„Gefahr im Verzug“

Warum im Herbst die Pleitewelle droht

Wirtschaft
27.06.2020 06:00

Im ersten Halbjahr gab es 600 Insolvenzen weniger als im selben Zeitraum 2019. Kommt Österreich also mit blauem Auge durch die Krise? Im Gegenteil, sagen Kreditschützer.

Ein Viertel weniger Firmenpleiten, über ein Drittel weniger Privatinsolvenzen: Auf den ersten Blick scheint es, als ob die österreichische Wirtschaft unbeschadet durch die größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg taucht. Doch der Schein trügt: „Gefahr im Verzug“, warnt der Gläubigerschutzverband KSV1870 und wendet sich in einem offenen Brief an die Bundesregierung. Denn die verzögere mit ihren Maßnahmen die Insolvenzwelle und schade so der gesamten Wirtschaft. „Nur weil weniger Insolvenzen angemeldet werden, heißt das nicht, dass weniger Unternehmen zahlungsunfähig sind“, sagt Karl-Heinz Götze, Insolvenz-Experte beim KSV.

Der KSV sieht drei Gründe, warum die Zahlen im Vergleich zum Vorjahr so drastisch gesunken sind: Ist ein Unternehmen zahlungsunfähig, hat es 120 Tage Zeit für einen Insolvenzantrag – vor Corona waren es nur 60 Tage. Zudem würden viele Betriebe warten und hoffen, mithilfe von Förderungen und staatlicher Unterstützung wieder auf die Beine zu kommen. Und: In der Vergangenheit waren die meisten über nicht bezahlte Abgaben an Finanzbehörden oder Gesundheitskasse gestolpert.

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In der Krise kümmern sich Menschen zuerst um Gesundheit, dann um Finanzen.

Creditreform-Boss Gerhard Weinhofer

2,65 Milliarden Euro werden fällig
Die stellen aber zurzeit keine Insolvenzanträge, und haben den Firmen die Beiträge gestundet. 150.000 Unternehmen haben das bei der Sozialversicherung in Anspruch genommen – ein Volumen von 2,25 Milliarden Euro. Dazu kommen 400 Millionen Euro bei der Österreichischen Gesundheitskasse. Geld, das die Unternehmen nach der Krise voraussichtlich nachbezahlen müssen.

Kreditschützer fordern nun eine rasche Rückkehr zum Insolvenzrecht vor Corona, unter den aktuellen Bestimmungen würden Firmen dazu ermutigt, Insolvenzen zu verschleppen: „Es reicht. Wir müssen unseren Wirtschaftsstandort wieder in ein vernünftiges Fahrwasser führen. Endlose Stundungen und Verschleppungen von Insolvenzen beschönigen rein die Statistiken, schaden aber mittel- bis langfristig der heimischen Wirtschaft“, sagt KSV-Geschäftsführer Ricardo-José Vybiral.

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Endlose Stundungen und Verschleppungen von Insolvenzen beschönigen Statistik.

KSV-Chef Ricardo-José Vybiral

Schafft die Verschleppung „Zombieunternehmen“?
Der Gläubigerschutzverband Credtireform fürchtet gar, dass die Verschleppung „Zombieunternehmen“ schaffe: unrentable und überschuldete Unternehmen, die nicht genug einnehmen, um ihre Zinsverpflichtungen zu decken. „Sie sind unproduktiv und verursachen volkswirtschaftlichen Schaden“, sagt Creditreform-Geschäftsführer Gerhard Weinhofer.

Probleme gäbe es auch bei Privatinsolvenzen, so Weinhofer weiter: „In einer Krise kümmern sich die Menschen zuerst um Gesundheit und soziales Umfeld und erst dann um finanzielle Angelegenheiten.“ Im ersten Halbjahr 2020 wurden 3706 Privatinsolvenzen eröffnet, im selben Zeitraum 2019 waren es 2000 mehr gewesen. Ein Grund für das Minus sei die fehlende Schuldnerberatung, ein anderer Ratenstundungen. „Laufen die irgendwann aus, wird aus einem Verschuldeten schnell ein Überschuldeter“, so Weinhofer.

Teresa Spari, Kronen Zeitung

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