Krone-Talk & Wien-Gig

Bring Me The Horizon: „Wir kennen keine Grenzen“

Musik
06.02.2023 16:00

Mit ihrer Mischung aus Deathcore, Elektronik und Alternative-Rock zählen die Sheffielder von Bring Me The Horizon zu den spannendsten und vor allem mutigsten Bands des von vielen als tot eingestuften Metal-Genres. Bevor die Band am 9. Februar die Bühne der Wiener Stadthalle betritt, haben wir mit Frontmann Olli Sykes ein sehr persönliches Gespräch geführt.

(Bild: kmm)

„Krone“: Olli, wie fühlt es sich nach den Pandemie-Jahren an, endlich wieder auf Tour zu sein und die ganz großen Bühnen zu bespielen?
Olli Sykes:
Ich bin sehr dankbar dafür. Zwei Jahre lang ging gar nichts und deshalb realisiere ich erst jetzt so richtig, was man alles auf sich nimmt, um diesen Job auszuüben - und da spreche ich von allen Beteiligten, die zu einem Konzert dazugehören. Ich bin endlich wieder der Sänger in einer Band, dieses Gefühl kam mir zwischendurch schon abhanden. Wir waren anfangs ein bisschen eingerostet.

Hat sich dein Leben zu Hause fundamental verändert? Hast du viele Dinge entscheidend vermisst?
Ich glaube, jeder litt an einer Form von Identitätskrise, weil unsere Identitäten alle sehr stark mit unseren Jobs verbunden sind. Das ist nicht immer gesund, also war diese Entkoppelung in meinem Fall gar nicht so schlecht, weil ich wieder erkennen musste, wer ich ohne die Band eigentlich bin. Vorher war es schon so, dass wir so viel unterwegs waren, dass ich mir sehr gerne einmal mehr Zeit daheim gewünscht hätte. Aber nach zwei Jahren Stehzeit, wo wirklich gar nichts ging, werde ich mich mein Leben lang daran erinnern, wie schlimm es ist, wenn du deine Leidenschaft nicht ausüben kannst. Ich werde mich nicht mehr beschweren, weil ich jetzt weiß, wie es ist, wenn man nichts darf. Ich habe wieder gelernt, was Hobbys sind, wofür ich mich interessiere und was die Welt sonst noch zu bieten hat.

Du hast dich also neu entdeckt? Neue Facetten an dir gefunden?
Ich bin anfangs leider in ein paar schlechte Gewohnheiten von früher reingerutscht. Ich wusste mit mir nichts anzufangen, weil so viel von der Liebe und dem Wohlgefühl in meinem Leben durch die Band entstanden sind und ich außerhalb davon den Bezug dazu verloren habe. Es ging ja vielen Menschen so wie mir. Ich musste mich erst wieder mit der normalen Welt verbinden. Ich habe alles in meinem Leben sehr stark auf diesen einen Aspekt, die Band, gelegt und war besessen von Zuschauer- und Verkaufszahlen, Streaming-Highlights und irgendwelchen absurden Bestleistungen. So war ich aber nie und durch die Pandemie fand ich wieder zu meinem früheren Ich zurück. Meine Familie ist unglaublich wichtig für mich und ich habe sehr viel Zeit mit ihnen verbracht. Ich habe viel gelesen, mich entspannt und war mit dem Hund draußen. Ich kann jetzt die Band genießen und mein Leben außerhalb davon. Das war eine sehr wichtige Lehre.

Hast du das Rampenlicht auch stark vermischt? Die ständige Konversation und den Kontakt mit den Fans?
Ich dachte nie, dass ich so eine Person wäre. Ich dachte immer, ich wäre sehr bodenständig und hätte alles im Griff, aber ganz so war es wohl nicht. Wir machen das jetzt, seit ich 16 bin und vor der Band hatte ich nicht viel im Leben. Ich war ein Opfer von Bullys, nicht populär und fühlte mich verloren. Plötzlich konnte ich auf der Bühne stehen. Die Leute sangen meine Texte mit, wollten Autogramme und Fotos von mir. Ich wurde das gewohnt und als es plötzlich weg war, fühlte ich mich wie ein Niemand. Ich vermisste aber nicht so sehr die Popularität, es war etwas anderes. Ein bisschen vergleichbar mit den Kids von heute, die ihre Likes auf Instagram und TikTok brauchen, um glücklich zu sein. Bei mir war es ähnlich, ich war süchtig nach Zuspruch. Ich habe auch immer genau verfolgt, wie viele Klicks wir hätten, aber das ist so absurd. Es bedeutet eigentlich gar nichts. Nichts für deine Persönlichkeit und deinen Wert als Mensch. Als wir mit der Band begannen, war das noch nicht so ausgeprägt. Es gab noch nicht rundum Informationen, mit denen man sich ständig vergleichen konnte und irgendwann wurden wir süchtig danach, eine furchtbare Sache. Alles dreht sich nur mehr um Zahlen und Statistiken, dabei geht es doch um die Musik und das Miteinander.

Die im Oktober 2020 veröffentlichte EP „Post Human: Survival Horror“ kam aus einer sehr düsteren Stimmung und einem ungemütlichen Platz in deinem Leben. Hast du darauf schon die Suche nach dem wahren Sinn der Musik gesucht?
Das kann man so sagen, ja. Mitten in der Pandemie haben wir nicht einmal an ein Album gedacht. Wir haben jeder für sich zu Hause an Songs geschrieben, uns dann über Zoom unterhalten und ein paar Demos hin- und hergeschickt. In unseren Köpfen schien es unmöglich, dass wir so getrennt ganze Songs schreiben könnten. Aber wir haben uns daran gewöhnt und irgendwann realisiert, dass das noch Jahre dauern könnte, also haben wir gelernt, völlig anders zu arbeiten. Wir haben unsere Spuren in Dropbox-Ordner geladen, hoch- und runtergeladen und daraus ganze Songs kreiert. Wir haben dann sehr viel Druck verloren als wir merkten, es würde auch so gehen. Außerdem wollte ich schon immer eine EP machen und das war der perfekte Zeitpunkt dafür. Das getrennte Arbeiten hat sich dann zu einem natürlichen Prozess entwickelt und hat uns sicher auch ein bisschen vor dem Durchdrehen bewahrt.

Du hast eine vierteilige Serie dieser EP-Reihe angekündigt, bei der alle anders klingen sollen. Kannst du da ein bisschen mehr ins Detail gehen?
Zu viel möchte ich nicht verraten, aber der Kreis wird sich garantiert schließen. Wir wollen eine Reise durch verschiedene Soundlandschaften anbieten und am Ende werden wir ungefähr dort landen, wo wir begonnen haben. Es gibt ein bestimmtes Narrativ, das dann nach allen vier Veröffentlichungen auserzählt sein wird. Der erste, bereits veröffentlichte, Teil ist sehr inspiriert von Nu Metal und Alternative-Musik der 2000er-Jahre, die mich in die Welt des Rock und Metal brachten. Der zweite Teil wird wesentlich emotionaler sein und in Richtung Post-Pop und Emo gehen, wo ich dann später reinkippte. Eventuell gehen wir mehr in die Richtung von Deftones oder Converge, aber nicht so aggressiv im Sound.

Im Endeffekt wird es also eine Reise durch die persönlichen Geschmäcker, die du über die Jahre gebildet hast?
Das kann man so sagen. Es hängt sehr viel Nostalgie darin. Die größte Herausforderung ist die Mischung daraus, dass die Songs dich an früher erinnern und nostalgische Gefühle erwecken sollen, aber auch gleichermaßen progressiv und nach vorwärts gerichtet sind. An der richtigen Balance kiefeln wir sehr hart.

Setzt ihr euch im Sound eigentlich überhaupt irgendwo Grenzen, oder ist bei BMTH absolut alles erlaubt?
Für die EP-Serie schon, weil wir sonst nicht die Vielseitigkeit bei den Unterkapiteln hätten. Das haben wir vorher noch nie so gemacht, denn bislang war alles sehr kollagiert, jeder Song klang komplett anders. Wir hatten uns nie Grenzen gesetzt, aber dieses Mal gibt es eine gewisse Vorgabe, weshalb wir auch so langsam sind.

Viele Medien meinten bei euch immer, ihr wärt eurer Zeit klanglich stets voraus gewesen. Dass eure Experimentierfreude zwar progressiv war, die Hörer aber nicht immer verstanden hätten, was da jetzt alles passiert.
Ich weiß nicht, ob wir damit unserer Zeit voraus waren, aber als wir 2006 unser allererstes Album „Count The Blessings“ schrieben, haben wir uns überhaupt um keine Mechanismen geschert. Wir haben einfach die Musik gemacht, die wir wollten. Wir hatten keine Ambitionen und Ziele, waren jeden Tag völlig besoffen und wollten Musik erschaffen, zu der die Menschen moshen konnten. Das war sehr fein, aber wir haben uns nicht sonderlich dafür angestrengt und nahmen die Musik nicht ernst. Wir sind so weit von diesem Album weg, dass es sich wie ein anderes Leben anfühlt.

Dieses eher beschissene kleine Deathcore-Album hat uns quer über den Globus gebracht und danach dachten wir erstmals darüber nach, wo wir vielleicht hinkommen könnten, wenn wir alles ein bisschen ernster nehmen würden. Uns mehr bemühen würden. „Suicide Season“ (2008) war dann unser erstes richtig eigenständiges Album, bei dem wir uns fanden. Es hatte Erfolg und das war der letzte Baustein dafür, dass wir wussten, wir müssten uns mit jedem Mal aufs Neue herausfordern und verändern. Wir dürften niemals gleich klingen, müssten den Sound immer in eine neue Welt tragen. Nicht für alle Fans war das so einfach. Gerade im Rock und in der Metalwelt wurde die Integration der elektronischen Elemente sehr kritisch beäugt. Manche Menschen können da mitgehen, andere nicht. So ist das Leben. Wir waren immer anders und speziell und irgendwann wussten die Leute, dass sie nie genau das kriegen, was sie sich vielleicht erwarten würden.

Für eine Band wie eure ist die aktuelle Musiklandschaft optimal. Die Leute hören kreuz und quer durch die Streaming-Portale. Gut ist, was gefällt und nicht mehr das, was in ein Genre passt. Kommt das euch und eurem Zugang zu Musik nicht zugute?
Wir befinden uns in einer Ära, wo alles nicht mehr so exaltiert ist wie früher. Es gibt heute gerade im Rock und im Metal viel weniger als früher. In meiner Jugend mochtest du Nu Metal oder Pop-Punk oder Punkrock oder Death Metal. Heute sieht das ganz anders aus. Unter dem Überbegriff Rock ist wohl alles drinnen, von The 1975 bis zu Lorna Shore. Die Leute sind viel offener und hören Musik breiter. Wir können vom Hellfest in Frankreich bis zu Pop-Events alles spielen und das finde ich irrsinnig cool. Rock- und Metalfans sind heute zu einem Großteil viel offener und toleranter als man ihnen oft zutraut. Wichtig ist nur, dass die Musik alternativ ist. Es geht um die Aussage, um eine Botschaft, die im gewöhnlichen Pop oft fehlt. Wie das transportiert wird, ist nebensächlich. Fans harter Musik können sich auch mit Billie Eilish identifizieren, weil sie spüren, da ist Bedeutung und da geht es um Hintergründe. Das macht die Musik auch für mich als Musiker viel aufregender, weil unsere Songs alle aus dem Herzen und der Seele kommen. Heute können alle Geschlechter und Typen im Metal sein und das war früher definitiv schwieriger.

Nicht viele Bands starten mit einem Deathcore-Album und kooperieren Jahre später mit dem größten Popstar der Welt, Ed Sheeran. Bist du manchmal selbst überrascht, wohin dich die Reise bislang gebracht hat?
Wir haben unlängst erst innerhalb der Band viel darüber gesprochen. Für eine aus dem Metalcore kommende Band ist das ein Geschenk, für das wir auch ungemein dankbar sind. Es gab Zeiten, wo wir schon dachten, wir würden es viel zu weit treiben, aber unsere Entscheidungen haben wir immer aus bestem Gewissen getroffen. Auch die, mit Ed Sheeran zu arbeiten. (lacht) Wir machen einfach unser Ding und gehen morgen den nächsten Schritt. Mittlerweile erwarten die Leute das Unerwartete von uns und das ist die beste Lage, in die wir als Songwriter kommen konnten.

Ich glaube, das Unerwartete zu erwarten zählt mitunter auch zu den größten Zielen von euch selbst?
Alles ist möglich. Wir können mit allen Menschen zusammenarbeiten und uns in allen Stilen austoben. Wir haben schon so viele unterschiedliche Dinge gemacht, dass uns längst überhaupt keine Grenzen mehr gesetzt sind und wir uns völlig austoben können. Die Band geht immer weiter voran und findet neue Ecken und Genres. So bleibt die Musik immer spannend.

Am 9. Februar sind Bring Me The Horizon mit A Day To Remember in der Wiener Stadthalle zu Gast. Unter www.oeticket.com gibt es noch Karten für das Konzerthighlight - zudem alle weiteren Infos.

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