Leonhard Paulmichl

„Lass uns wieder heimfahren!“

Vorarlberg
29.01.2023 11:55

Ex-ORF-Chef Leonhard Paulmichl verrät Autor Robert Schneider, ob er als Südtiroler jemals in Vorarlberg heimisch geworden ist.

„Meine Mama war Monarchistin.“ Warum war sie Monarchistin? „Als sie im Volksschulalter war, kam der Erzherzog Karl nach Gomagoi am Fuß des Ortlers, die Festungen zu besichtigen. Nachdem sie ein hübsches Kind war und intelligent, durfte sie ein Gedicht aufsagen. Da hat sie der Erzherzog geküsst. Seit diesem Tag war sie Monarchistin. Nur hatte sie das Pech, dass, als sie ins wahlfähige Alter kam, es weder eine Monarchie gab noch ein Südtirol, das zu Österreich gehörte. Da sagte sie zu meinem Vater, der auch Leonhard hieß: „Leonhard. Österreich gibt’s nimmer. Mir sein keine Deitschn. Also blei’ mir do.““

Der fast 85-jährige Dr. Leonhard Paulmichl, ehemaliger Intendant des ORF-Studio-Vorarlberg, erzählt mit Leidenschaft und großer Wachheit von seiner Kindheit im Vinschgau. Man könnte glauben, alles habe sich erst gestern zugetragen. Ich treffe ihn in seiner Wohnung, deren Wände von der Decke bis zum Boden Zeichnungen, Aquarelle und Gemälde zieren, die allesamt von seiner Südtiroler Heimat berichten, von den lebenslangen Freundschaften zu Künstlern und Intellektuellen.

Viele Zeichnungen des legendären „Zeit“-Karikaturisten Paul Flora sind zu sehen, mit dem Dr. Paulmichl eine lebenslange Freundschaft verband. Aber auch ein Gemälde des Heimatdorfs Stilfs, das gerade der Christbaum mit altem, kostbaren Kugelschmuck verdeckt. Zu jedem Bild kann er eine Anekdoten ausbreiten. Auch zur sogenannten Tiroler Madonna, deren Original im Innsbrucker Dom hängt und das, als es noch keine Fotografie gab, als Kopie in vielen Häusern Tirols Verbreitung fand. „In Auftrag gegeben hat das Gemälde ein Salzburger Erzbischof, ein großer Frauenliebhaber. Weil ihm das Geld ausging, wurde er nach Mainz versetzt. Dort hat er seine Freundin porträtieren lassen, deren Gesichtszüge seitdem im Madonnenbildnis festgehalten sind.“ Dr. Paulmichls Ehefrau Margit bringt Weihnachtskekse und Kaffee und entzückt sich über meinen Fotografen Dietmar Mathis. „Das sind vielleicht disziplinierte Männer! Die haben ihre Schuhe vor der Wohnungstür ausgezogen!“ - „Jo sich’r“, antwortet Dietmar mit alemannischer Nüchternheit.

Robert Schneider:Herr Dr. Paulmichl, Sie stammen aus dem kleinen Bergdorf Stilfs im Vinschgau und waren das letztgeborene von zehn Kindern. Welchen Beruf hatte Ihr Vater?
Leonhard Paulmichl: Er war Volksschullehrer und Organist. Übrigens gibt es eine Verbindung zwischen Stilfs und Feldkirch, de ich damals natürlich nicht kannte. Die Kirchenglocken wurden in Feldkirch gegossen.

Robert Schneider: Die Option, bei dem sich die Südtiroler entweder an das Deutsche Reich anschließen und emigrieren mussten oder im faschistischen Italien bleiben und Deutsch als Muttersprache aufgeben, hat das Land radikal verändert. Wie war das in Ihrer Familie?
Paulmichl: Meine Eltern haben nicht optiert. Weil mein Vater Lehrer war, also Staatsangestellter, wurde er nach Piombino in die Provinz Livorno versetzt, wo er dann auch Lehrer und Organist war. Aber in Italien ist es ja so: Die Italienerinnen beten den Pfarrer an und die Männer den Herrgott. Sechs Jahre blieb er in der Verbannung, konnte die Familie nur zwei Mal im Jahr besuchen. Allabendlich haben wir zum Hl. Pater Freinademetz gebetet, dem berühmten Steyler Missionar aus Südtirol. Unsere Verhältnisse in Stilfs waren zwei Kühe und zehn Kinder. Ich war der Ziegenhirte im Dorf. Dafür bekam ich ein Paar Schuhe beim Schuhmacher. Die Mama sagte: “Aber bitte groß genug!" Ich schwamm in den Schuhen. Mit meiner ersten, langen Hose habe ich die Matura gemacht.

Hat die Option und ihre Folgen nicht zu unglaublichen Verwerfungen in so einem kleinen Dorf geführt?
Ganz bestimmt! Als mein Vater nach dem Krieg aus Italien zurückkehrte, bat man ihn, weil er unbescholten war, die Dorfagenden zu führen. Aber der Nazi, der das bisher gemacht hatte, war immer noch da. In einer Nacht- und Nebelaktion hat er die ganzen Unterlagen vor den italienischen Partisanen, die das Dorf durchsuchten, bei uns im Stadel versteckt und dann gesagt, man solle doch beim Paulmichl suchen. Die Sache hat sich zum Glück rasch aufgeklärt.

Sie gingen aufs Gymnasium und haben dann Germanistik und Geschichte in Bonn und Innsbruck studiert...
Eigentlich wollte ich Forstwissenschaften studieren, aber das war chancenlos, weil ich als Deutschsprachiger niemals eine Stelle bekommen hätte. Die waren ausschließlich den Italienern vorbehalten. Und die Autonomie gab es damals noch nicht, also das Abkommen für die deutschsprachige und ladinische Minderheit. Übrigens ein hohes Verdienst von Bruno Kreisky. Damit mein Studium auch in Italien anerkannt wird, musste ich als Südtiroler an einer österreichischen Uni abschließen. So kam ich nach Innsbruck. Dort habe ich das Glück meines Lebens kennengelernt. Ich ging immer in die Universitätsbibliothek, weil es da so viele Bücher gab und warm war. Dort sah ich sie - meine Frau Margit aus Feldkirch. So kam ich nach Vorarlberg.

Zum ORF?
Nicht ganz. Ich bewarb mich als Pressereferent beim Landeshauptmann Herbert Kessler, weil die Position ausgeschrieben war. Es dauerte ewig, bis ich einen Termin bekam. Ich sagte, ich könne selbstverständlich verstehen, wenn er lieber einen Vorarlberger hätte statt einen Südtiroler. Geworden ist es dann ein Wiener. Zum Studio Vorarlberg, das damals noch im alten Rathaus in Dornbirn untergebracht war, kam ich erst viel später, als mich Margit darauf hinwies, dass die einen Literaturreferenten suchen. Das war 1967. So fing es an.

Sind Sie Südtiroler geblieben oder zum Vorarlberger geworden?
Beides. Ich komme aus einem Dorf, wo man immer abwandern musste, weil man dort nicht überleben konnte. Vielleicht war ich deswegen auch nie ein Vereinsmeier. Dennoch möchte ich heute nicht mehr weg von Feldkirch. Ich hätte sogar noch ein Grundstück in Stilfs. Aber wenn ich den Ort besuche, sage ich schon nach einer kurzen Zeit zur Margit: Komm, lass uns wieder heimfahren!

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