In seiner Serie „Die Letzten“ porträtiert Autor Robert Schneider Menschen, die einem alten Handwerk nachgehen. In dieser Woche hat er Konditormeisterin Irmgard Marte in ihrem Geschäft besucht.
Das historische Ganahl-Areal in Feldkirch - die einstmals größte Baumwollspinnerei Österreichs - beherbergt heute im Erdgeschoss u. a. eine kleine Konditorei mit Café. „Versuchungen sollte man nachgeben. Wer weiß, ob sie wiederkommen.“ Dieses Zitat von Oscar Wilde ziert das Schaufenster des spartanisch möblierten Geschäfts, das zu einem Geheimtipp der Vorarlberger Konditoreiszene geworden ist. Das SchokoMus, so der Name der Konditorei, wird von einer jungen Frau geführt, die natürliches Selbstbewusstsein ausstrahlt. Irmgard Marte weiß, wer sie ist und was sie kann.
„Ich habe immer gern gekocht, schon als kleines Mädchen. Ich wollte Kochlehrerin werden, weil meine Mama auch Kochlehrerin war. Aber mein damaliger Freund meinte, das sei ein schlecht bezahlter Job. Er überredete mich, an der Uni zu studieren. Das war nicht meine Welt. Ich wechselte nach zwei Semestern an die Pädak und habe diese abgeschlossen. Während eines Praktikums war ich in einer Konditorei in Innsbruck. Das hat mich richtig angefixt. Ich aß bis dahin selten Schokolade, einfach, weil ich sie nicht mochte. Dort stellte ich fest, wie herrlich Schokolade mit ausgesuchten Ingredienzen schmecken kann. Ich wollte Konditorin werden.“
Neuer Ansatz im Konditorgewerbe
Irmgard serviert mir eine kleine Schale mit selbstgemachten Pralinen. Der Charme der filigranen Verzierungen fällt sofort ins Auge. Obwohl ich am liebsten über die Köstlichkeiten herfallen würde, widerstehe ich, entgegen des Ratschlags von Oscar Wilde. Man hat schließlich auch so etwas wie Kinderstube.
Was Irmgard Marte bekannt gemacht hat, war der neue Ansatz im Konditoreigewerbe. Einerseits die Erinnerung an die alte Handwerkskunst, die noch eine Ganzheitlichkeit kannte und die Jahreszeiten miteinbezog, andererseits Kreativität mit neuer Optik, neuen Geschmackskombinationen. „Wer mich mitten im Winter anruft und eine Erdbeertorte bestellt, dem muss ich höflich sagen, dass es bei uns im Winter keine Erdbeeren gibt. Meine Früchte kommen zum Teil aus dem eigenen Garten. Gestern zum Beispiel habe ich Brombeeren püriert. Es sah aus wie auf einem Schlachtfeld. Ich verzichte auf künstliche Zusatzstoffe und verwende ganz selten Backpulver oder Backtriebmittel. Wichtig ist mir, die Süße zu reduzieren. Bei den Dingen, die ich zukaufen muss, achte ich auf Qualität. Das bedeutet nicht, dass es immer das Teuerste sein muss. Bei den Zutaten werde ich aber niemals sparen. Entscheidend ist der natürliche Geschmack, und die Regionalität.“
Wer mich mitten im Winter anruft und eine Erdbeertorte bestellt, dem muss ich höflich sagen, dass es bei uns im Winter keine Erdbeeren gibt. Meine Früchte kommen zum Teil aus dem eigenen Garten.
Irmgard Marte
Keine Standardtorten
Ich blicke verstohlen auf die Glasschale mit den Pralinen und bleibe standhaft. Einfach nicht hinschauen, nehme ich mir vor, dann geht es leichter. Vielleicht fordert sie mich auch auf, endlich zu probieren, dann werde ich halt „i Gottsnama“ zugreifen.
Irmgard Marte hat aber auch in Sachen Optik die Szene hierzulande mächtig aufgemischt. „Früher waren Standardtorten üblich, die sich im Aussehen nicht wesentlich voneinander unterschieden haben. Ich habe von Anfang an kleine Einzelportionstörtchen gemacht.“
Sie zeigt mir eine „Deko“ in Arbeit. Es sind mit unglaublicher Präzision in Marzipan geformte Elemente für eine Tauftorte. „Die Leute mailen mir Sujets, Vorlagen, Bilder für den Kuchen, und ich versuche das nachzubilden, wobei Dekortorten in meinem Geschäft nicht im Vordergrund stehen. Mein Sortiment soll Vielfalt widerspiegeln.“
Torten in Sneaker-Form, Jedi-Ritter und Drachen
Sie kann einen Jedi-Ritter bauen oder einen Feuer speienden Drachen. Selten kommt sie, was die Geschicklichkeit betrifft, an ihre Grenzen. „Es gibt natürlich auch Wünsche, die ich nicht erfüllen kann, denn viele glauben, bloß weil sie es auf Instagram gesehen haben, müssten sie es jetzt auch sofort haben und zwar günstig. Einmal wollte jemand einen Nike-Turnschuh in Tortenform bestellen, der genau so aussehen musste wie der Schuh, den das Geburtstagskind bekommen sollte. Kein Problem, sagte ich, aber das braucht seine Zeit und hat auch seinen Preis. Die Ernüchterung kam schnell. Wenn Menschen das gelernte Handwerk, die Fertigkeiten und die Arbeitszeit nicht wertschätzen, dann macht mich das traurig.“
Das SchokoMus ist schnell bekannt geworden, vielleicht zu schnell. Auf einmal sah sich Irmgard überfordert. „Als Selbstständige bist du ja nicht fertig, wenn abends die Backstube aufgeräumt ist. Dann machst du noch deine Steuererklärung, die anstehenden Bestellungen und Überweisungen, checkst die Kundenmails ... Außerdem ist das ein Beruf, der auch vom Wetter abhängig ist. Ich kenne heiße Sommer, da habe ich Däumchen gedreht, weil nichts los war. Dann wieder Winter, wo ich oft nur drei Stunden geschlafen habe. Irgendwann hat mein Körper Halt! gerufen. Ich erlitt einen Bandscheibenvorfall.“ Inzwischen hat Irmgard das Nein sagen gelernt und die Öffnungszeiten reduziert. Außerdem unterrichtet sie nun an der Berufsschule für Konditoren.
Während des ganzen Gesprächs sehe ich die verführerische Schale mit den Pralinen. Schließlich behält Oscar Wilde Recht. Wer weiß, ob die Versuchung wiederkommt?
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