Martin Gruber im Talk

„Die Autokraten versuchen, sich zu positionieren“

Vorarlberg
23.01.2022 09:30

Am Dienstag wird im Dornbirner Spielboden das neue Stück des aktionstheater ensembles, „Die große Show“, Premiere feiern. Im Interview spricht Regisseur Martin Gruber über Chancen der Krise und Humor.

Krone:Das Publikum in Wien kam schon in den Genuss Ihres neuen Stücks „Die große Show“. Es soll sehr amüsant sein.
Martin Gruber: Wir leben in einer Zeit, in der die Menschen einen immer erschöpfteren und verstörteren Eindruck machen. Deshalb wollte ich das neue Stück mit der anarchischen Kraft des Humors beginnen. Das ist immer noch die am besten funktionierende zersetzende Kraft. Hinter dieser Oberfläche lauert natürlich die Tragödie. Nicht nur in Österreich, sondern überall versuchen die Autokraten gerade, sich krampfhaft zu positionieren. Und mir geht es um diese extreme Ego-Show und die dahinter stehende Eitelkeit.

Krone: Sie sprechen damit die jüngste politische Vergangenheit Österreichs an?
Gruber: Gerade in dieser jüngsten Vergangenheit konnte man gut sehen, wie es nur um dieses eine Ich ging. Natürlich interessiert mich an solchen Dynamiken auch immer die narzisstische Störung dahinter. Und was wiederum hinter jeder narzisstischen Störung liegt: eine fürchterliche Leere. Wenn man eine Politik betreibt, in der es nur um Stimmenmaximierung geht, muss man permanent den Status quo aufrecht erhalten. Es kommt also zu einer ständigen Selbstoptimierung, die dann im Außen wirkt. Am Ende solcher Prozesse steht dann natürlich immer dasselbe, der Zusammenbruch. Damit sind wir beim Plot des Stücks.

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Corona hat zu einer Verdichtung der Probleme geführt. Nun finden sich die zusammen, die schon länger das Gefühl haben, abgehängt worden zu sein.

Martin Gruber

Krone: Der bekannte Psychiater Reinhard Haller spricht schon seit einigen Jahren vom Zeitalter des Narzissmus. Was macht der Narzissmus mit einer Gesellschaft?
Gruber: Ich denke, dass auch das zwei Seiten hat. Einerseits erkenne ich, vor allem bei der jüngeren Generation, eine zunehmende Solidarisierung. Durch die Pandemie ist das Bewusstsein dafür entstanden, dass sich eine Gesellschaft nur über das Miteinander bewerkstelligen lässt. Gegen diese Strömung stellt sich ein unglaublicher Narzissmus, der bei den Yuppies der 80er-Jahre seinen Anfang genommen hat und immer massiver wurde. Man kann also tatsächlich von einem Zeitalter des Narzissmus sprechen. Und eines ist auch klar: Der Narzisst erkennt immer einen anderen Narzissten. Man wählt sich also selbst.

Krone: Ein Problem auch unter den immer lauter auftretenden Verschwörungstheoretikern?
Gruber: Ja, viele denken, dass sie zur „wissenden Minderheit“ zählen. Corona hat zu einer Verdichtung der bereits vorhandenen Probleme geführt. Und nun finden sich diejenigen zusammen, die schon länger das Gefühl haben, abgehängt worden zu sein. Dass wir nun tatsächlich eine Impfpflicht brauchen, ist eigentlich ein Beleg für das Versagen von Politik und Gesellschaft. Ganz abgesehen davon, dass man schon annehmen hätte können, dass ein Vakzin gegen Corona dankbar angenommen werden würde.

Krone: Nun hat Österreich innerhalb kürzester Zeit zwei neue Bundeskanzler bekommen. Vom jetzigen, Karl Nehammer, waren seit Langem wieder versöhnlichere Töne zu vernehmen. Hat die Ego-Show nun ein Ende?
Gruber: Soweit würde ich nicht gehen. Aber immerhin wurde erkannt, dass es wie bisher nicht mehr funktioniert, dass es einen anderen Kurs braucht. Die Agenda, also das, was politisch durchgesetzt werden soll, dürfte aber dieselbe geblieben sein. Wenn auch auf etwas angenehmere Art. Ich denke, was wir jetzt diskutieren müssen, ist, wie wir Demokratie definieren. Nicht nur in Österreich, sondern weltweit. In den USA, in Russland, in der EU. Geht es eben nur um Stimmenmaximierung oder darum, die Probleme unserer Zeit zu lösen und dabei die Bevölkerung wirklich miteinzubeziehen? Eine reife Demokratie wird kommen, die wenigsten von uns werden sie aber noch erleben. Kleisthenes hat 500 vor Christi bereits vorgearbeitet, dann kam die Magna Carta im Jahre 1215. Heute leben wir in einer einigermaßen funktionierenden Demokratie. Und was da noch kommen wird, hat damit zu tun, was man dem anderen zugestehen will.

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Ich denke, was wir jetzt diskutieren müssen, ist, wie wir Demokratie definieren. Nicht nur in Österreich, sondern weltweit.

Martin Gruber

Krone: Sie haben Russland angesprochen. Ein Staat mit einem Präsidenten, der sich gerne mit Machtdemonstrationen hervortut.
Gruber: Bei Russland sind wir gleich wieder bei der narzisstischen Störung. Putin war KGB-Agent und kann es nicht fassen, dass die ganze Glorie der Sowjetunion mit dem Zusammenbruch verloren gegangen ist. Jedem, der wirklich bei sich ist, würde das nicht passieren. Er ist aber nicht der einzige.

Krone: Der Narzissmus auf den höchsten politischen Ebenen ist das eine Problem. Was aber macht diese Strömung mit den Menschen im Alltag?
Gruber: Es teilt. Wer ständig damit beschäftigt ist, sein Bild nach außen hin zu optimieren, verhindert Kommunikation. Bin ich ständig mit mir selbst beschäftigt, kann ich nicht beim anderen sein - und somit kann ich mich über den anderen auch nicht erkennen. Das führt zu Einsamkeit und Leere.

Krone: Die Bundesregierung macht sich nun in Kampagnen dafür stark, dass die Menschen wieder in Dialog miteinander treten. Die Fronten zwischen Befürwortern der Impfung und deren Gegnern haben sich massiv verhärtet. Meinen Sie, dass sich das wieder aufweichen lässt?
Gruber: Wenn etwas so eskaliert wie jetzt, gibt es immer die Chance, dass Missstände an die Oberfläche kommen. Und erst dann können sie auch bearbeitet werden.

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Die Frage ist, ob es immer nur die Rechten sind, die in dieses Vakuum greifen oder ob es vielleicht doch einmal zu einem echten Diskurs kommen könnte.

Martin Gruber

Krone: Welche Missstände zum Beispiel?
Gruber: Im Wort Demokratie steckt „Volk“ und „Macht“. Offensichtlich aber fühlt sich derzeit ein Teil des Volkes nicht an der Macht beteiligt. Die große Frage ist nun, ob es wirklich immer nur die Rechten sind, die in dieses Vakuum hineingreifen oder ob es vielleicht doch einmal zu einem echten Diskurs kommen könnte.

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