Telefonseelsorge

„Die Verbundenheit macht es leichter annehmbar“

Oberösterreich
11.03.2022 15:00

Was tun, wenn die Seele leidet? Corona und nun der Krieg verlangen uns viel ab. Silvia Breitwieser von der Telefonseelsorge Oberösterreich über die Kraft von Beziehungen, Mutmacher und den Zauber des Frühlings.

Silvia Breitwieser macht einen Schritt zur Seite, bleibt stehen, hält ihr Gesicht in die Sonne und schließt die Augen. „Sich wärmen und nähren lassen“, sagt die Innviertlerin mit sanfter, fast leiser Stimme. Seit 2008 leitet die heute 51-Jährige die Telefonseelsorge in Oberösterreich: 365 Tage im Jahr rund um die Uhr ist der Notruf 142 besetzt. Erst die Corona-Pandemie, nun der Krieg in der Ukraine - die Belastung für die Menschen ist groß und damit auch der Redebedarf. „Es gibt viele wirklich schlimme Erfahrungen von Menschen, an denen sie vielleicht auch ein Leben lang verzweifeln“, sagt Breitwieser, die an diesem Tag noch bei einem Lehrgang in Tragwein einen Vortrag zum Thema „Wenn Kinder und Jugendliche dem Tod begegnen“ hält.

„OÖ-Krone“:Frau Breitwieser, seit mehr als zwei Wochen ist der Ukraine-Krieg omnipräsent. Wie sehr belastet das die Oberösterreicher?
Silvia Breitwieser: Der Krieg ist eine lebensbedrohende Erfahrung. Wir fühlen uns hilflos und so ohnmächtig. Die Leute gehen ganz unterschiedlich damit um. Manche versuchen, zu unterstützen. Andere, die vielleicht gerade einen lieben Menschen verloren haben, fühlen sich sowieso verletzlicher. Wenn dann noch mal ein Ereignis dazukommt, das zusätzlich eine Belastung darstellt, dann gilt’s, zu schauen, was ich jetzt tun kann, um das zu bewältigen.

Mehr als 90 ehrenamtliche Mitarbeiter greifen bei der Telefonseelsorge in Oberösterreich zum Hörer oder stehen per Chat-Beratung zur Verfügung. Worauf kommt’s da an, um helfen zu können?
Es geht da um die Haltung, bereit zu sein, Beziehung aufzubauen. Es geht darum, dass ich bewusst für jemand anderen da sein will, mir Zeit nehme. Wir wissen ja nicht, wenn wir abheben oder in den Chatraum gehen, was das Anliegen ist. Wenn Kommunikation und Beziehung gelingen, dann hilft das den Menschen.

Was spüren Sie und Ihre Mitarbeiter jetzt im Bezug auf den Krieg in der Ukraine?
Wir hören, dass bei Menschen, die Gewalterfahrungen in der Kindheit gemacht haben - zum Beispiel im Bosnien-Krieg - diese sofort auftauchen. Eine Frau zum Beispiel, die als Kind mit ihrer Familie flüchten musste, rief an. Sie hat ein kleines Kind, und jetzt kommen die ganzen Bilder wieder hoch.

Das klingt nach einem schlimmen Dé-jà-vu-Erlebnis.
Ja. Obwohl sie geglaubt hat, dass das gut verarbeitet ist und sie jetzt sicher in Österreich lebt und mitten im Leben steht, sind die Emotionen von damals wieder da - und die Bilder von der Flucht, von den Menschen, die sie zurücklassen mussten - und wie es ihrer Mutter dabei gegangen ist.

Und jetzt?
Es braucht Distanz und vor allem ein Wiedereinordnen der Dinge. Es geht darum, klar zu machen, was ist im Hier und Jetzt und was war in der Vergangenheit. Das hilft beim Verarbeiten.

Sie betonen Dankbarkeit als sehr wichtigen Schlüssel.
Dabei geht’s darum, dass ich die Aufmerksamkeit darauf richte, was in meinem Leben schön ist. Das können einfache Sachen sein, zum Beispiel, dass der Mann ein Essen zubereitet hat. In dem Moment, in dem der Blick auf etwas Positives gerichtet wird, ist es so, dass ich das körperlich wahrnehme. Ich erhalte mehr Hoffnung und Mut, dass es bewältigbar ist.

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Wir fühlen uns bei so einem Krieg hilflos und ohnmächtig. Manchmal ist da auch die Angst, dass irgendjemand eine falsche Entscheidung trifft.

Silvia Breitwieser

Zuerst Corona, jetzt der Krieg. War und ist das die fordernste Zeit für Ihr Team?
Das traue ich mir nicht zu sagen, denn es gibt viele wirklich schlimme Erfahrungen von Menschen. Das, was aber bei Corona und beim Krieg anders ist, ist, dass wir auch als Team davon betroffen sind. Es ist ja nicht so, dass uns das nicht berührt und beschäftigt.

Was macht die Arbeit in der Telefonseelsorge mit Ihnen?
Wenn man erfährt, wie sich das Leben bei anderen Menschen gestaltet, wie belastend es manchmal sein kann und mit welchen Erfahrungen manche leben müssen, dann ist nichts mehr so selbstverständlich.

Wie können wir alle besser durch diese Zeit kommen?
Achten Sie bewusst darauf, mit wem Sie jetzt Ihre Zeit verbringen, bei wem Sie sich angenommen fühlen. Wenden Sie den Blick auf etwas Gutes und Positives, das Sie innerlich erfreut oder sogar zum Lächeln bringt - trotz der Belastung und der Bedrohung, die da ist.

Gibt’s kein Pauschalrezept?
Nein, aber selbst eine Plauderei mit der Kollegin, bei der ich vielleicht nur erfahre, dass es ihr so wie mir mit der Kriegssituation geht, verändert etwas. Zu wissen, dass ich mit dem nicht alleine bin, sondern wir gemeinsam unterwegs und verbunden sind, macht es leichter nehmbar.

Und was machen Sie, damit Ihr Akku nicht leer wird?
Ich freu mich schon auf ein Wochenende, an dem es wärmer ist und ich endlich die Gräser abschneiden kann. Ich arbeite gern im Garten und in der Erde. Außerdem freu ich mich, wenn unsere Kinder am Wochenende heimkommen und wir gemeinsam essen.

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