Zweifel an Effekt

600.000 enthaftete Sittentäter in den USA am Pranger

Ausland
10.08.2010 16:08
Im Umgang mit freigelassenen Sexualstraftätern kennen die USA keine Gnade. Sogenannte Internet-Pranger, wie sie gerade in Deutschland diskutiert werden, sind seit langem Wirklichkeit. Mit ein paar Mausklicks lassen sich - inzwischen über 600.000 - Verurteilte sofort identifizieren. Dabei kollidiert deren Wunsch nach einer neuen Chance im Leben mit dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit. Der Umgang mit Sittentätern ist in Einzelfällen so unfair, dass Bürgerrechtler am Sinn solcher Bloßstellungen zweifeln.

Alle 50 US-Bundesstaaten führen Register mit Sexualstraftätern. Viele sind öffentlich zugänglich im Internet mit Name, Foto, Adresse - darunter etwa auch die Daten von Wendy Whitacre aus Georgia, deren Fall immer wieder von US-Bürgerrechtlern angeführt wird. Sie war 17 Jahre alt, als sie von einem jüngeren Mitschüler ein eindeutiges Angebot erhielt. Es kam zu einvernehmlichem Sex. Es folgte eine Verurteilung - für sie, nicht für ihn, denn der Bub war mit 16 Jahren laut Georgias Gesetzen zu jung für Geschlechtsverkehr. Whitacre fühlt sich durch den über zehn Jahre alten Internet-Eintrag bis heute stigmatisiert, Mitbürger meiden sie wie eine gefährliche Kriminelle.

Bereits 600.000 Bloßgestellte
Eine Kernfrage der Internet-Pranger lautet: Welche Personengruppe soll überhaupt bloßgestellt werden? In den USA ist der Kreis weit gefasst. In fünf Bundesstaaten werden laut Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch auch Männer registriert, die beim Besuch von Prostituierten erwischt werden. In 13 Staaten reicht öffentliches Urinieren für einen Eintrag. In 29 Staaten kann einvernehmlicher Geschlechtsverkehr zwischen Teenagern auf diese Weise geahndet werden. In 17 Bundesstaaten bleiben die Einträge lebenslang.

Die Register quellen über, sie verzeichnen inzwischen mehr als 600.000 Namen. Details des Tathergangs fehlen oft. Bei besorgten Bürgern bleibt deshalb der Eindruck, alle Registrierten seien Vergewaltiger und Kinderschänder. Und der Trend beim Umgang mit Sittentätern in den USA geht nun sogar noch in Richtung Verschärfung. Lange schon haben Kandidaten für politische Ämter das Thema als Chance zur Profilierung beim Wähler entdeckt. Da sich kein Kandidat der Nachsicht gegenüber Sexualstraftätern bezichtigen lassen mag, will jeder noch härter sein als der jeweilige Gegner. Das Ergebnis sind Bestimmungen, die scharf sind bis hin zur Unanwendbarkeit.

Umstrittene Sperrzonenregelungen
Ein neues Phänomen sind Sperrzonenregelungen für Sexualtäter. In manchen Gegenden etwa dürfen wegen Sittlichkeitsdelikten Verurteilte nicht im Umkreis von 800 Metern von Schulen oder anderen Orten wohnen, wo sich Kinder versammeln können. Das gilt etwa auch für Parks und Sportplätze - in dicht besiedelten Großstädten bleibt so praktisch kein Platz für die entlassenen Täter.

In Miami mussten schon mehrere Verurteilte ihre Wohnung verlassen, sie wurden von den Justizbehörden aus Mangel an Alternativen in ein Lager unter der Julia-Tate-Brücke verwiesen, wo es weder Strom noch Wasser gab. An dem Elends-Camp für Straftäter entzündete sich eine Debatte, im April 2010 wurde es nach drei Jahren aufgelöst, die meisten Bewohner sind obdachlos. Der verurteilte Straftäter Kevin Morales, der unter der Brücke lebte, sagte einem Fernsehteam von CNN: "Im Gefängnis ist es viel besser als das Leben, das ich hier führe. Dort bekomme ich zu essen und kann duschen."

Bürgerrechtler orten Ineffektivität
US-Bürgerrechtler kritisieren den Umgang mit solchen Tätern als überzogen und letztlich ineffektiv, räumen aber auch ein, dass die Gesellschaft ein Anrecht auf Schutz vor gefährlichen Verbrechern hat. Die Expertin Sarah Tofte von Human Rights Watch mahnt zum Maßhalten: Register für Sextäter seien sinnvoll für die interne Polizeiarbeit, die Öffentlichkeit solle aber nur in extrem gefährlichen Fällen unterrichtet werden.

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