Nach Fleischskandal:

„Fantasienamen sind keine Kennzeichnung“

Tirol
28.06.2020 13:00

Zugunsten der Großen seien die Kleinen über Jahre systematisch zerstört worden, sagt Landwirt Hans Unterkircher - und: „Ohne Boykott der Konsumenten ändert sich nichts.“

Eine breite Einfahrt führt zum Hof der Familie Unterkircher im Tiroler Absam. Rechts und links davon liegen frisch gemähte Felder, Kälber begrüßen die Besucher mit einem Schlecken über den Handrücken. Ein Ohr ist eingerissen – „das ist wegen der neuen Marken, die sie tragen müssen“, sagt Hans Unterkircher, „darin befindet sich ein Chip, der ist zu schwer.“

Viele Auflagen
Tatsächlich ist auf der gelben Markierung dasselbe Symbol zu sehen, wie auf kontaktlosen Bankomaten. Es sei eine der unzähligen Auflagen, die der Tiroler Bauer erfüllen muss – und mit denen „die Kleinen sukzessive zerstört wurden, denn das kann sich ja kein Mensch mehr leisten“, sagt Unterkircher, in seinem Wintergarten sitzend.

Seine Frau Annemarie serviert Holundersaft, auch Fritz Gurgiser, Obmann des Transitforums Tirol, nimmt Platz – denn sie alle vereint dieselbe Haltung: „Eine Richtungsänderung in der Lebensmittelindustrie, im Handel, in der Gastronomie ist unverzichtbar“, sagen sie und sprechen damit die aktuelle Debatte an.

„Warum bauen wir nicht auf unsere Strukturen?“
Nachdem bekannt wurde, dass die deutsche Großschlachterei Tönnies, in der sich über 1500 Menschen mit Corona infiziert hatten, auch nach Tirol lieferte, gingen die Wogen einmal mehr hoch. Denn unter Markennamen, die Tierwohl und Regionalität suggerieren, werden Produkte verkauft, deren Zutaten, wie berichtet, aus fragwürdigen Bedingungen für Mensch und Tier entstehen. „Das tut natürlich weh“, sagt Unterkircher, „das tut jedem weh, der fühlen kann - aber noch viel wichtiger: Es ginge anders.“

Wenn man auf die vorhandenen Strukturen aufbauen würde – ohne Transporte, Milchpulver, Antibiotikum und gestressten bis gequälten Tieren – wenn man wieder kleine Metzgereien hätte, die das Fleisch vermarkten und Kunden, die nicht nur auf den Preis, sondern auf Herkunft und Qualität achten – „dann gibt es doch nur Gewinner“, sagt Unterkircher.

Natürlich wäre das Fleisch etwas teurer – „aber ja auch weitaus besser“, ist der Bauer überzeugt. Früher habe der Landwirt mit Zuchtbetrieb selbst geschlachtet, aber durch die massiven Auflagen rentiert sich das nicht mehr – er musste auslagern, „aber Metzger gibt es ja auch kaum noch.“

„Im europäischen Raum sind wir Schrebergärtner“
„Die Industrie macht uns kaputt, im europäischen Raum sind wir Schrebergärtner“, sagt der Landwirt. Die Politik habe indes die Strukturen für die aktuelle Situation geschaffen - auf sie sei kein Verlass. „Die einzige Möglichkeit, die wir haben, ist der bewusste Boykott aller Produkte, bei denen nicht klar ersichtlich ist, woher sie kommen“, sagt deshalb Fritz Gurgiser.

Der Konsument habe die Wahl, ob er sein Geld in die regionale Kreislaufwirtschaft oder in Großbetriebe im Ausland investiert. Eine verpflichtende Kennzeichnung sei zudem unumgänglich, denn „Fantasienamen sind keine Kennzeichen.“

Der Kampf geht weiter
Eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung „auf dem Teller“ fordert neben der Landwirtschaftskammer nun auch die „Rinderzucht Tirol eGen“, denn rechne man die Entwicklung der vergangenen Jahre hoch, so komme in rund zehn Jahren das gesamte Kalbfleisch aus dem Ausland. Ein Kurs, der auch für andere Fleischsorten gelte. Im Sinne der Chancengleichheit sei eine verpflichtende Kennzeichnung daher unumgänglich.

Die „Tiroler Krone“ fragte bereits zu Wochenbeginn bei der Wirtschaftskammer nach, wieso man sich bei diesem Thema so quer stelle. Während Josef Hackl, Obmann der Sparte Tourismus, aufgrund des „unzumutbaren bürokratischen Aufwandes“ vehement gegen eine Kennzeichnungspflicht in der Gastronomie ist, zeigte sich Tirols Wirtschaftskammerpräsident Christoph Walser im Laufe der Woche gesprächsbereiter. Man könne über eine Herkunftspflicht diskutieren, wenn im Gegenzug die Ausweisungspflicht für Allergene wegfallen würde, sagte Walser gegenüber dem ORF Tirol.

„Regionalität würde Tiertransporte beenden“
„Mir geht das alles viel zu langsam. Ich kann die fadenscheinigen Ausreden nicht mehr hören, warum die Tiroler und Gäste kein Recht darauf haben sollten, zu erfahren, woher das Fleisch am Teller kommt“, kritisiert hingegen Georg Kaltschmid, Landwirtschaftssprecher der Tiroler Grünen.

Man müsse mutige Schritte setzen und geschlossen auf die Bundesregierung einwirken, heißt es von der Partei, denn: „Auch der Verkehr wird reduziert, wenn das Fleisch aus der Umgebung kommt, statt hergekarrt aus Ungarn oder den Niederlanden. Das würde auch die qualvollen Tiertransporte reduzieren. “

Anna Haselwanter
Anna Haselwanter
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