Abend spielen würden, weil wir nicht probten und sie sagte mir nur: „Alles, was du zu tun hast, ist wie BB King zu spielen. Ich will nicht Psychedelic hören und keinen Rock’n’Roll, nur einen weißen Jungen, der BB King spielt“. (lacht)

Es ist bekannt, dass bei Mayall früher auch keine Party ausgelassen wurde, aber war nicht auch die nötige Disziplin wichtig, um allabendlich Höchstleistungen abzuliefern?
Ich bin seit etwa 38 Jahren trocken und wurde es, während ich in seiner Band war. Ich spielte gerade bei Canned Heat, als Mayall 1981 oder 1982 die originalen Bluesbreakers wieder zusammenbrachte. Mit Mick Taylor, Colin Allen und John McVie. Canned Heat eröffneten drei Shows für sie. Mayall und ich wurden in dieser kurzen Zeit gute Freunde und er fragte mich dann, was ich vorhätte. Es war gerade Pause, also wollte er mich in der Rhythmussektion haben, weil er mich mit Taylor spielen sah und das als gut befand. Ich sagte ihnen, dass ich noch in der High School war, als ihre ersten Alben herauskamen, ich aber natürlich glücklich sei, hier zu sein. Es wurde wirklich viel getrunken - von uns allen. Ich durfte mit Mayall und Taylor spielen und fühlte mich so geehrt, das sagte ich ihnen auch immer.

Nach dem vierten Gig sagte mir Taylor: „Würdest du mit der Scheiße endlich aufhören? Wenn wir nicht wissen würden, dass du es kannst, wärst du nicht hier.“ (lacht) Wir spielten mit den originalen Bluesbreakers eine Westküstentour und ich ging zurück zu Canned Heat. Dann hat Mayall Canned Heat wieder für eine Doppel-Headliner-Tour engagiert und wir waren ein Jahr lang unterwegs. Am Ende stellte er eine neue Band zusammen und ich wurde fünf Jahre lang ein Teil davon. In gesamt sechs Jahren bei Mayall spielte ich mit insgesamt drei verschiedenen Gruppierungen. Mayall ist ein großartiger Mensch mit einem sensationellen Sinn für Humor. Er ist ein Top-Lehrer, der mir gelehrt hat, wie man spontan spielt und vor großem Publikum auftritt, ohne sich in die Hosen zu machen. Die Chemie mit Mayall war so einzigartig wie keine andere. Er ist wie ein Vater für mich.

Hast du noch Kontakt zu ihm?
Er hat sich vom Tourleben zurückgezogen und sehr schwere Probleme mit seinem Erinnerungsvermögen. Er ist aber auch schon 90, wurde im November 1933 geboren. Ich attestiere ihm jedes Anrecht auf seinen Unruhestand.

Danach kam deine Solokarriere ins Rollen. Das bedeutete auch, das Rampenlicht scheint jetzt ganz auf dich und du stehst im Fokus. War es anfangs schwierig, mit dieser Situation umzugehen?
Als Side-Man ist das Rampenlicht nicht auf dich gerichtet. Alle haben auf Mayall geschaut und wenn er auf mich zeigte, spielte ich ein Solo. Es gab für mich keinen Druck, weil die Menschen zu Mayall kamen. Dann kamen aber Leute für Walter Trout. Es war nicht mehr so, dass die Leute über ein Solo schimpfen konnten und sich auf Mayall fokussierten. Jetzt war ich der Kritik zu 100 Prozent ausgesetzt und der Druck war natürlich ein anderer. Ich schreibe und singe meine eigenen Songs, so wie ich sie fühle und sagen will. Man nimmt natürlich alles persönlicher. Ich habe seit 35 Jahren eine Solokarriere und fühle mich gut. Ich erzähle dir eine Geschichte von früher. Als ich mit Mayall unterwegs war, traten wir bei der deutschen TV-Show „Ohne Filter“ auf. Das hat Riesenspaß gemacht, endlich Fernsehen. Großartig. Ein paar Jahre später war ich in derselben Show als Walter Trout geladen. Ich konnte kaum atmen, vor lauter Nervosität. Wenn du dir heute Clips ansiehst, spürst du, wie ich um Luft ringe. Mein Bassist Jimmy fragte mich, was ich da mache und ich sagte ihm, ich würde beten, um da durchzukommen. (lacht) Der Druck war anders, aber heute bin ich ihn gewohnt. Nach 35 Jahren bringt mich nichts mehr aus der Ruhe. Ich veröffentliche jetzt schon mein 31. Album.

Dein letztes Album „Ride“ spielte auf den Ritt deines Lebens an.
Das ist richtig. Viele Songs auf dem Album drehten sich um meine Jugend. Ich hatte keine tolle Kindheit, es war nicht leicht für mich. Es gab viel Gewalt und Wahnsinn. Ich war lange in Therapie und mir geht es heute gut, aber ich trage immer eine große Portion Folter in mir herum. Es gibt noch heute Momente, wo ich, wenn ich alleine bin, lieber nicht zu viel über meine Vergangenheit nachdenke, weil es dann eng werden könnte. Das Album „Ordinary Madness“ aus 2020 drehte sich besonders stark darum. Bei „Ride“ ging es noch weiter. Es gibt den Song „The Fertile Soil“, wo die Leute immer glauben, es ginge um Ackerland im ruralen Raum Amerikas, aber das stimmt nicht. Meine allererste Band in der High School hieß The Fertile Soil. Meine zwei besten Freunde, die Bass und Schlagzeug spielten, sind heute tot, und der Song dreht sich um sie.

Du hast offenbar noch sehr viel zu verarbeiten, was relativ ungefiltert Platz in deinen Songs findet …
Es gibt hier und da Stimmen, die im Bett oder auf langen Flügen zu mir sprechen und die mir nicht guttun. Ich bin prinzipiell ein unglaublich glücklicher Typ, fast 74, habe eine wirklich schwere Krankheit überstanden, drei tolle Kinder und eine wundervolle Frau. Dazu habe ich eine tolle Karriere und zwei wundervolle Häuser in Kalifornien und am Stand in Dänemark. Ich bin überwältigt von Dankbarkeit und fast schon krankhaft glücklich, aber diese Form der Depression geht nicht weg. Ich schiebe sie so weit es geht von mir weg. Ich war schwerer Alkoholiker und wirklich am Boden, aber ich hatte damals eine Offenbarung. Das Universum hat mich im letzten Moment gebeutelt und mir gezeigt, dass es anders gehen muss. Ich habe plötzlich gemerkt, dass ich das Saufen und Kiffen sein lassen müsste. Würde ich das standhaft durchziehen und meine Musik ernst nehmen, dann würde mein Herz glücklich werden. Ich habe John Mayall erzählt, dass diese Stimme zu mir sprach. Würde ich das durchziehen, dachte ich damals, wäre ich der nächste Eric Clapton oder Jimi Hendrix. Erst später verstand ich, dass es darum ging, eine Familie zu haben, geliebt zu werden und lieben zu können. Diese Stimme hatte mit allem recht und ich weiß heute, was im Leben zählt.

Du feierst bald zum zehnten Mal deinen zweiten Geburtstag. Infolge einer nicht behandelten Leberkrankheit hast du in einer Spezialklinik in Nebraska eine neue Leber bekommen, die unter anderem durch eine groß angelegte Spendenaktion deiner Fans ermöglicht wurde.
Am 26. Mai, ja - unvergessen. Hast du die Bilder gesehen, wie ich damals ausgesehen habe, als es fast dem Ende zuging? Ich schaue sie mir heute noch oft an, um mich zu erinnern, wie viel Glück im Leben ich habe. Meine Frau sagt immer, ich wäre ein „Freak Of Nature“. (lacht) Ich habe noch nicht einmal die übelsten Bilder hochgeladen, meine Frau wollte sowieso, dass ich gar keine Bilder hochlade. Aber für mich war das wichtig.

Durch die Spenden der Fans hast du die Liebe auch auf der anderen, außerfamiliären Seite, kennengelernt.
Die gesamte Blues-Community hat mich unterstützt. All die Menschen, die meine Musik lieben. In den USA gibt es kein allumfassendes Gesundheitssystem. Ohne die Hilfen hätten wir unser Haus und unsere Habseligkeiten verloren. Wir bekamen dank der Menschen in zwei Wochen so viel Geld zusammen, das mir damals zwei weitere Lebensjahre garantierte. Ich war acht Monate lang im Spital und brauchte noch ein ganzes Jahr, um wieder auf die Beine zu kommen. Ich konnte nach dem Krankenhaus nicht gehen, nicht reden und schon gar nicht Gitarre spielen. Sechs Monate lang bekam ich Nahrung über einen Schlauch verabreicht, ich musste erst wieder lernen zu essen. Ich konnte noch nicht einmal schlucken oder verdauen. Wenn ich das alles im Rückspiegel betrachte, wie könnte ich heute nicht absolut glücklich sein? Wie konnte ich so viel Glück haben?

Gibt es nach all diesen Erfahrungen noch Ängste? Oder blickst du der Zukunft dadurch viel gelassener entgegen?
Ich fürchte den aufkommenden Faschismus in meiner Heimat. All die rechtsextremen Idioten, die immer lauter werden. Ich habe große Angst, dass Donald Trump noch einmal zurückkommt. Wenn ich mich dazu äußere, dann kommen sicher Leute zu meinen US-Konzerten, die mich vielleicht ernsthaft verletzen wollen. Das ist nicht auszuschließen, weil das Klima so aufgeheizt ist. Ansonsten verspüre ich keine Angst. Ich erzähle dir noch etwas, von dem ich noch nie gesprochen habe. Kurz bevor ich ernsthaft krank wurde, lag ich viel daheim herum, weil es mir nicht gut ging. Ich sah in der Dunkelheit plötzlich kleine weiße Lichter über mir unter der Decke herumfliegen. Ich war nicht auf Drogen oder Schmerzmittel, sondern vollkommen klar. Diese Lichter haben mich gefragt, ob ich mit ihnen fliegen möchte. Ich sagte ja und plötzlich war ich aus meinem Körper draußen und sah meinen Körper von oben. Ich spürte keine physische Existenz, keine sexuellen Gedanken, kein Gewicht und kein Zeitgefühl, sondern nur Freude und pure Glückseligkeit. Diese Lichter wollten mich mitnehmen, aber ich verstand, dass ich dann sterben würde. Ich sagte ihnen, ich möchte hierbleiben und meine Kinder aufwachsen sehen. Sie meinten, wir würden uns bald sehen und ich war zurück in meinem Körper und mir tat wieder alles weh. „Wir sehen uns bald“ kann auch eine Million Jahre sein, es kann aber auch morgen sein. Ich glaube, ich weiß jetzt, was als Nächstes kommt. Es beruhigt mich.

Wenn du in diesem Moment Glückseligkeit und Frieden gefühlt hast, dann ist das Loslassen des Irdischen vielleicht tatsächlich nicht schlimm.
Ich fürchte den Tod nicht mehr. Ich habe diese Erfahrung im Song „Fly Away“ beschrieben, das habe ich auch noch nicht vielen Leuten gesagt.

Als du nach der schlimmsten Phase wieder Gitarren spielen gelernt hast und langsam ins volle Leben zurückgekehrt bist - hast du da auch noch Lehren aus der Vergangenheit gezogen? Diverse Gewohnheiten verändert?
So ein Erlebnis verändert dich komplett. Die Prioritäten sind völlig anders gelagert. Ich habe zum Beispiel verstanden, dass es mir völlig egal ist, wer mehr Platten verkauft oder größere Bühnen bespielt als ich. Wenn jemand berühmter oder reicher ist, ist mir das völlig egal. Ich war früher oft voller Neid und verstand nicht, warum andere erfolgreicher sind als ich. Ich genieße mein Leben jeden Tag und verdränge diese Gedanken völlig. Über die Jahre habe ich viel zu viel als selbstverständlich angesehen. Bei Canned Heat war ich oft so illuminiert auf der Bühne, dass ich noch nicht einmal wusste, was da alles abgeht. Natürlich gibt es heute bessere Nächte und Konzerte und andere, aber ich gehe nie mehr auf die Bühne, mit der Hoffnung, dass es bald vorbei ist - das passierte früher leider öfters. Eines der Geschenke des Lebens ist, dass ich wieder spielen kann. Ich dachte wirklich, ich könnte nie mehr musizieren und fand mich damit ab. Ich hatte ja meine Frau und meine Kids, es wäre okay gewesen. Heute spiele ich nur mehr mit drei Fingern, aber das ist fantastisch.

Wo fühlst du dich überhaupt zu Hause, wenn sich dein Zuhause auf Kalifornien und Dänemark aufteilt? Das sind doch kulturell und geografisch sehr verschiedene Plätze.
Los Angeles hat 18 Millionen Einwohner, in Dänemark lebe ich in einem 500-Seelen-Dorf, wo das nächste Kino etwa 145 Kilometer entfernt ist. Wenn du unser Haus durch die Hintertür verlässt, steigst du in Sanddünen und bist am Eingang eines Nationalparks. Unser Haus ist dort an der Grenze und direkt nach den Dünen kommt die Nordsee. In Kalifornien liebe ich es aber auch. Ich bin fünf Minuten vom Pazifik entfernt. Es gibt Frauen in Bikinis, Palmen und hohe Temperaturen. Ich brauche beide Welten, um glücklich zu sein.

Nun erscheint dein neues Studioalbum „Broken“. Das klingt sehr bedeutungsschwer.
Es gibt ein paar Special Guests auf dem Album, die dem Album eine tolle Farbe geben. Dee Snider von Twisted Sister singt mit mir, ich habe ihm einen Hardrock-Song auf den Leib geschrieben. Wir sind mittlerweile gut befreundet. Er hat auf X einen meiner Songs gepostet, weil er ihm gefiel und ich habe mich dafür bedankt. Dann haben wir Nummern getauscht und wurden beste Freunde - so schnell kann es gehen. Auch Wim Wilde und Beth Hart sind mit von der Partie, das freut mich wirklich. Ein Song dreht sich um mein mittleres Kind Biscuit. Es wurde als Michael geboren, definiert sich heute aber als nicht-binär. Biscuit ist wahrscheinlich das größte musikalische Genie der ganzen Familie und als Biscuit mit Gender-Identität kämpfte, entstand der großartige Song „Falls Apart“, der „Broken“ beschließt. Es gibt nicht so viel Blues auf dem Album, wie man es gewohnt ist.

Gibt es noch Träume, die du dir erfüllen möchtest? Oder große Ziele, denen du beharrlich nachjagst?
Als ich ein kleines Kind war, wollte ich Musiker werden und das dann später immer bleiben. Ich würde es lieben, so wie John Mayall mit 88 oder 89 noch immer auf der Bühne zu stehen, aber das kann man nicht vorhersagen. Ich mache einfach weiter, weil ich auf die Welt kam, um genau das zu tun. Irgendwann kommt die Zeit, wieder ein neues Album zu machen. Früher war das so gut wie jährlich der Fall und meine Frau, die mich seit mehr als 30 Jahren managt, hat mich immer gefragt, was ich in drei Wochen, wenn ich wieder ins Studio gehe, aufnehmen würde. Meistens hatte ich noch keinen Plan und musste erst ein Album schreiben. Ich ging in mein kleines Arbeitszimmer mit meinem Aufnahmegerät und überlegte mir, was ich noch zu sagen hätte.

Manchmal fiel mir nichts ein, aber dann hörte ich immer die Stimme meiner Mutter, die sagte: „Walter, seit du vier Jahre alt bist, wolltest du ein Musiker sein. Jetzt bist du Musiker, also mach einfach Musik. Es ist deine Berufung und dein Job. Hör auf zu jammern. Hör auf, dich zu beschweren, sondern schreib einfach neue Musik.“ Natürlich hatte sie immer recht und diese Sätze vergegenwärtige ich mir immer. Dann kann ich in einer Woche auch ein Album schreiben. Ich will einfach weitermachen und auf der Bühne in die Gesichter der Menschen blicken. Ich lebe meinen Traum und weiß, wie viel Glück ich damit habe.

Es ist selten, dass jemand in dieser Welt seiner wahren Passion folgen kann. Viele wissen es nicht zu schätzen.
Das ist richtig. Es gibt auch Leute, die ihre Passion kennen, aber dann etwas anders machen müssen, um zu überleben. Sie tun dann etwas, das sie hassen und lassen ihre Leidenschaft wegfliegen. Es ist ein Dilemma. Ich konnte immer meiner Leidenschaft folgen und habe dabei eine wundervolle Frau kennengelernt, mit der ich drei fantastische Kinder großzog. Mein ältester Sohn ist in der Royal Conservatory of Music in Dänemark und ich gehe zu seiner Bachelor-Graduierung. Er musste in der zweiten Stufe ein Essay über Erfolg schreiben. Er schrieb darüber, dass Erfolg für ihn bedeutet, etwas zu tun, was ihn glücklich macht. Auch wenn es sein Lehrer nicht kapierte - er hat verstanden, worum es im Leben geht.

Live im Salzburger Rockhouse
Nach seinem gefeierten Konzert letztes Jahr im Wiener Reigen kommt Walter Trout mit seinem Album „Broken“ und seine besten Songs der Vergangenheit wieder nach Österreich: am 6. Mai spielt er sein einziges Österreich-Konzert im Salzburger Rockhouse. Unter www.oeticket.com gibt es Karten und weitere Informationen zum Top-Konzert.

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