Tsunami entkommen
Japan: Betagte Geisha singt nun in der Notunterkunft
Ito - besser bekannt unter ihrem Künstlernamen Chikano Fujima - ist die letzte Geisha, die in der einstmals boomenden Stahlstadt noch Arbeit hat. Als die Flutwelle kam, bereitete sie sich auf einen Auftritt mit ihrem Shamisen, einer dreisaitigen Laute, in einem Luxusrestaurant vor. "Ich rannte die gleiche Straße entlang, auf der meine Mutter mit mir als Baby auf den Schultern vor einem Tsunami floh", erzählt sie. Kurz darauf rauschte die mächtige Welle heran und ließ ein Fahrzeug sowie riesige Trümmer in ihr Haus krachen. "Ich fand eine Leiche in meiner Wohnung, das war furchtbar", sagt sie. Das Wasser nahm alles mit, was Ito als Geisha braucht: "Kimonos, Gürtel, zwei Shamisen, Schmuck fürs Haar - alles ist weg", ist sie noch immer fassungslos. Nun ist eine Futon-Matte in einer Schulturnhalle das Zuhause der 84-Jährigen.
Die letzte von 100 Geishas in Kamaishi
Mit zwölf Jahren begann Ito ihre Karriere als traditionelle Unterhaltungsdame in der Stahlstadt 450 Kilometer nördlich von Tokio. "Ich fing als Geisha an, um meine Familie zu unterstützen, als mein Vater krank wurde. Aber schnell fand ich viel Spaß daran", sagt sie. Die talentierte Sängerin, Tänzerin und Musikerin war eine von rund 100 Geishas, die in Kamaishi arbeiteten. Kamaishi boomte nach dem Zweiten Weltkrieg als Industriezentrum, noch heute hat Japans größter Stahlkonzern Nippon Steel dort seine Hochöfen. Doch mit der ersten Rezession bei den Stahlhütten und der wachsenden Konkurrenz aus dem Ausland begann in den 1960er-Jahren Kamaishis Niedergang. "Jetzt sind alle Geishas weg. Ich bin als einzige übrig", sagt Ito.
Einige ihrer meist viel jüngeren regelmäßigen Auftraggeber sind in der Flutkatastrophe umgekommen, andere werden noch vermisst. "Dass viele meiner Anhänger nicht mehr da sind, bricht mir das Herz", sagt Ito. Trotz Verwüstung und Tod aber will die alte Dame weiter auftreten: "Ich möchte hier für alle singen und tanzen", sagt sie und intoniert einige Verse. Dazu spielt sie auf einer imaginären Laute. "Ich möchte allen Freude machen, sobald es mit dem Wiederaufbau losgeht", sagt sie. "Mein Gesang und mein Schwung ist mir geblieben. Das ist mein ganzer Stolz. Nicht einmal ein Tsunami kann ihn mir nehmen."
Über 11.000 Tote, mehr als 16.400 Vermisste
Indes ist die Zahl der nach dem verheerenden Erdbeben und dem darauffolgenden Tsunami offiziell für tot erklärten Opfer am Dienstag auf etwa 11.100 gestiegen. Über 16.400 Menschen werden nach wie vor vermisst. In der Präfektur Miyagi wurden bis jetzt 6.792 Todesopfer bestätigt, in Iwate 3.301. Für die Präfektur Fukushima wurden 1.017 Tote gemeldet - allerdings sind dort die Aufräumarbeiten wegen des beschädigten Atommeilers Fukushima 1 (zur aktuellen Lage am AKW siehe separate Story in der Infobox) äußerst schwierig. Rettungskräfte können wegen der Strahlengefahr nur schwer in der Zone rund um das havarierte Kraftwerk arbeiten. Bei etwa 4.000 Leichen, die in den drei Präfekturen gefunden wurden, ist noch unklar, um wen es sich handelt.
Ausländische Hilfe kommt nur schleppend an
Auch mehr als zwei Wochen nach der Naturkatastrophe kommen Hilfsgüter aus dem Ausland weiterhin nur zögerlich bei den Flüchtlingen an. Ein Mitarbeiter einer Botschaft in Tokio kritisierte in der Zeitung "Yomiuri": "Wenn wir mehr konkrete Informationen von der japanischen Regierung bekommen würden, welche Hilfen in bestimmten Gebieten benötigt werden, könnten wir effizienter helfen". Dem Bericht zufolge lagern in einigen Botschaften in Tokio Hilfsgüter aus dem Ausland, die allerdings nicht verteilt werden könnten, da Informationen von der japanischen Regierung ausblieben. Ein Mitarbeiter des japanischen Auslandsministeriums begründete dies laut "Yomiuri" unter anderem mit dem eingeschränkten Transportmöglichkeiten in den Katastrophengebieten. Auch gebe es vor Ort manchmal keinen Platz, die ausländischen Lieferungen zu lagern. Zudem bevorzugten viele Flüchtlinge japanisches Essen, wenn sie die Wahl hätten.
Nach Angaben des Außenministeriums bekam Japan Hilfsangebote von 133 Ländern und Regionen sowie 39 internationalen Organisationen. Davon habe die Regierung 21 Angebote angenommen, die Rettungskräfte und Experten beinhalteten, sowie 26, die Hilfsgüter wie Essen und Decken schicken wollten. Die EU hatte demnach bereits am 11. März Hilfslieferungen vorbereitet. Decken und Matratzen seien aber erst ab dem 26. März verteilt worden, hieß es. Ein Hilfsangebot aus Thailand über drei Millionen Tonnen Reis lehnte die Regierung überhaupt mit Bezug ab, da Japan selbst mehr als drei Millionen Tonnen Reis auf Lager habe. In den Unglücksregionen gebe es zudem keine große Nachfrage nach Reis.
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