Libyen-Bombardement

Brennende Botschaften für toten Gadafi-Sohn

Ausland
01.05.2011 19:59
Mit der Zerstörung leerstehender westlicher Botschaften in Libyen hat Machthabar Muammar al-Gadafi auf das tödliche NATO-Bombardement in der Nacht auf Sonntag reagiert, bei dem Gadafis jüngster Sohn Saif al-Arab sowie drei Enkelkinder des "Revolutionsführers" getötet worden sein dürften. Vermutungen, dass es sich beim vom Regime vermeldeten Tod des 29-jährigen Sohnes um ein weiteres PR-Manöver des bedrängten Diktators gehandelt haben könnte, haben sich bislang nicht bestätigt.

Großbritannien und Italien haben die Angriffe auf ihre Botschaften in Tripolis am Sonntagabend verurteilt. "Die Wiener Konvention verlangt von der Gadafi-Regierung, diplomatische Gesandtschaften in Tripolis zu schützen", sagte der britische Außenminister William Hague in London. Weil Gadafi dies nicht einhalte, habe er den libyschen Botschafter nun des Landes verwiesen. Der Beamte habe nun 24 Stunden Zeit, Großbritannien zu verlassen.

Der Schritt kam, nachdem eine aufgebrachte Menge die leerstehende britische Botschaft in Tripolis angegriffen und zerstört hatte. Augenzeugen in Tripolis berichtete von schwarzem Rauch, der auch über der verlassenen italienischen Botschaft aufsteige. Die Büros im Gebäude seien geplündert worden, hieß es. Das italienische Außenministerium verurteilte den "Akt des Vandalismus" und kritiserte die libysche Regierung dafür, die Sicherheit der Botschaften nicht garantiert zu haben. Dies stelle eine "Vernachlässigung der elementarsten internationalen Verpflichtungen" dar, hieß es aus Rom.

Die libysche Oppositions-Zeitung "Brnieq" meldete am Sonntag, Gadafi-Anhänger hätten als Reaktion auf die Attacke der NATO die US-Botschaft in Tripolis angezündet. Die US-Diplomaten hatten die Vertretung ebenfalls bereits im Februar, kurz nach Beginn des Aufstandes gegen Gadafi, verlassen.

Villa oder "Kommandogebäude" bombardiert
Vorausgegangen war diesen Ereignissen der schwere Luftschlag der NATO, bei dem Gadafis Sohn Saif al-Arab sowie drei Enkelkinder des Diktators ums Leben gekommen sein sollen. Die libysche Regierung ließ Bilder der zerstörten Gebäude inklusive der beschädigten Wohnräume rund um die Uhr im Fernsehen ausstrahlen und ausländische Reporter bei geführten Touren durch das Militärviertel Bab al-Azizya, in dem sich auch Gadafis Residenz befindet, Fotos schießen. Bilder der Opfer gab es allerdings nicht.

Das getroffenen Haus des Sohnes sei in einem Wohnviertel von Bab al-Aziziya gestanden. Gadafi selbst hat sich nach Angaben der Regierung ebenfalls in dem Haus befunden, was allerdings überraschend wäre, da es seit längerer Zeit heißt, Gadafi verstecke sich im Bunkersystem der Bab-al-Azizya-Kaserne. Regierungssprecher Mussa Ibrahim meinte gegenüber westlichen Reportern, nun müsse es jedem klar sein, dass das, was in Libyen passiert, nichts mehr mit dem Schutz von Zivilisten tun habe.

NATO weist Vorwürfe zurück, Vatikan bestätigt Tod des Sohnes
Das westliche Militärbündnis konnte die Informationen am Sonntag nicht nachprüfen, es bestätigte lediglich einen Angriff auf ein "Kommando- und Kontrollgebäude" in Tripolis. "Wir greifen nur militärische Ziele an", hieß es im NATO-Hauptquartier. Der Kommandant es Einsatzes, der kanadische General Charles Bourchard, ergänzte: "Wir zielen nicht auf Personen."

Auch die britische Regierung konnte die libyschen Angaben nicht bestätigen und sprach von "unbestätigten Medienberichten". Hague und Premierminister David Cameron verteidigten aber die Luftangriffe auf libysche Ziele. Sie dienten dem Schutz der Zivilbevölkerung und befänden sich im Einklang mit der UNO-Resolution 1973.

Der apostolische Vikar von Tripolis bestätigte hingegen den Tod von Saif al-Arab Gadafi. Der 29-Jährige sei tot, sagte Bischof Giovanni Martinelli am Sonntag telefonisch dem italienischen Fernsehsender Sky TG24. Martinelli rief die internationale Gemeinschaft auf, das Bombardement Libyens einzustellen. Saif al-Arab ist einer der weniger bekannten Söhne Gadafis. Er studierte in Deutschland und kam dort mit seinem ausschweifenden Lebensstil mehrmals ins Visier der Behörden. Mit dem EU-Einreiseverbot für den Gadafi-Clan und ihm Nahestehende verlor Saif al-Arab seine Aufenthaltsgenehmigung.

Russland und Venezuela orten Mandatsverletzung
Sollten die Tode der Gadafi-Familienmitglieder bestätigt werden, könnte sich der Druck auf die NATO erhöhen. Kritiker monieren, die Allianz überschreite das UNO-Mandat und wolle Gadafi töten. Am Sonntag regten sich kritische Stimmen aus Russland: "Mehr und mehr Informationen deuten darauf hin, das die anti-libysche Koalition die leibhaftige Vernichtung Gadafis zum Ziel hat", sagte der außenpolitische Sprecher des Unterhauses im russischen Parlament, Konstantin Kosachew. Der venezolanische Präsident Hugo Chavez, ein langjähriger Verbündeter Gadafis, nannte den jüngsten Angriff einen Mordversuch. Der jüngste Luftangriff war der zweite innerhalb von 24 Stunden, der in Gadafis Nähe einschlug.

Der libyische Rebellenanführer Mustafa Abdel Jalil drückte am Sonntag sein Mitgefühl aus: "Wir fühlen Trauer und Schmerz für jedes Blutvergießen, auch wenn Gadafis Haus letzte Nacht bombardiert wurde. Aber das Blut von Gadafis Söhnen ist nicht wertvoller als das der libyschen Männer und Frauen."

NATO-Luftangriffe im Osten, Kämpfe an Tunesien-Grenze
Unterdessen zerstörte ein NATO-Luftangriff im Osten Libyens 45 Fahrzeuge der Gadafi-Truppen, wie ein Rebellen-Sprecher am Sonntag mitteilte. In den Städten Jalu und Awlijah, südlich der Frontlinie in der Nähe von Ajdabiya, hätten die Regierungstruppen am frühen Samstagmorgen das Feuer eröffnet und dabei mindestens fünf Zivilisten getötet. Als sie Jalu wieder verließen, sei der Konvoi von den Raketen getroffen worden.

An der Grenze zu Tunesien und in der südwestlich von Tripolis gelegenen Rebellenhochburg Zintan versuchten Gadafi-Truppen nach Augenzeugenberichten mit scharfen Geschützen vorzudringen. Rebellen und Regierungstruppen lieferten sich weiter Kämpfe um die Straße zwischen Nalut und Dehiba in Tunesien. Wie Augenzeugen berichteten, schlugen dabei auch mehrere Geschoße auf tunesischer Seite ein. Der Grenzposten von Dehiba ist seit Tagen umkämpft.

Gadafi blockiert Hafen von Misrata mit Angriffen
Am Abend haben Regierungstruppen den strategisch wichtigen Hafen von Misrata unter heftigen Beschuss genommen. Nachdem die Hafenanlagen bereits in der Früh beschossen worden waren, feuerten Regierungstruppen gegen 18.00 Uhr Dutzende Raketen auf das von Aufständischen kontrollierte Gelände ab. Dabei wurde der Haupteingang zerstört, mindestens zwei Rebellen kamen ums Leben.

Der Hafen ist der einzige Zugang zu der Küstenstadt, die seit zwei Monaten von den Truppen Gadafis belagert wird. Seit Tagen steht er im Zentrum heftiger Kämpfe. Ein Schiff der Internationalen Organisation für Migration, das Hunderte afrikanische Flüchtlinge an Bord nehmen soll, konnte weiterhin nicht in den Hafen einlaufen. Seit Wochen campieren die Flüchtlinge dort in der Hoffnung, einen Platz auf einem der seltenen Hilfsschiffe zu ergattern.

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