Album „Hollywood“

Madsen: Mitmenschlichkeit ist kein Verbrechen

Wien
21.08.2023 09:00

Seit 19 Jahren versuchen die Wendländer von Madsen die Welt im Kleinen zu einem besseren Ort zu machen und scheuen dafür keine musikalischen Mühen. Auf ihrem neunten Album „Hollywood“ finden sie zu alter Stärker zurück, überzeugen mit ausgeklügelten Texten und wagen vereinzelt eruptive Ausritte. Im Oktober spielen sie in Wien und Linz.

Die Haare sind ein bisschen grauer und die Falten im einen oder anderen Gesicht etwas mehr geworden, doch wer Berufsjugendlichkeit nicht nur vortäuscht, sondern sie richtiggehend lebt, der lässt sich vom Vorbeiziehen der Jahre nicht aus dem Konzept bringen. Das norddeutsche Punkrock-Kollektiv Madsen hat eine Zeit lang viel dafür getan, dass aus ihrem beigefügten Terminus „Punk“ „Indie“ wurde und damit nicht bei allen Fans der mittlerweile fast 20-jährigen Bandhistorie für Begeisterung gesorgt. Dann kam aber Corona und damit einhergehend die musikalische Gnackwatschen. Mit dem im Herbst 2020 veröffentlichten Zufallsprodukt „Na gut dann nicht“ hat sich das familiäre Quartett plötzlich in einen Haufen kompromissloser Teenager zurückverwandelt und innerhalb von 14 Tagen aus dem Nichts eine - auch politisch - wütende Punk-Platte eingetrümmert.

Machen wir die Welt besser
Etwas später wagte sich Frontmann und Haupttexter Sebastian Madsen mit „Ein bisschen Seele“ auf soulige Pfade und sorgte noch einmal für interessierteres Stirnrunzeln im kopfstarken Fancamp. Für das „richtige“ Madsen-Album „Hollywood“ hingegen hatte man nun fünf Jahre Zeit. Dabei sind die Songs noch nicht einmal stringent aus den Prä-Corona-Songwritingsessions herausgenommen, dort gab es teilweise auch bereits anderes Liedgut, das hier gar nicht mehr auf Platte gepresst wurde. Der Ausflug nach „Hollywood“ ist freilich nicht einer überteuerten Aufnahmesession bei Rick Rubin geschuldet, sondern stellt die wichtigsten Madsen-Werte Empathie, Mitmenschlichkeit und Zusammenhalt wieder auf die oberste Stufe. Wie auch immer man Musik und Gestus der sympathischen Band drehen und wenden will - man landet im Endeffekt immer bei dem couragierten Versuch, eine aus den Angeln gehobene Welt zumindest im kleinen Rahmen besser zu machen.

Wie brüchig und unsicher unsere Gegenwart ist, zeigt schon das nächtliche Metropolen-Covernachtmotiv der Hamburger Sternbrücke, die kurz vor dem Abriss steht und bis 2027 von einer neuen, zeitgemäßen und stabileren Konstruktion ersetzt wird. Freilich waren Madsen nie in der „früher war alles besser“-Fraktion zu finden, doch ein kleines bisschen Wehmut und Nostalgie hat noch nie geschadet, um wieder klarer in die Zukunft sehen zu können. Auf ihrem bereits neunten Studioalbum in 19 Jahren Bandgeschichte erfinden die drei Brüder und Bassist Niko Maurer das Rad nicht mehr neu, bewegen sich dafür aber leichtfüßig in ihrer eigenen Liga, die allen Hypes und Trends trotzt und den Inhalt vor den schnellen Zuspruch stellt. Wie man es von Madsen schon immer kennt, sind die Texte nicht bissig, sondern inklusiv. Veränderung durch Diskursbereitschaft, sozusagen, und nicht mit dem Holzhammer von oben.

Ausritte mit Bedacht
Mit dem Opener „Ein bisschen Lärm“ geht es relativ flott los, bevor „Brücken“ balladesk beginnt und erst mit fortdauernder Spielzeit an Fahrt gewinnt. Was schon im ersten Bereich des Albums auffällt: Sänger Sebastian hat seine Soloalben-Stimme zu einem guten Teil in die Band mitgenommen und wirkt routinierter und weniger stürmisch. Das geht im Endeffekt natürlich auf Kosten des Tempos. Madsen ziehen auf „Hollywood“ zwar wieder stärker an („Unter dem Radar“), doch immer, wenn man vielleicht auf einen harschen Ausritt wartet, geht man doch auf Nummer sicher und bleibt im smoothen Bereich. Wichtiger sind sowieso die Geschichten. Sie handeln vom Brückenbauen und Zueinanderfinden („Brücken“), von der Treue und Loyalität zu einem alten Freund („Willi“), von Standhaftigkeit und einer gewissen Form der Resilienz („Der Baum“) oder dient Kindern und jungen Menschen als Ermutigung, entgegen starrer staatlicher Systeme und Xenophobie ihr Leben lebenswert zu gestalten.

Madsen sind nicht nur die zugänglichste und vielleicht freundlichste, sondern wohl auch ehrlichste Band aus deutschen Rocklanden. Man versucht sich zu keiner Sekunde irgendwelchen Trends anzubiedern, sondern bleibt beim eigenen Erfolgsrezept, Studentenrock mit sanftem Punk und Indie-Gestus zu verbinden. Keine Schnörkel, keine experimentellen Ausritte und schon gar keine cringen Momente, die man als Musikfan diverser Künstler und Bands seit geraumer Zeit zuhauf erfährt. Die Feel-Good-And-Fight-For-Your-Rights-Formel der Wendländer mag dem einen oder anderen zu antiquiert oder aus der Zeit gefallen wirken, doch in einer rastlosen Hyperaktivitätsgesellschaft ist ein beständiger Ruhepol, der klanglich noch immer ordentlich aufmischen kann, eine mehr als willkommene Konstante. Man kennt es aus dem Film - die Bösen faszinieren uns mehr. Doch was wäre die Welt ohne die uneingeschränkt Guten? Um es mit Madsen zu sagen: „Wir haben noch immer die Sonne“. Sie strahlt auch nach dem Tod der Sternbrücke weiter.

Live in Wien und Linz
Im Herbst sind Madsen mit Montreal im Vorprogramm auch zweimal in Österreich zu sehen. Am 4. Oktober spielen sie in der Wiener Arena und am 5. Oktober im Posthof Linz. Unter www.arena.co.at und www.oeticket.com finden Sie die Karten und weitere Informationen zu den beiden Konzerten. Weitere Auftritte 2024 sind sicher nicht ausgeschlossen.

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