Entgegen aller Beteuerungen der jüngeren Vergangenheit hat der Tiroler Musiker/Literat/Vollblutkünstler Hans Platzgumer mit seiner Band Convertible unlängst doch noch ein neues Album veröffentlicht und lässt auch auf Livekonzerte hoffen. Wir trafen uns mit dem 51-Jährigen auf Tee und Apfelstrudel, um über das neue Werk, seine einzigartige Karriere und die Bedeutung von Kunst zu sprechen.
Ein Mann mit Weitsicht war der Innsbrucker Hans Platzgumer schon immer. Nicht umsonst prangte schon 1987 der Titel „Tod der CD!“ von seinem ersten Album. Darauf kam der Großteil der Menschheit erst zwei Dekaden später. Nach der Matura zog es Platzgumer vom ländlichen Innsbruck ins provinzielle Wien. Von dort ins kühle Berlin und schlussendlich nach New York, wo er mit seinem Kumpel Andy „Frank“ Pümpel Ende der 80er-Jahre die Rock-Band H.P. Zinker ins Leben rief. Damit befand sich der junge Österreicher plötzlich inmitten des aufkommenden Grunge-Booms, bevor es Grunge überhaupt gab. Zahlreiche Auftritte im CBGBs, Drogen und Freundschaften mit Helmet, Evan Dando von den Lemonheads oder der Jon Spencer Blues Explosion folgten. 1995 folgte die Rückkehr nach Europa, musikalisch strahlte er zweiseitig aus. Einerseits als elementares Mitglied im Hamburger Punk-Kollektiv Die Goldenen Zitronen, andererseits als visionärer und nicht greifbarer Elektronik-Musiker mit der unbändigen Lust am Experimentellen.
Rund ums Millennium erkannte Platzgumer die Tücken des Musikgeschäfts und seine Liebe zur Literatur und konzentrierte sich vermehrt aufs Schreiben. Als pointierter Essayist, Autor und Romanschreiber hat sich der in Bregenz und Wien wohnhafte 51-Jährige längst etabliert, doch die Liebe zur Musik lässt ihn nicht los, auch wenn er den Abschied von dort schon mehrfach ankündigte. Mit seinem 2004 ins Leben gerufenen Art-Pop-Projekt Convertible veröffentlichte Platzgumer im November „Holst Gate II“, den zweiten Teil eines losen Konzeptalbums über sein vor zwei Jahren ins Leben gerufene Alter Ego Colin Holst, das hauptverantwortlich dafür ist, dass wir Platzgumer auch noch musikalisch bewundern können. Die eingängigen, aber inhaltlich eher negativ behafteten Songs auf dem neuen Werk atmen zu jeder Zeit die Luft der Beatles und suhlen sich längst mehr im Erwachsenenpop als im ungestüm-juvenilen Anarcho-Sound. Krach sollen andere machen, weiß Platzgumer, der sich sein Rebellentum mit einer gewissen Reife erhalten hat. Wie er uns auch im ausführlichen Interview erzählt.
„Krone“: Hans, du hast im Frühling im Netz ein Corona-Logbuch geschrieben, das auch im „Profil“ veröffentlicht wurde.
Hans Platzgumer: Das habe ich im Wochentakt geschrieben und es war die beste Idee. Als Schriftsteller muss man versuchen, das Unverständliche zu beschreiben. Die Welt war schnell überfüllt von Corona-Tagebüchern und ich wollte mich da bewusst rausnehmen und habe mich dann für den Wochentakt entschieden. Ich habe die sieben ersten Lockdown-Wochen geschrieben und das hat mir irrsinnig viel Feedback gebracht.
Wie sehr hat dich die Pandemie schon im Frühling in deinem Sein eingeschränkt?
Für mich war es nicht so schwer. Ich bin weder alleine, noch lebe ich in beengten Verhältnissen. Diese Extreme sind sicher heftig, aber ich lebe mit Menschen, die ich liebe und die mir nicht auf die Nerven gehen. Mehr als sieben Wochen mal nicht wirklich rauszukommen war sehr angenehm. In den letzten 20 Jahren war ich sonst maximal zwei Wochen durchgehend daheim. Eher maximal eine Woche am Stück. Es war eh zu viel und mein ökologischer Fußabdruck war sehr schlecht. Mir ging auch das Reisen auf die Nerven und ich möchte viel von dem, was ich jetzt anders mache, beibehalten. Ich will nur mehr fliegen, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Meine Erkenntnis daraus ist, dass Corona alles verstärkt, was schon da war. Das Gute wie das Schlechte. Es bleibt spannend, welche Mächte sich am Endeffekt durchsetzen.
Bist du dahingehend eher Optimist, Pessimist oder Realist, der irgendwo in der Mitte steht?
Die Wutbürger gab es schon vorher, aber sie steigen jetzt noch mehr auf die Barrikaden. Alle Seiten werden sich weiter verhärten und entscheidend wird es für die westliche Welt wohl, wie die USA weitermachen. Spannend wird auch, wie China das Vakuum ausnutzt. Es betrifft einfach jeden Bereich des Lebens. Den großen geopolitischen und jeden einzelnen von uns. Corona dringt in die kleinsten und intimsten Bereiche des Alltags ein. Dass sich jeder in gewisser Weise ändern muss ist die größte Chance, die die Menschheit seit langer Zeit bekommen hat. Vielleicht auch die letzte Chance, um es ein bisschen zu überspitzen. Der Planet hält uns nicht mehr aus. Schon früh haben sich die Religionen darauf gestürzt und Kardinal Schönborn hat die Pandemie nicht als Strafe, sondern als Zeichen Gottes gesehen. Ich habe nichts mit Religion am Hut, fand das aber sehr witzig.
Das neue Convertible-Album „Holst Gate II“ musstest du im Endeffekt pandemiebedingt auch etwas verschieben.
Nicht wirklich, es war alles so geplant. Die ersten zwei Songs kamen schon im Mai raus und die Planung, dass das Album im Herbst kommen sollte, war immer so. Man kann nur nicht wirklich auftreten. Ich habe Großveranstaltungen aber nie gemocht und da kommt mir Corona recht. Ich mag es nicht, wenn mir Leute zu dicht naherücken. Egal ob im Fußballstadion oder bei einem anderen Event - ich fühle mich damit nicht wohl. Die ganze Szene könnte sich etwas gesundschrumpfen, auch das aufgeblasene Event Musikbusiness. Bei den Großevents geht es um die Sause und nicht mehr um die Musik. Man muss dabei sein, alles fotografieren und schnell rundum teilen, aber es geht sehr selten um die Künstler, die auf der Bühne stehen. Vielleicht tritt da eine Änderung ein, dass kleine Konzerte mit bis zu 500 Leuten besser wertgeschätzt werden. Ich habe schon Konzerte gespielt, wo das Publikum lauter war als wir selbst in den ruhigen Passagen. Vor etwa 15 Jahren habe ich in München die Frames gesehen und die wechseln zwischen laut und leise und dort war das gleich. Die haben das Konzert dann abgebrochen, weil es so störend war und dafür habe ich Verständnis. Wir haben ein Festivalangebot abgelehnt, dass Corona-gerecht mit maximal 91 Dezibel Lautstärke gewesen wäre. Da sind wir kaum zu hören wenn die Leute im Publikum quatschen und das macht keinen Spaß. Unter diesen Bedingungen muss ich nicht spielen.
Die Musik für „Holst Gate II“ stand schon vor der Pandemie, nehme ich an?
Wir hatten schon alles aufgenommen, aber das Feintuning und das Mastern kam erst später. Wir sind sehr detailverliebt und haben wirklich viel Aufwand dafür aufgewendet. Wir haben ein Riesenalbum mit Bläsern und Streichern gemacht, wie es heute gar nicht mehr geht. Fast schon unverschämt, aber wenn wir was machen, dann ordentlich. Lustigerweise passt das Album auch textlich zu der Welt, in der wir uns gerade befinden. Nicht dass wir das geahnt hätten, aber die Dinge, die schiefgehen, die gab es auch schon vor Corona. Die Misere der Gesellschaft ist länger erkenntlich.
Ist das Album konzeptionell doch stärker geopolitisch angehaucht?
Es ist ein bisschen wie das erste „Holst Gate“. Ich wollte ja gar keine Alben mehr machen, aber es hat sich ergeben, dass ich in das Alter Ego Colin Holst schlüpfte und mich das wieder motivierte. Das ist nun das zweite Album dieser quasi fiktiven norwegischen Band, die durchaus politisch denkt. Die Songs haben - mal mehr, mal weniger - schon eine Aussage. Auf dem ersten „Holst Gate“ hatten wir den Song „Shadow Scene“ und darin ging es um Donald Trump direkt nach der Wahl. Ich schreibe die Texte immer mit einer alten Freundin und Lyrikerin aus Boston. Sie ist sehr stark von den Geschehnissen in den USA beeinflusst.
Wenn man als Künstler gerne auf Dinge aufmerksam macht und aufrütteln will, verliert man nicht die Lust am Weitermachen, wenn die Welt dann doch immer schlimmer zu werden scheint?
Als Künstler ist es noch einfach, wie wenn man Politiker wäre. Wenn man eine dieser Raritäten „integrer Politiker“ ist und man bei jedem Schritt nach vorne zwei zurück geht, muss das ungemein frustrierend sein. Als Künstler hat man immer noch die Selbstverwirklichung. Das Kreieren von Kunst ist stark in mir drinnen und diesem Drang muss ich nachgeben. Je frustrierter ich bin, umso mehr kommt raus. Kunst passiert nicht aus einem Wohlgefühl, sondern eher aus einer Not, einem Gefühl der Ungerechtigkeit oder aus einer Wut. Die Musik geht also immer weiter, auch wenn die Welt sich nicht bessert. Frustrierend ist eher, wenn man wie ich seit Jahrzehnten dabei zusieht, wie der Musikkonsum immer oberflächlicher und weniger wertgeschätzt wird. Vor acht Jahren habe ich mit Didi Neidhart das Essay „Musik ist Müll“ veröffentlicht und das ist immer noch Tatsache. Damals kamen gerade die Streamingplattformen auf und das war der Sargnagel für das Musikbusiness. Seit damals hat sich gar nichts zum Besseren entwickelt. Ich lebe nur mehr für die wenigen Ausnahmen, aber weit mehr als 90 Prozent der Musik ist eine Plätscherei, die nichts aussagen soll und einfach passieren muss. Wert und Aussagekraft sind weg und das frustriert. Man legt alles hinein in Songs, die einem am Herz und in der Seele liegen und merkt, wie die Leute kurz reinhören und dann weitergehen.
Gerade in den 60er-Jahren haben sich Bob Dylan, Joni Mitchell und Co. sehr stark um gesellschafspolitische Belange gekümmert, Protestsongs geschrieben und gegen Dinge angekämpft. Diese Haltung ging irgendwann verloren, doch jetzt wäre wieder die Zeit da, als Künstler Statements zu setzen - dafür passiert relativ wenig. Wie sieht das jemand wie du, der aus dem Punk stammt?
Es passiert nicht viel, aber es passiert eher in Nischen und nicht mehr im Mainstream. Dylan und Co. waren damals mit Protestsongs in den Charts, heute wird allem, was gut gemeint ist, eine Marketingglocke drübergesetzt. Alles soll authentisch sein, wird aber unglaubwürdig. Bevor etwas entstehen kann, ist auch wieder alles erstickt, weil die Dinge zu schnell gehen. Wenn Popsongs nur mehr acht Sekunden Zeit haben um ihre Hörer zu finden, macht das alles keinen Sinn. Im Punk macht man kurze Songs und ich bin selbst ein schneller, energetischer Mensch, aber Songs müssen auch tiefgehen können. Insofern bin ich froh, dass ich mein Hauptstandbein in der Literatur habe. Man kann viel tiefer in die Herzen der Leser gehen. Sie sind dort quasi gezwungen, sich mit einem Buch in Ruhe auseinanderzusetzen, auch wenn das Lesen immer oberflächlicher und kürzer wird. Man ist länger und tiefer mit den Gedanken des Autors beschäftigt als beim Streamen mit dem Protestsong. Ich habe Kinder im jungen Erwachsenenalter und deren Lieblingsmusik ist textlich gar nicht so unähnlich zu früher. Deutschsprachige Rap-Sachen klingen fast eins zu eins so, wie wir vor 20 Jahren mit den Goldenen Zitronen gesungen haben. Es wird nur nicht mehr so ernst genommen. (lacht) Vielleicht ist das aber auch gar nicht so schlecht.
Früher H.P. Zinker und die Goldenen Zitronen, heute Convertible - du warst schon immer schillernd im Untergrund, der aneckt. Gehst du heute, mit zunehmendem Alter, anders an politische Songs und Themengebiete heran als früher?
Das Rebellentum ist schon noch da, aber es wird anders ausgelebt. Der Vorteil der Jugend ist die Energie und die Arroganz, die man im Alter nicht mehr haben darf. Das hat den Vorteil von Weitblick, Erfahrung und Wissen und kann Zusammenhänge besser begreifen. Die Jugend hat aber mehr Kraft, Willen und Naivität, die einem Energie verleiht. Ich habe früher vieles gemacht, das mir heute richtig peinlich ist, aber damals hat es gepasst und den Nerv der Zeit getroffen. Durch das Schreiben von pointierten Essays finde ich eine adäquate Umsetzung vom früheren politischen Rebellentum, das ich einst in Punksongs steckte. Es wäre sinnlos und fad, würde ich heute noch kurze Punk-Songs schreiben.
Die Musik ist mittlerweile ein reines Hobby von dir geworden. Bedeutet wahrscheinlich auch, dass du einen spielerischeren Zugang dazu hast als früher.
Das Wort Hobby ist nicht das richtige, weil das so nicht ganz stimmt. Mein Beruf ist sicher mehr die Schriftstellerei und bei der Musik mache ich auch Auftragswerke für Theater oder anderes, wo ich im Brotjob viel Geld verdiene. Damit kann man sich das Hobby gemütlicher finanzieren. Hobby und Spielerei sind dann Dinge wie „Holst Gate II“, wo ich mit meiner Band einfach eine schöne Zeit verbringe und es uns richtig vorkommt, diese Songs mit Leuten zu teilen und - so selten wie möglich - kleine Konzerte zu spielen. Das sind dann Herzensangelegenheiten. In meinem ganzen Leben ging es mir noch nie um Geld. Seit nach der Matura, mit 17, bin ich freischaffender Künstler. Also schon einige Donnerstage. (lacht) Seitdem schlage ich mich durch, aber es ging immer mehr recht als schlecht. Es läuft auf einer gemischten Ebene aus Sachen aus Jobs, für die man viel zu gut bezahlt wird und Jobs, wo man unglaublich viel Arbeit reinsteckt, aber so gut wie nichts dafür kriegt. Mir ist aber beides gleich wichtig, weil es mein Herz machen will. Die großen, fetten Geldjobs ermöglichen erst, dass ich so viele Jahre in ein neues „Holst Gate II“-Album stecken kann, wo ich oft wochenlang an einem einzigen Song herummixe. Andererseits helfen die Lieblingsprodukte im kleinen Rahmen auch den großen Jobs, weil man vielleicht dadurch dorthin kommt. Mir wird nie langweilig. Ich weiß nicht, ob Glück das richtige Wort ist, aber ich mache immer das, was ich für richtig halte. Ich muss mich nicht verbiegen und habe keine Gier. Im Leben geht es darum, erfüllt zu sein. Das ist das Wichtigste auf diesem Planeten und das habe ich über ein halbes Jahrhundert lang erreicht.
Du bist schon sehr jung Ende der 80er-Jahre nach New York gegangen um in die Welt des Punk einzutauchen. Hast du früh gemerkt, dass die Grenzen Tirols, später Wiens und im Endeffekt Österreichs für dich viel zu eng gesteckt waren?
Absolut. Ich habe 1987 in Innsbruck maturiert und bin am selben Tag mit dem Moped nach Wien gefahren. Kurz darauf bin ich ins etwas größere Berlin, das noch in Ost und West geteilt war und die nächste Stufe war dann New York. Selbst das war mir dann irgendwann zu eng. Die East-Village-Noise-Szene war auch ein kleiner Klüngel an Individuen. Natürlich ist New York um das mehr als 20-fache urbaner als Wiener, aber innerhalb der Szene gab es kleine Strukturen mit denselben Leuten in denselben Ecken. Es gibt in der Retrospektive viel, was ich gerne anders gemacht hätte, aber es ist müßig darüber nachzudenken. Man darf die Fehler nur nicht wieder machen. Es gab schon Momente, wo ich die falsche Richtung einschlug. Als Jugendlicher vertut man sich leichter, denn später hat man Lebenserfahrung und mehr Bewusstsein für Entscheidungen. Umsicht und Geduld fehlten mir als Junger komplett. Ich wollte die Welt erobern und das, was das Geilste ist, als erstes machen. Natürlich ist das nicht immer das Klügste. (lacht)
Du bist damals im Umfeld der Indie-Szene rund um Helmet oder den Lemonheads aufgewachsen. Evan Dando war ein wichtiger Teil deines frühen musikalischen Lebens - schon eine sehr spannende Sache.
Ich habe mit ihm in den USA zu zweit mal eine Akustiktour gemacht. Es entstanden auch interessante Labels wie Matador, wo ich an deren ersten Veröffentlichung beteiligt war. Von der Erinnerung kann man sich aber nichts kaufen und wenn man anfängt so zu denken, dann kommt man schnell in den Nostalgietunnel. Dann ist man auf dem Abstellgleis und verklärt die Vergangenheit. Matador hat sich nur wegen Hans Platzgumer gegründet - in der Alternative-Nische klingt das natürlich sensationell, andere Leute haben aber nie was davon gehört und dessen muss man sich immer bewusst sein. Für den Großteil der Menschen ist man ein Furz im Wind. Viele sind im Älterwerden dazu verleitet, alles von früher als aufregender und besser zu sehen, aber ich bekämpfe das innerlich vehement. Mir ging es oft wirklich dreckig und es waren verdammt beschissene Zeiten dabei, wo viel falsch lief. Ich war kein besserer Mensch, es war keine bessere Welt und ich war kein besserer Künstler als heute. Auch wenn ich es mir so einreden könnte. Ich will im Moment das Beste machen und die Welt beeinflussen und möglichst keinen Schaden anrichten. Ich will Leute heute gerne inspirieren und dadurch selbst ein sinnvolles und erfülltes Dasein im Jetzt erschaffen. Das ist wichtiger als das ewige Zurückschauen.
Du hast dich aber auch nie an bestehenden Strukturen festgeklammert. Dich weder musikalisch wiederholt, noch bist du mit Zwang nur bei der Musik geblieben. Hast du schon immer gesucht, experimentiert und weitergedacht?
Das war mir immer wichtig und ich habe nie bereut, dass ich nie stehengeblieben bin oder stagniert habe. Es gab immer ein neues Abenteuer. Vielen wurde das zu viel und so einige wünschten sich, ich wäre an bestimmten Stationen stehengeblieben, aber das wäre nie ein Thema gewesen. Ich habe viele abschreckende Beispiele von Kollegen gesehen, die frustriert sind, weil sie sich künstlerisch nie mehr neu erfinden und alles nur mehr routiniert abspulen. Das ist der Tod aller künstlerischen Bestrebungen. Redundanz in einer Maschine, wo man immer in denselben Hallen spielen muss - grauenhaft. Es ist vielleicht kommerziell für den Moment klüger, aber nicht nachhaltig. Irgendwann merkt auch der größte Fan, dass die fünfte gleiche Platte nur mehr ein Aufguss des Debüts ist. Was machst du dann? Dann kannst du in der Versenkung verschwinden und zehn Jahre später ein Revival machen. Das ist das Allerschlimmste. Ich wurde unlängst gefragt, wieder eine H.P. Zinker-Tournee zu spielen, aber das käme für mich niemals in Frage. Ich spiele mit Convertible neue Musik und wenn wir Lust haben, covern wir ein, zwei Songs von H.P. Zinker, aber die Band so wiederauferstehen zu lassen ist eine grauenhafte Vorstellung. (lacht)
Reunions gibt es im Musikbereich wie Sand am Meer.
Oft sind es alte Freunde, denen fad ist oder die einfach wieder Spaß haben wollen - dagegen ist nichts einzuwenden. Aber wenn es darum geht, dass man nur noch schnell den Rubel einsacken will, dann ist das tieftraurig. Das ist nicht nur Verrat an der Kunst im Allgemeinen, sondern auch an der eigenen Biografie. Ich könnte mich dann nicht mehr im Spiegel anschauen.
Die Musik mit Convertible wird auch immer eingängiger, was ich nicht negativ meine. Da du offen und bekannt ein großer Fan der Beatles bist, hat man das Gefühl, du lässt diesen Pop-Momenten immer mehr Raum.
Ich weiß nicht, ob das mit einem Reifeprozess oder einer gewissen Altersmilde einhergeht, das man etwas abgeschlagenere Hörner hat. Ich bin viel anspruchsvoller als früher, tüftle länger an Dingen herum und dadurch werden die Songs runder, die früher lärmiger und eckiger waren. Da ging es aber mehr um die Energie, die Gewalt und die Rebellion. Das ist heute nicht mehr ganz so. Ich habe heute wohl auch eine größere Toleranz. Ich fände es peinlich, wenn jemand mit meiner Erfahrung und in meinem Alter einen Text gegen Trump oder Strache schreibt und ihn als „Arschloch“ beschimpft. Das geht mit 16, aber nicht mehr mit 50. Da muss man mehr aussagen, damit es stimmig bleibt. Man hat eine intellektuell höhere Latte. Dafür habe ich aber energetisch oder von einer Provokation heraus gesehen weit weniger Kraft. Die Songs werden dadurch aber nicht flacher, sondern ausgereifter.
Hat sich der Zugang zur Musik durch deinen Fokus auf die Schriftstellerei automatisch mitverändert?
Natürlich, aber es verändert sich alles immer zusammen. Auch die Theatermusiken, die ich machte, wirken sich auf alles andere aus. Für die Theatermusik musst du alles können und machen, da kann wirklich alles passieren von Schubert-Arien über Hendrix-Gitarren bis hin zu Slapstick-Einlagen. Dadurch lernt man viel und das Spektrum wird größer. Wenn man jung anfängt in einem speziellen Segment, dass man mitbegründet, wie es damals eben Alternative, Grunge oder einfach Independent war, dort hineinsticht und wildert. Jahrzehnte später hat man aber neue Einflüsse und Erfahrungen und da muss man weiter ausholen. Insofern sind die „Holst Gate“-Alben sehr abwechslungsreich. Auf dem neuen Album gibt’s auch Elektronisches ebenso wie Bandarrangements oder Streicher. Ob es ein „Holst Gate III“ geben wird? Ich weiß es nicht. Vor haben wir es nicht. (lacht)
Gerade das erste „Holst Gate“-Album war schon eine sehr große Solosache. Hat sich das auf diesem Album doch deutlich geändert bzw. erweitert?
Die Songs stammen alle von mir, gleich wie beim ersten „Holst Gate“-Album. Damals habe ich fast alle Songs selbst eingespielt, jetzt haben wir die Instrumente aber klar verteilt und ich spiele nur mehr ein bisschen Akustikgitarre. Diese tollen Musiker könnten auch meine Söhne sein und jeder hat seinen ganz einzigartigen Sound, der sehr charakteristisch ist. Dadurch wurden die Möglichkeiten breiter. Ich kann ganz gut Gitarre spielen, aber der Stil des Profis hebt das auf eine neue Ebene. Das haben wir in der Produktion ausgenützt. Drumherum habe alles ich gemacht, aber dennoch ist es weit mehr ein Bandalbum als das erste. Kunst muss immer eine klare Vision haben - das unterscheidet die gute von der weniger guten. Wenn das nicht der Fall ist, dann plätschert sie oft zu sehr einfach so dahin und das braucht kein Mensch. Ich bringe es jedenfalls nicht übers Herz, meine Vision wegen Kompromissen zu verwässern. Meine Band meint, ich wäre zwar ein Diktator, aber ein guter. (lacht)
Als jemand, der schon in den frühen 90er-Jahren nach New York flüchtete - wie hat sich Wien für dich verändert?
Das kann man gar nicht vergleichen. Das Internet hat die Welt komplett verändert und man kann gar keinen Vergleich mehr ziehen. Früher war es wichtig, dass ich von Innsbruck nach Wien ging. Man musste aus der Provinz raus, weil man keine Möglichkeiten hatte. Genauso war es mit den Schritten nach Berlin und dann nach New York. Als Musiker musstest du nach New York oder London gehen, sonst hättest du international nie was erreicht. Heute ist es ziemlich egal, wo man sich befindet. Du kannst auch nicht mehr heraushören, ob die Band aus Krems oder Los Angeles kommt. Alles ist so vernetzt und die Jugendlichen in Krems nehmen genauso daheim im Schlafzimmer ihre Songs auf wie die Kids in L.A.. Mein Sohn zog für das Studium von Bregenz nach Wien und es macht keinen Unterschied. Er lebt gleich mondän und kriegt gleich viel von der Welt mit, egal wo er gerade ist. Früher musstest du in die Zentren gehen, weil nur dort hattest du Chancen, auf dich aufmerksam zu machen und inspiriert zu werden. In der Provinz wäre man verkümmert.
Die Menschen leben zu 80 Prozent in einer virtuellen Welt, die in Chicago nicht anders ist als in Linz. Die Leute haben heute eine irrsinnige Bequemlichkeit, aber es fehlt oft an der Dringlichkeit und der Überzeugung. Das merke ich bei neuerer Literatur und auch bei neuer Musik. Man spürt nicht immer, dass jemand wirklich etwas sagen will und genau wo damit hin will. Es muss in der Kunst immer um Leben oder Tod gehen. Damals war das notgedrungen so, weil man auswandern musste, um erfolgreich zu sein. Man stand anfangs vor dem Nichts und musste sich hochkämpfen. Du bist sofort mit einer Dringlichkeit konfrontiert. Wir haben etwa dutzende Male im CBGBs gespielt. Als Vorband oder Rausschmeißer. Dieses Hochkämpfen gibt es gar nicht mehr. Die Bequemlichkeit schwächt aber die Kunst. Mein Lebensweg von damals wäre heute gar nicht mehr möglich.
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.