Mit „Azure“ in Wien

Ulrich Drechsler: „Haben zu viel Fahrstuhlmusik“

Musik
29.03.2023 09:00

Genervt von mangelhaften Strukturen und fehlender Progression, hat sich der in Wien wohnhafte Klarinettist Ulrich Drechsler mit der Liminal Zone vor fünf Jahren sein persönliches „Lego-Bausteinland“ für Musik geschaffen. Dieser Tage erschien mit „Azure“ das dritte Album, das er am 31. März im Wiener Porgy & Bess live vorstellt. Ein Gespräch über fehlenden Weitblick, musikalische Leidenschaften und Schüsse ins eigene Kulturknie.

(Bild: kmm)

Vor fünf Jahren hat der bekannte Klarinettist Ulrich Drechsler seine schon länger in den Hirnwindungen mäandernden Visionen umgesetzt und das Dachprojekt Liminal Zone gegründet. Als Grundidee wollte der im deutschen Reutlingen geborene, aber seit 2000 in Wien wohnhafte Jazzer eine Plattform kreieren, auf der er all die Musik versammeln kann, die er liebt und gerne spielt. „Dadurch bin ich überhaupt keinem Genre mehr zuordenbar“, erklärt er uns im ausführlichen „Krone“-Interview und verweist auf die drei Alben, die bislang dadurch entstanden sind. Auf dem 2020er-Werk „Caramel“ mischte er Jazz mit Klassik und Filmmusik und ließ etwa Poetry-Slammerin Yasmo zur Höchstform auflaufen. 2021 folgte das mit einem Streichtrio und Elektronik verstärkte „Chrome“, das Richtung Neoklassik ging, dieser Tage schloss Drechsler seine Trilogie mit „Azure“ ab. Darauf findet man klassische Klarinettenklänge, vermengt mit Drum&Bass und Trip-Hop-Elementen.

Zukunft der Populärmusik
Was anfangs nur als Spielplatz für unterschiedliche Musikstile gedacht war, entwickelte sich über die Pandemie nun zu einem viel größeren Monster. „Mit meinem älteren Sohn überlegte ich, wie wir trotz der damaligen Lage eine funktionierende und hochqualitative Infrastruktur für das Projekt schaffen könnten. Wir machten Listening-Sessions, ein eigenes Label oder Kuratierungen. Nicht jede Idee hat langfristig überlebt, aber es war eine tolle Schule. Meine wichtigste Erkenntnis war, dass man mit eigentlich wahnsinnig wenig Aufwand und Ressourceneinsatz richtig tolle Sachen machen kann. Derart kleine, flexible und salon-artige Formate sind für mich auch die Zukunft der Populärmusik außerhalb des Mainstreams.“

In den Mainstream schnupperte Drechsler von 2000 bis 2006 mit seinem enorm erfolgreichen Café Drechsler, einem Jazztrio, das einen Vertrag beim Branchenprimus Universal Music hatte und 2005 mit einem Amadeus ausgezeichnet wurde. Schon damals versteigerten Drechsler und Co. selbigen, um damit ein Zeichen gegen die schlechten Bedingungen für Musiker in Österreich zu setzen. Daran habe sich in knapp zwei Dekaden wenig geändert, ganz im Gegenteil. „Es wird immer um den heißen Brei herumgeredet. Es gibt Diskussionen um Diversitäten, Mobilität und Chancengleichheit. Ja, all das ist wichtig, aber wo bleiben Diskurse über die Ursachen? In den Schulen wird zunehmend der Musikunterricht abgeschafft, dazu haben wir einen öffentlich-rechtlichen Sender, der solche Kosten verursacht, dass er seinem Bildungsauftrag gar nicht mehr nachkommen kann. Wenn alles zu Tode gespart wird und die Leute nicht einmal mehr mit Jazz oder anspruchsvollem Pop in Berührung kommen, hilft dir die ganze Leidenschaft nichts mehr.“

Schuss ins eigene Knie
Drechsler sieht Musik in der Gesellschaft zunehmend zu einem Mittel zum Zweck degradiert. Die Welt wird schnelllebiger, Inhalte wertloser. In einem Pamphlet machte sich der 53-Jährige so seine Gedanken über die aktuelle Lage von Musik in Österreich und kam zu keinem guten Ergebnis. „Der Großteil der derzeit produzierten Musik ist Fahrstuhl- oder Funktionsmusik. Programmiert innerhalb von 20 Minuten. Es ist erschreckend, wie schnell die Künstliche Intelligenz mitlernt. Jede Wirtschaftsbranche hat große lobbyistische Vertretungen, nicht aber die Kulturbranche. Alle haben Existenzängste und fokussieren sich auf das Überleben von sich selbst und ihrer kleinen Interessensgruppe. Damit schießen wir uns aber alle selbst ins Knie, weil wir dadurch immer schwächer werden.“

Mitunter deshalb baute sich Drechsler durch seine Liminal Zone eine eigene Infrastruktur auf, die fernab der Big Player in der Szene funktioniert. Ein wichtiger Baustein ist dabei, nicht nur junges Publikum mit authentisch-zeitgemäßer Musik zu finden, sondern auch jüngere Musiker zu integrieren. „Ich arbeite genreübergreifend so gut es geht mit jungen Musikern zusammen. Wir haben in Österreich unheimlich viel Angebot, in jeder denkbaren Form - doch wo gibt es Musik oder Theater in einem Format, wo ein 20-Jähriger mit seinem 80-jährigen Opa sitzt und alle Spaß haben? Die Älteren haben das Geld und das Wissen, die Jungen die Leidenschaft. Anstatt sich gegenseitig auszuschimpfen, sollte man diese Welten verknüpfen. Man tauscht sich aus, jeder lernt vom anderen - das ist das echte Leben. Ich habe die Dinge schon immer von einer etwas anderen Warte aus betrachtet und bin in erster Linie Dienstleister. Ich wurde Musiker, weil ich das Leben meiner Mitmenschen ein bisschen verschönern möchte.“

Musik als Lego-Baukasten
Mit dem Café Drechsler sammelte der Musiker schon Daten, bevor diese Tätigkeit schwer in Verruf geriet. „Wir spielten oft im Café Europa und ich rannte unentwegt herum, um E-Mail-Adressen für meinen Newsletter zu sammeln. Da kamen ungefähr 2000 zusammen, von denen ich heute noch gut lebe“, erklärt der halb-analoge Mark Zuckerberg der Alpenrepublik. Schon früh überlegte Drechsler, wie er möglichst autark und von allen anderen abgekoppelt an seiner Kunst arbeiten könnte. „Da ich immer weniger in die Strukturen der großen Veranstalter und Plattenfirma passe, musste ich mir eben meine eigene bauen. Meine Musik ist für mich wie ein Lego-Baukasten und darin sehe ich meine persönliche Zukunft. Mein großer Vorteil war schon immer, dass ich gut aus dem vorgefertigten Kasten raus denken konnte. Erst wenn man alles selbst probiert und überall reinschnuppert, bekommt man ein Gefühl für die verschiedenen Bedürfnisse aller Beteiligten.“

Live im Porgy & Bess
Das Album „Azure“ und sein neues Projekt „Liminal Zone Sounds“, ein Produzenten- und Musikernetzwerk, bei dem etwa auch Apollo Sounds beteiligt sind, stellt Ulrich Drechsler am 31. März im Wiener Porgy & Bess vor. Unter www.porgy.at gibt es alle weiteren Infos und auch noch Karten für das Top-Event des musikalischen Querdenkers.

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