„Krone“ in Hamburg

The Cure: Zwischen Verzweiflung und großer Liebe

Wien
20.10.2022 06:01

In wenigen Tagen gastiert die Düsterrock-Legende The Cure für ein exklusives Konzert in der Wiener Marx-Halle. Robert Smith und Co. kommen mit alten Hits, bislang unveröffentlichten Songs und einer bahnbrechenden Lichtshow. Die „Krone“ sah sich das herbstliche Konzerthighlight vorab in der Hamburger Barclays Arena an.

Ein paar Tage nach dem kommenden Wien-Konzert von The Cure in der Marx-Halle am 23. Oktober jährt sich das letzte Studioalbum der Grufti-Legenden zum 14. Mal. 14 Jahre lang spannt Vogelnest-Frisur Robert Smith seine vielen Fans nun auf die Folter, zuletzt wurde er gar wortbrüchig. Gleich zwei neue Werke ließ er in seinen äußerst seltenen Interviews anklingen, für eines davon hatte er schon den Titel „Songs Of A Lost World“ prophezeit. Eine mehr als akkurate Beschreibung für die Schieflage der globalen Gesellschaft, doch bloß: wir warten noch immer. Zumindest vor der heiß ersehnten Europatour im Herbst wollte Smith sein ambitioniertes Werk dann doch veröffentlicht sehen, aber an der praktischen Umsetzung hapert’s nach wie vor. Dabei lassen sich die ersten Lebenszeichen des Künftigen schon gut an. Mit dem unveröffentlichten „Alone“ starten The Cure derzeit sogar in ihre Liveshows - keine Selbstverständlichkeit für eine Band, die aus viereinhalb Dekaden Top-Hits schöpfen kann.

Düsteres an die Front
Die apokalyptisch-dystopische Botschaft, die uns Smith in dem Song samt langem Intro mitgibt, lässt nicht unbedingt auf eine schöne Zukunft hoffen, doch bei The Cure wird bekanntlich seit Anbeginn der Zeit auf Wehklagen und finsterste Melancholie gesetzt. Psychisch labilen Menschen verschreibt garantiert kein Arzt Alben wie „Disintegration“, auf denen Smith vor mehr als 30 Jahren, rund um seinen 30er, gegen die finstersten Dämonen seiner Midlife-Crisis und des nicht enden wollenden Erfolgs kämpfte. Nach ein paar poppigeren Alben wurden hier wieder metaphorisch Rasierklingen gewetzt - von ihrer Wirkung haben die Tracks nichts verloren. Gleich fünf spielen The Cure in Hamburg, dabei ist der erst spät gebrachte Superhit „Lullaby“ keinesfalls das große Highlight. Viel eher bleibt Smiths Gitarren-/Bass-Zusammenspiel mit Simon Gallup bei „Pictures Of You“ in Erinnerung, oder das einnehmende „Fascination Street“, das die Band mit Regenbogenlicht unterlegt.

(Bild: Chino Lemus/EPA)

Überhaupt ist die Barclays Arena eine geeignete Stätte für eine konzertante Aufführung wie diese. Das Licht ist klar und bunt, der Sound nach den ersten zwei, drei Nummern ziemlich ideal eingespielt und die Sicht aus wirklich allen Winkeln der Sitz- und Stehplätze optimal. Kein Wunder, dass die rund 15.000 The-Cure-Fans für das „Ausverkauft“-Schild sorgten. Smith, früher nicht immer beispiellos pünktlich und spielfreudig, hat sich schon vor Jahren zum verlässlichen Entertainer gemausert, und vollzieht seinen Dienst gleichermaßen mit Ernst und Freude. Die optische Mischung aus dem „Joker“ von „Batman“ und der 90er-Horrorkömodie-Legende „Beetlejuice“ trägt er mit der nötigen Selbstironie. Der eine oder andere Scherz und etwas Geplänkel mit dem Publikum ist mit Fortdauer des Sets auch drinnen. Auch alles andere als eine Selbstverständlichkeit, folgt man der Vita des scheuen Small-Talk-Verweigerers.

Zugänglich und massentauglich
Musikalisch changieren The Cure quer durch ihre bunte Schaffensphase, die im Prinzip nur aus zwei groben Überthemen besteht: bittere Verzweiflung und durchdringende, ehrliche Liebe. Kein Wunder, dass die kajalgeschminkten Briten die Posterboys der 80er-Jahre waren. The Cure waren ehrlicher als Depeche Mode, zugänglicher als Joy Division und massentauglicher als Bauhaus. Aus dieser Gemengelage heraus entstanden Songs wie „Cold“, „The Figurehead“ oder das fast orientalisch anmutende „At Night“, die Smith auch beide in Hamburg zum Besten gibt. Immer wieder verstärkten The Cure ihre Botschaften mit Stand- und Bewegtbildern auf ihren riesigen Videoscreens. In „Closedown“ rinnt uns unter wolkenbehangenem Himmel die Zeit in der Sanduhr durch die Finger, im neuen Song „And Nothing Is Forever“ bewundert man das Nordlicht und beim flotten „Shake Dog Shake“ werden für kurze Zeit auch einmal die einzelnen Bandmitglieder projiziert.

(Bild: Andreas Graf)

Derer sind es auf dieser Tour, übrigens erstmals seit knapp 20 Jahren, gleich sechs. Perry Bamonte kehrte vor wenigen Wochen nach 17 Jahren zurück und verstärkt nun mit der dritten Gitarre. Resultierend daraus können The Cure in ihrer Welt noch mehr experimentieren und klingen wuchtiger und opulenter. Beim sinistren „Lovesong“ oder der leider etwas kurz heruntergenudelten Version des Jahrhundertsongs „A Forest“ wird einem die Verstärkung gewahr. Selbst anfangs noch skeptische Fans sind da längst begeistert und bevor Smith den ersten seiner zwei Zugabenblöcke beginnt, hat er schon fast zwei Stunden konzertiert. Meine Sitznachbarin freut sich sicht- und hörbar, dass ihr Smith mehrere Stunden voller Jugendnostalgie zurückgibt, die Kollegen neben mir in der U-Bahn hingegen, hätten die 80 Euro nicht bezahlt, hätten sie gewusst, dass Smith das neue Album nicht im Vorfeld fertigkriegt. Doch die Musik spricht für sich. Der epische „Endsong“ ist eine der stillen Sensationen. Wenn sich der Track zum Finale in ein waidwundes, unaufhaltbares Crescendo verwandelt, ist man längst in den Bann des Sounds gezogen.

Heilsprediger ohne Jesus-Komplex
Mehr als zweieinhalb Stunden und 27 Songs soll die Reise dauern. Hie und da wird zwar ein Drumeinsatz verpasst, aber Perfektionismus und Lockerheit schreiten bei The Cure gemeinsam des Weges. Wer nur die allergrößten Charterfolge kennt und liebt, der braucht viel Geduld. Erst im zweiten Zugabenteil kommen Songs wie „Friday I’m In Love“, „Just Like Heaven“ oder „Close To Me“ zur Geltung, doch die wahren Glanzmomente finden ohnehin zuvor bei „Want“ oder dem erstmals auf dieser Tour gespielten „The Last Day Of Summer“ statt. So schwer die Songs von The Cure und die Welt im Allgemeinen auch sein mögen - wenn der 63-Jährige Smith auf der Bühne steht, dann ist er Seelsorger und Heilsprediger, ohne in einen Nick-Caveschen Jesuskomplex zu verfallen. Bei The Cure hat der Weltuntergang immer etwas Luftiges, leicht Greifbares. Bis die Spinne kommt und uns alle frisst. Smith weiß eben mit den Urängsten der Menschen zu spielen …

Live in Wien
The Cure kommen am Sonntag, 23. Oktober, für ein exklusives Österreich-Konzert in die Wiener Marx-Halle, wo sie zuletzt 2016 mit einer ausufernden Show voller Hits und Raritäten zu überzeugen wussten. Unter www.oeticket.com gibt es noch Karten für das Super-Highlight. Mit an Bord sind, auch wie schon anno dazumal, die schottischen Düster-Synth-Popper von The Twilight Sad.

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