Nobel-Prostituierte

Freispruch für Angeklagten im „Folterprozess“

Gericht
11.12.2023 17:08

Die Versionen im Landesgericht Wien könnten unterschiedlicher nicht sein: Während eine 33-jährige Nobel-Prostituierte von tagelangen Schlägen, Vergewaltigungen und Erniedrigungen erzählt, kann sich der Angeklagte an eine liebevolle und glückliche Beziehung erinnern. Am Montagabend dann das Urteil.

Drei Tage blanken Horror soll eine 33-Jährige in Wien-Meidling erlebt haben. Ein Martyrium, das die Staatsanwältin im Wiener Landesgericht am Montag wiedergab: Ihr Ex-Freund soll sie tagelang gefesselt, geschlagen, misshandelt  und in seiner Wohnung festgehalten haben. 

„Sie haben eine Art Beziehung geführt. Schon seit dem Beginn war er dominierend und kontrollierend“, brachte die Anklägerin die Verhältnisse zwischen Manuel E. und dem Opfer den Schöffen näher. Im Sommer 2023 wollte sie sich trennen - der 32-Jährige nicht. 

Der 32-Jährige Manuel E.
Der 32-Jährige Manuel E. (Bild: Sophie Pratschner, Krone KREATIV)

Gefesselt, geprügelt und vergewaltigt?
„Wer bist du, dass du mich verlässt?“, soll E. zu der jungen Frau gesagt haben, bevor er ihr die Arme nach hinten verdrehte, sie so zu Boden brachte. Mit einem Elektroschocker und einem Teleskop-Schlagstock habe er sie attackiert, bis sie sich nicht mehr wehrte. Die nächsten drei Tage habe er sie gefesselt in Embryostellung immer wieder verprügelt und vergewaltigt. In der Nacht hätte er die 33-Jährige an sich gekettet, damit sie nicht flüchten könnte. 

Zitat Icon

Sie hat gesagt, sie ist komplett verliebt in mich. Ich sei ihr Seelenpartner und sie wolle Kinder mit mir - Zwillinge. Für mich war das Liebe auf den ersten Blick. Wir haben uns im Dezember sogar verlobt.

Manuel E. (32) über die Beziehung

Der 32-jährige Wiener konnte sich vor Gericht die Vorwürfe überhaupt nicht erklären: „Sie hat gesagt, sie ist komplett verliebt in mich. Ich sei ihr Seelenpartner und sie wolle Kinder mit mir - Zwillinge. Für mich war das Liebe auf den ersten Blick. Wir haben uns im Dezember sogar verlobt.“ Über den Beruf seiner Freundin wusste er nichts, sie sei bloß stundenlang bei „Meetings“ gewesen. Nach einer Zeit, habe das Opfer ihm dann gesagt, sie verkehre in Mafia-ähnlichen Kreisen. „Ich hab mir Sorgen gemacht. Sie ist teilweise mit einem blauen Auge aus dem Meeting zurückgekommen.“

„Gefahr für ihre Liebesbetrugsgeschäfte“
Erst kurz vor der Festnahme hätte er erfahren, dass sie als Nobel-Prostituierte arbeitete. An die angeklagten drei Tage erinnerte er sich ganz anders: „Wir hatten eine schöne Zeit, haben romantische Filme geschaut und auch zusammen geweint.“ Warum sie die Horrorvorwürfe erfinden sollte, wollte der Richter wissen - „Ich war, glaube ich, eine Gefahr für ihr Liebesbetrugsgeschäft, für ihre Puff-Tätigkeiten.“ Er sei nicht der einzige Mann, mit dem sie eine „Beziehung“ geführt und der ihr Geld gegeben hätte. 

Auch für die Verletzungen, die von der Polizei dokumentiert wurden, hatte Manuel E. eine Erklärung: „Sie hat immer viel und harten Sex verlangt.“ Bei den Praktiken seien oft ein Elektroschocker und Fesseln mit Kabelbindern im Spiel gewesen. Blaue Flecken und Kratzer seien keine Seltenheit gewesen.  

33-jähriges Opfer würde wegen Schulden schauspielern
„Wenn man die Aussage des Opfers separat betrachtet, habe ich mir auch gedacht, mein Mandant ist vollkommen irre“, so Verteidigerin Ina-Christin Stiglitz, nachdem die Staatsanwältin die Anklage wegen Freiheitsentziehung mit besonderen Qualen und Vergewaltigung auf erniedrigende Weise verlesen hatte. Die laut der Anwältin, die zur Hochform auflief, auf Lügen basiere - das Opfer sei „eine richtig gute Schauspielerin“. 

Das sollten seitenweise Chat-Nachrichten beweisen, die die Verteidigerin vorgelegt hatte. Die 33-Jährige sei eine Nobel-Prostituierte, die Männern Liebe vorspielt. Bis zu seiner Verhaftung hätten die beiden eine liebevolle Beziehung geführt. Sie hätte ihm aber über 60.000 Euro geschuldet. „Sie hat den einzigen Ausweg gefunden, wie sie alle Probleme loswird, wie sie meinen Mandanten loswird“ - laut der Anwältin hätte die Frau also das Martyrium erfunden. Die Fotos von Verletzungen hätte sie einfach aus dem Internet heruntergeladen, andere seien schon alt gewesen. 

Am späten Nachmittag wurde der Angeklagte im spektakulären Prozess freigesprochen.

In dubio pro reo
Die anwesenden Angehörigen des Angeklagten - darunter der Vater und der Bruder - quittierten mit lautstarkem Applaus. Der Freispruch sei im Zweifel erfolgt, erläuterte der vorsitzende Richter. Die Verantwortung des Angeklagten sei „alles andere als nachvollziehbar“. Das gelte jedoch auch für die Darstellung der Betroffenen: „Die Angaben des Opfers sind in entscheidenden Passagen nicht nachvollziehbar.“ Vor allem würden sich bei ihr festgestellte, objektive Verletzungen nicht mit ihren Beschreibungen zu den angeblichen Tatabläufen decken. „Dafür, dass es so, wie sie sagt, stattgefunden hat, gibt es Zweifel. Das Bild ist nicht schlüssig. Das passt für uns so nicht zusammen“, sagte der Richter. Wenn Aussage gegen Aussage stehe, sei im Zweifel zugunsten des Angeklagten vorzugehen.

Der Freispruch ist nicht rechtskräftig. Die Staatsanwältin gab vorerst keine Erklärung ab. Sie erbat jedoch eine Protokollabschrift mit den unter Wahrheitspflicht getätigten Angaben der Zeugin. Auf die Frau dürfte ein Verfahren wegen falscher Zeugenaussage zukommen. Strafdrohung: bis zu sechs Monate Haft. Ihr Ex-Freund wurde nach der Verhandlung enthaftet. Er war fast fünf Monate in U-Haft gesessen.

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