Kann Leben retten

Hinsehen und handeln: Mut zur Zivilcourage

Österreich
30.06.2021 05:55

Vom Einschreiten bei Gewalt gegen Frauen bis zur Ersten Hilfe: Sich für andere einzusetzen ist einfacher, als man denkt, und rettet Leben!

Erst nach sechs Stunden bemerkte eine Frau den toten Mann in der Straßenbahn, die durch die Schweizer Stadt Zürich fuhr. Zwei alkoholisierte Deutsche rammten mit ihrem Motorboot auf dem italienischen Gardasee ein anderes Boot - sie fuhren weiter. Zwei Menschen wurden tot aus dem Gewässer geborgen. Ein Unfallfahrer ließ in Lustenau in Vorarlberg eine bewusstlose Frau zurück. Drei aktuelle Beispiele, in denen niemand handelte und Zivilcourage zeigte und in den letzten beiden Beispielen sogar Fahrerflucht beging, was strafbar ist.

Wäre einem Fahrgast der Straßenbahn der Herzstillstand gleich aufgefallen, könnte der 64-Jährige noch leben. „Wichtig ist, dass man auf die Situation aufmerksam wird, hinschaut und die Person anspricht, wenn sie noch bei Bewusstsein ist und im Notfall die Rettung alarmiert“, appelliert Gerry Foitik, Bundesrettungskommandant beim Österreichischen Roten Kreuz. Weitere Details zur Hilfeleistung gibt es von Experten via Notruf.

Dass wir aber in die Situation kommen, einem Fremden zu helfen, passiert äußert selten. „Am häufigsten kommt Erste Hilfe im engen Bekanntenkreis vor – in der Familie, bei der Arbeit, mit Freunden“, so Foitik. Oft schwingt auch die Angst mit, dass man Verletzte durch sein Handeln noch mehr schädigen könnte. Der Bundesrettungskommandant beruhigt: „Das Einzige, was man falsch machen kann, ist, dass man nichts macht!“

Erste Hilfe ist nur ein Teil von Zivilcourage. Wenn wir zum Beispiel eine Rauferei sehen, hilft es, wenn man die Polizei alarmiert und die Beteiligten darüber informiert. Sich füreinander einzusetzen bedeutet auch, dass man Frauen anspricht, die gerade von Männern angepöbelt werden, oder wenn man dem betagten Nachbarn den Einkauf nach Hause fährt.

Zivilcourage hat viele Gesichter
Psychotherapeutin Nicola Tutsch erklärt im „Krone“-Interview den Zuschauer-Effekt - warum sich oft weniger Helfer finden, wenn viele rundherum sind.

„Krone“: Wer nichts unternimmt, macht indirekt mit. Sehen Sie das auch so?
Nicola Tutsch: Grundsätzlich ja. Allerdings muss man es ein wenig relativieren. Zivilcourage bedeutet, dass man die eigene Sicherheit und Bequemlichkeit in einer bedrohlichen Situation zurückstellt, um sich für eine gerechte Sache einzusetzen, die meistens mit immateriellen Werten zu tun hat. Das erfordert manchmal ganz schön viel Mut und ein Ausbrechen aus der Komfortzone. Nicht jeder Mensch ist in jeder Lebenslage fähig, für diese Werte einzustehen und damit auch im schlimmsten Fall das eigene Leben aufs Spiel zu setzen. Menschen verspüren in den Situationen, in denen man Zivilcourage braucht, einen Handlungsdruck, welcher unterschiedlich stark empfunden wird.

Zivilcourage zeigen, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Können wir das so rasch richtig einschätzen?
In einer Gefahrensituation reagiert unser Organismus mit einer enormen Adrenalin- und Noradrenalinausschüttung. Sind blitzschnelle Reaktionen notwendig, die unser Überleben sichern, verarbeitet und bewertet die Großhirnrinde die Situation nicht mehr, und so reagieren wir ohne nachzudenken. Es kann aber auch dazu führen, dass wir wie erstarrt sind. In Situationen, in denen wir Ungerechtes beobachten und die mit unseren eigenen Wertvorstellungen nicht vereinbar sind, passiert etwas Ähnliches. Dennoch sollte man kurz innehalten und die Situation analysieren, wie man am besten helfen kann. Im Alltag braucht es nicht nur in Gefahrensituationen Zivilcourage, sondern auch im Falle von Mobbing am Arbeitsplatz oder in der Schule. Hier findet ein längerer Denkprozess statt. Zivilcourage ist auch wichtig bei Rassismus, Belästigung, Ausgrenzungen etc..

Fakten

Unterlassene Hilfe wird bestraft
Im Strafgesetzbuch gibt es vor allem einen Paragraphen, der das Thema Zivilcourage betrifft: §95 (Unterlassung der Hilfeleistung) verpflichtet Bürger, sich um Mitmenschen zu kümmern, wenn diese in Gefahr sind. Die Pflichten sind weitgehend. Wird ein Fahrgast in einer U-Bahn bedroht, muss zumindest die Polizei gerufen werden. Doch es gibt eine wichtige Einschränkung: Man muss sich nicht selbst in Lebensgefahr bringen. Besteht die Möglichkeit, durch den Griff zum Handy den Hass von Gewalttätern auf sich zu ziehen, kann er unterbleiben. In Einzelfällen kann sogar Anklage wegen Mordes erhoben werden. Dann nämlich, wenn durch eine unterlassene Hilfeleistung jemand stirbt.

Alltagshelden gibt es sehr viele, aber es schauen auch immer mehr weg oder nur zu.
Dies hat mit eigenen Werten und Bewertungen zu tun. Wenn ich einen Klaps am Po eines Kindes okay finde, dann werde ich mich vermutlich wenig dafür einsetzen, dass dies nicht passiert, wenn ich es in der Öffentlichkeit beobachte. Wenn mein eigenes Leben durch den Einsatz meiner Zivilcourage in Gefahr ist, dann kommt es auf meine eigene psychische Konstitution an und die Priorität des Themas für mich. Zivilcourage wirkt am besten, wenn man sich in der unmittelbaren Situation Mitstreiter sucht. So hat man nicht die alleinige Verantwortung und fühlt sich stärker. Und man stellt sicher, dass nicht der „Bystander-Effekt“ eintritt. Er bewirkt, dass umso mehr Zuschauer eine bedrohliche Situation hat, umso weniger eingreifen. Man denkt: „Wenn der andere nichts tut, greife ich nicht ein.“

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