Drama in Tirol

„Unsere lauten Hilfeschreie fanden nirgends Gehör“

Tirol
04.10.2020 12:00
Der Tod einer 13-jährigen Tirolerin, die an einer Überdosis gestorben sein soll, schockierte Mitte August weit über die Landesgrenzen hinaus. Im Gespräch mit der „Krone“ schildern nun ihr Papa und ihre Tante, wie die Schülerin im Drogensumpf versinken konnte und beklagen, dass ihre Hilferufe von niemandem gehört wurden.

Blaue Augen, lange blonde Haare, ein hübsches Lächeln, ein fröhlicher Gesichtsausdruck: Auf einem Schulfoto sieht die 13-jährige Tirolerin Melina (Name von der Redaktion geändert) aus wie ein normales Mädchen. Nichts deutet darauf hin, dass sie psychisch stark angeschlagen ist und in ihrem zarten Alter immer wieder starke Drogen zu sich nimmt - ein Konsum, der ihr, wie berichtet, am 12. August das Leben kostete.

Die Geschichte der unmündigen Minderjährigen – erzählt von ihrem Papa und ihrer Tante – ist traurig, bestürzend, unfassbar. „Wir haben alles unternommen. Doch unsere lauten Hilfeschreie fanden nirgendwo Gehör!“, betonen sie im Gespräch mit der „Krone“.

„Plötzlich wurde sie als auffällig ruhig wahrgenommen“
Angefangen hat alles im Februar dieses Jahres. „In der Schule war Melina ein kleiner Rabauke. Plötzlich wurde sie als auffällig ruhig wahrgenommen. Es stellte sich heraus, dass sie zu kiffen begonnen hatte – um zu vergessen, was ihr bisher alles widerfahren ist“, sagt ihr Papa, „alles, was ich ihr gesagt hatte, war in ihren Augen schlecht. Daher benötigte ich professionelle Hilfe“.

„Zuerst Ecstasy und dann Subutex gespritzt“
Er habe folglich auch versucht, sich diese zu organisieren – indem er sich ans Jugendamt wandte, diverse Jugendanlaufstellen kontaktierte und für seine Tochter nach einem Platz in der ambulanten Betreuung suchte. „Ein Schulpsychologe sagte ihr, dass sie übergangsweise fremd untergebracht werden könne. Sie bemerkte plötzlich, dass sie vogelfrei war. Dass ihr weder von uns – wir durften sie nicht gegen ihren Willen zu Hause festhalten –, noch der Polizei oder dem Jugendamt etwas passieren konnte. Das war der Startschuss für das Drama“, gibt die Tante von Melina preis.

Kurz darauf habe die 13-Jährige Ecstasy genommen, dann sei alles schnell gegangen. „Sie erlitt eine Überdosis. 14 Tage später kam die zweite Überdosis. Sie hatte sich das Drogenersatzmedikament Subutex in den Arm gespritzt“, schildert ihr Papa mit Tränen in den Augen. Einige Wochen später habe Melina beabsichtigt, mit einer Freundin nach Hause zu kommen. „Am Telefon merkte ich, dass sie unter Drogeneinfluss stand. Ich wusste, dass die Situation eskalieren würde, daher habe ich die Polizei alarmiert“, verdeutlicht ihre Tante.

„Mit Handschellen und Helm nach Hall gebracht“
Als sie selbst dort ankam, habe sie ihren Augen kaum getraut: „Melina wurde mit Handschellen befestigt aus dem Aufzug begleitet. Sie hatte einen Helm auf und schrie laut um Hilfe.“ Die 13-Jährige sei von den Polizisten in die Kinder- und Jugendpsychiatrie in Hall gebracht worden. „Ich bin hinterhergefahren. Mein Bruder, der verzweifelt und ratlos war, hatte mir die Vollmacht erteilt“, so die Tante.

„Man könne sie nur 24 Stunden dortbehalten“
Die beiden wollten nicht, dass Melina die Station wieder verlässt. „Denn ihr ging es wirklich nicht gut und wir waren machtlos“, begründen sie. Bereits bei den beiden Überdosen sei die 13-Jährige von der Klinik nach Hall überstellt und jedes Mal wieder entlassen worden.

Und wieder habe die Leitung den Verwandten eine Absage erteilt: „Obwohl in den Befunden von der Klinik eine Selbstgefährdung diagnostiziert wurde, wurde Melina als nicht suizidgefährdet eingestuft. Denn sie habe nie betont, dass sie sich umbringen wolle. Daher könne man sie nur 24 Stunden in Hall behalten“, erklärt die Tante. Melina selbst habe sich nicht behandeln lassen wollen.

Aus Schutz der 13-Jährigen gegenüber haben sich Papa, Tante und eine Sozialarbeiterin darauf geeinigt, Melina am folgenden Tag nicht in Hall abzuholen. „Plötzlich stand sie mit der Klinikhose bekleidet vor meiner Tür. Sie hat sich umgezogen und ist wieder gegangen“, erläutert die Tante.

Gefälschter Ausweis, um an Drogen zu kommen
Wenige Tage vor ihrem Tod sei die 13-Jährige zu einem Bekannten nach Telfs gefahren. „Dabei handelt es sich um den Vater jenes Jungen, in den sie sich verliebt hatte“, sagen Papa und Tante. Doch plötzlich sei sie nicht mehr erreichbar gewesen. „Wir haben sie überall gesucht. Auch bei der Mentlvilla Innsbruck, einer Anlaufstelle für Suchtkranke. Dort hatte sie sich mit einem gefälschten Ausweis Zutritt verschafft und ist so zu den Drogen gekommen. An verbotene Substanzen gelangt man viel zu einfach“, kritisiert die Tante.

Die erfolglose Suche habe in einem nächsten Schritt zur Polizei geführt. „Melina war dort bekannt. Wir wollten eine Vermisstenanzeige aufgeben. Teilten den Beamten mit, dass sie sich zuletzt in einer Wohnung in Telfs aufgehalten habe und baten die Polizisten, sie dort herauszuholen. Die Antwort: Man sei kein Taxiunternehmen.“

Und dann kam jener Mittwoch, an dem das Leben der 13-Jährigen zu Ende ging. Auch wenn das toxikologische Gutachten noch ausständig ist, deutet alles auf eine Überdosis hin.

„Wieso haben die Ärzte das nicht gemacht?“
„Jeder wusste Bescheid. Wir haben zugestimmt, Melina stationär zu behalten. Wieso haben die Ärzte das nicht gemacht? Denn nun haben wir unser Kind für immer verloren“, trauern Papa und Tante.

Jasmin Steiner, Kronen Zeitung

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