Aus für Tadic

Serbien: Ex-Nationalist Nikolic ist neuer Präsident

Ausland
21.05.2012 12:42
Serbien hat am Sonntag einen politischen Erdrutsch erlebt: Der Chef der Serbischen Fortschrittlichen Partei (SNS), Tomislav Nikolic, hat völlig überraschend in seinem vierten Anlauf seit 2003 die Präsidentschaftswahl gewonnen. Laut dem offiziellen Endresultat kam der 60-jährige Ex-Nationalist auf 49,51 Prozent der Stimmen, Amtsinhaber Boris Tadic, Chef der Demokratischen Partei (DS), auf 47,35 Prozent. Nikolic bezeichnete seinen Wahlsieg als "Gerechtigkeit Gottes". Nun werden die Karten in Serbiens Politik neu gemischt.

Nachdem die dem Demokraten Tadic zugeneigte Öffentlichkeit dem ehemaligen Nationalisten Nikolic schon seine politische Pensionierung prophezeite, hat er es nun doch geschafft. Zweimal, in den Jahren 2004 und 2008, musste der 60-Jährige in der Stichwahl eine Niederlage gegen Tadic einstecken. Im Jahr 2003 war die Präsidentschaftswahl wegen niedriger Wahlbeteiligung annulliert worden. Die nunmehr erneut niedrige Beteiligung von lediglich 46,32 Prozent begünstigte den Sieg von Nikolic, dessen Angelobungstermin Anfang nächster Woche festgelegt wird.

Sieg bei Stichwahl als "Gerechtigkeit Gottes"
Nikolic bezeichnete seinen Wahlsieg als "Gerechtigkeit Gottes". Er habe mit dem Willen seiner Landsleute gesiegt. "Serbien wird vom europäischen Weg nicht abbiegen, möchte aber auch sein Volk im Kosovo schützen", unterstrich der neu gewählte Präsident. Die Präsidentschaftswahlen seien kein Referendum für oder gegen die Europäische Union gewesen, vielmehr gehe es um die Lösung von inneren Problemen, die von Tadic und der Demokratischen Partei geschaffen worden seien, sagte Nikolic.

Der Überraschungserfolg bei den Präsidentenwahlen ist umso erstaunlicher, weil alle Wahlforscher seinem Gegner Tadic einen glänzenden Sieg vorausgesagt hatten. Sein Erfolg ist umso höher einzuschätzen, als die USA und die EU sowie die Medien in Serbien Tadic massiv unterstützt hatten. Während die Wahlkampfstrategen von Tadic im Geld schwammen, musste Nikolic mühsam Mittel zusammenkratzen.

Einst Vize-Regierungschef unter Milosevic
Nikolic war mit seiner extrem nationalistischen Radikalen Partei (SRS) immer wieder Gewinner bei serbischen Parlamentswahlen, konnte aber mangels Bündnisgenossen keine Regierung bilden. Nur für fünf Tage war er 2007 Parlamentspräsident, dann jagte ihn eine neue Mehrheit aus dem Amt. Der 60-Jährige häutete sich vom Extremisten zum Europäer und Demokraten und gründete 2008 die SNS.

Der Bautechniker Nikolic war glühender Verehrer des vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal angeklagten Vojislav Seselj, als dessen Nachfolger er auch die Führung der Radikalen Partei übernahm. Als Freiwilliger hatte er vier Monate am Bürgerkrieg in Kroatien teilgenommen - die Schaffung eines Großserbien war das Ziel. Seine Radikalen und Nikolic selbst als Vizeregierungschef (1998 bis 2000) waren die größten Stützen des ebenfalls vom Tribunal angeklagten und inzwischen verstorbenen serbischen Autokraten Slobodan Milosevic.

Auch Regierungsbildung nun völlig offen
Mit dem Wahlsieg von Nikolic werden auch die Karten für eine Regierungsbildung neu gemischt. Tadic hatte zwar in der ersten Wahlrunde am 6. Mai, die zugleich mit den Parlamentswahlen stattfand, knapp gewonnen und mit dem bisherigen Koalitionspartner, dem Sozialistenchef Ivica Dacic, eine erneute Regierungskoalition vereinbart. Doch für Nikolic war eine solche Zusammenarbeit am Sonntagabend nicht gewiss. "Wer hat gesagt, dass die SNS-Vizevorsitzende Jorgovanka Tabakovic nicht die neue Regierungschefin sein wird?", sagte Nikolic auf die Frage nach dem zukünftigen Kabinett. Die SNS ist mit 73 Mandaten die stärkste Kraft im Parlament. Danach folgt die Demokratische Partei mit 67 Sitzen. Die Sozialisten haben 44 Mandate.

Vor der Stichwahl hatte Nikolic unter den Parlamentsparteien nur die Unterstützung der Demokratischen Partei Serbiens (DSS) des früheren nationalkonservativen Ministerpräsidenten Vojislav Kostunica erhalten. Diese hält 21 Mandate im 250-Sitze-Parlament. Will die SNS tatsächlich auch die neue Regierung bilden, braucht sie breitere Unterstützung. Tadic ließ allerdings wissen, dass seine bisherigen Bündnispartner das Lager nicht gewechselt hätten.

Nach Einschätzung der Experten ist die Lage schwierig. Eine Große Koalition wäre nun die einfachste Lösung, meinte etwa der Wirtschaftsexperte Miroslav Zdravkovic. Doch Tadic hatte vor den Wahlen eine solche Möglichkeit klar ausgeschlossen. Der Chef des Zentrums für Neue Politik, Vladimir Todoric, bekundete gegenüber Belgrader Medien unterdessen die Befürchtungen, dass Serbien angesichts des Kräfteverhältnisses im Parlament nicht so bald eine neue Regierung bekommen wird.

Viele Tadic-Anhänger blieben den Urnen fern
Der bisherige Amtsinhaber Tadic wurde am Sonntag vor allem von seinen eigenen Anhängern enttäuscht, von denen sich viele offenbar entschlossen hatten, dem Urnengang fernzubleiben. Nikolic wusste andererseits in den letzten Wochen die breite Unzufriedenheit der Bevölkerung geschickt zu nutzen. Er verwies immer wieder auf die Wirtschaftsmisere, schleppende Justizreformen, Korruption und organisierte Kriminalität. Die Schuld daran hätten Tadic und seine regierende Demokratische Partei, betonte Nikolic unermüdlich bei seinen Wahlkundgebungen. Der abgewählte Präsident versuchte sich am Wahlabend dennoch in Zuversicht. Er sei nicht enttäuscht, sagte Tadic.

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