Libyen-Unruhen

Stürzt Gadafi Europa in die Ölkrise?

Ausland
22.02.2011 10:59
Libyen spielt auf dem internationalen Erdölmarkt eine wichtige Rolle. Das Land ist der viertgrößte Erdölproduzent Afrikas. Die Proteste gegen Machthaber Muammar al-Gadafi haben den Ölpreis bereits jetzt in enorme Höhen getrieben. Doch der Diktator des nordafrikanischen Staates sitzt nicht nur beim schwarzen Gold am Drücker. Von der EU lässt sich der Diktator bezahlen, um den Flüchtlingsstrom nach Europa einzudämmen.

Die Sorge vor Produktionsausfällen in Libyen hat die Ölpreise am Dienstag kräftig in die Höhe getrieben. Ein Barrel (159 Liter) der Nordseesorte Brent zur April-Lieferung kostete im frühen Handel 107,60 US-Dollar. Das waren 1,86 Dollar mehr als am Montag, als der Preis für Brent mit 105,08 Dollar bereits den höchsten Stand seit zweieinhalb Jahren erreicht hatte. Der Preis für ein Barrel der US-Referenzsorte West Texas Intermediate (WTI) legte ebenfalls deutlich auf 93,48 Dollar zu. Mit 94,49 Dollar war auch der US-Ölpreis zwischenzeitlich auf den höchsten Stand seit Oktober 2008 gestiegen.

"Libyen ist ein wichtiger Öl-Produzent und exportiert Rohöl von guter Qualität", erklärte Christophe Barret, Öl-Analyst bei der Credit Agricole. Vor allem die Drohung eines einflussreichen Stammes-Anführers im Osten des Landes, die Ölexporte zu behindern, sollte die Regierung weiter Demonstrationen gewaltsam verhindern, sei besorgniserregend. "Es herrscht Sorge, dass der Nachschub aus Libyen gestört werden könnte", sagte Tony Nunan, Risiko-Manager bei Mitsubishi Corp. "Die wichtigere Frage ist aber, greifen die Proteste auf Saudi-Arabien über?"

Nach Angaben der US-Energiestatistikbehörde EIA förderte das Mitglied der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) im Jahr 2009 täglich knapp 1,8 Millionen Barrel Öl. Damit lag Libyen hinter Nigeria, Algerien und Angola und war 2009 der weltweit zwölftgrößte Exporteur. Das Land exportiert rund 1,1 Millionen Barrel Öl pro Tag, Öl-Exporte dominieren mit 95 Prozent der Einnahmen die libysche Wirtschaft. Die nachgewiesenen Erdölreserven wurden Ende 2009 mit 44,3 Milliarden Barrel angegeben.

ÖL-Konzerne fliegen Mitarbeiter aus
Die Öl-Konzerne werden angesichts der zunehmenden Gewalt immer nervöser: So kündigte BP an, alle Vorbereitungen auf Testbohrungen für Öl und Gas im Westen Libyens einzustellen und seine Mitarbeiter aus Libyen auszufliegen. Auch die OMV holt seine österreichischen Mitarbeiter aus Libyen zurück und reagiert damit wie viele andere internationale Konzerne.

Doch auch Österreich hängt am libyschen Öl-Tropf: Die OMV erwirtschaftet ein Zehntel ihrer Öl- und Gasproduktion in Libyen. 15 Prozent des österreichischen Rohöls stammen aus Libyen. Besonders seit dem Krieg im Irak hat die OMV ihr Engagement in Libyen und Saudi-Arabien verstärkt, um die kriegsbedingten Ausfälle wettzumachen.

Nutznießer des hohen Ölpreises ist der Goldpreis, denn die Anleger flüchten vor den arabischen Protesten in das gelbe Edelmetall. Die Feinunze verteuerte sich am Montag um rund ein Prozent auf 1.402,48 Dollar oder 1.024,76 Euro und war damit so teuer wie seit Anfang Jänner nicht mehr. Am Dienstag folgten aber wieder leichte Abschläge. Auch Silber markierte mit 33,47 Dollar erneut ein 31-Jahres-Hoch. Platin hielt sich mit 1.848,75 Dollar in Reichweite seines Zweieinhalb-Jahres-Hochs von Anfang Februar und Palladium war mit 859 Dollar so teuer wie seit zehn Jahren nicht mehr.

EU in der Bredouille
Die EU kommt indessen nicht nur wegen der Preisrotationen am Weltmarkt ins Schwitzen. Gadafi war in den vergangenen Jahren ein wohl unbeliebter, aber doch begehrter Partner der Europäischen Union. Nicht nur als Wirtschaftsverbündeten wollte man den Wüstenstaat, auch bewachte der libysche Machthaber, wie er selbst sagte, "die Brücke nach Europa".

Der seit 1969 herrschende Revolutionsführer wurde mehrfach in Brüssel empfangen, doch aufgrund seines brutalen Vorgehens gegen seine Landsleute steht die EU jetzt vor einer pikanten Situation. Zwar zeigt man sich geeint, wenn es darum geht, die Gewalt zu verdammen. "Die Vorfälle in Libyen sind nicht hinnehmbar", meinte der französische Europaminister Laurent Wauquiez. Wenn es jedoch um die Strategie gegenüber Tripolis geht, zeigt sich die Union gespalten. Nordeuropäer wie der finnische Außenminister Alexander Stubb fordern klipp und klar, den Dauermachthaber in Tripolis auf dieselbe Stufe zu stellen wie den autoritären weißrussischen Präsidenten Aleksander Lukaschenko. "Wie können wir die Ereignisse verfolgen in Libyen mit über 300 Toten, wenn wir nicht über Sanktionen oder Einreiseverbote sprechen?", fragte der Minister aus Helsinki nach einem Treffen mit seinen europäischen Amtskollegen.

Italien steht auf der Bremse
Klare Aussagen der Union in Sachen Bestrafung von Gadafi gibt es aber nicht. Vor allem Italien bremst. Regierungschef Silvio Berlusconi bezeichnet den "Colonello", wie Gadafi in Italien auch genannt wird, als persönlichen Freund. Seit zwei Jahren gibt es ein Freundschaftsabkommen zwischen Italien und seiner ehemaligen Kolonie. Und Rom hat mächtig Angst angesichts einer drohenden neuen Flüchtlingswelle aus Nordafrika. Diese Befürchtungen werden auch von Malta und Zypern geteilt.

Gadafi erwies sich in den vergangenen Jahren allerdings des Öfteren als unberechenbarer Partner. Seine Auftritte in Brüssel waren ebenso spektakulär wie bizarr: Er ließ sich in einem Park ein Wüstenzelt aufbauen und wurde von bewaffneten Leibwächterinnen in Kampfanzügen umringt. Der Diktator forderte von den Europäern für das Eindämmen von Flüchtlingsströmen jährlich fünf Milliarden Euro - sonst lasse er das weiße, christliche Europa schwarz werden, lautete die offene Drohung.

Brüssel sicherte im vergangenen Oktober schließlich 50 Millionen Euro zu. Geld aus diesem Topf sei aber bisher nicht geflossen, versichert die EU-Kommission. Es ging dabei um bessere Technik für Grenzkontrollen oder die Unterbringung von Flüchtlingen. Über Flüchtlingswellen im Mittelmeer werde noch viel gesprochen werden, sagen Brüsseler Experten mit düsterem Unterton vorher. Minister Wauquiez gab für Frankreich schon einmal die Linie aus: "Es muss eine europäische Solidarität geben. Wenn es gemeinsame Grenzen gibt, werden sie gemeinsam verteidigt."

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