„Krone“-Interview

Bischof Glettler: „Üben wir eine neue Dankbarkeit“

Tirol
05.04.2020 13:00

Solche Ostern hat Tirol noch nie erlebt. Das gemeinsame Feiern ist abgesagt. Ein Gespräch mit Innsbrucks Bischof Hermann Glettler über Facebook-Messen und Lehren aus der Krise.

„Krone“:  Ostern – das wichtigste christliche Fest – steht heuer unter besonderen Vorzeichen. Wie werden in der Diözese Innsbruck die Feierlichkeiten abgewickelt?
Bischof Glettler: Wir werden die Gottesdienste nur mit extremen Einschränkungen feiern können. Osterfeuer und Ostergräber gibt es nicht. Es ist die Zeit der Haus-Kirche. In einigen Kirchen wird die Kar- und Osterliturgie stellvertretend für die gesamte Bevölkerung gefeiert werden, vier Personen inklusive Pfarrer. Das ist eine Notlösung. Die Feier des Palmsonntags und des Ostersonntags wird per Radio aus dem Bischofshaus übertragen. (Anmerkung: Beginn ist um 10 Uhr).

Wie kann eine Familie Ostern daheim feiern?
Zum Glück gibt es die Möglichkeit, dass per Radio, Fernsehen und Livestreams Menschen an den Gottesdiensten Anteil nehmen können. Die Nachfrage nach diesen Angeboten ist erfreulich hoch. Zusätzlich wird heuer auch ein spezielles Magazin an alle Haushalte verschickt, um eigenständiges „Ostern-Feiern“ allen zu ermöglichen. Es ist nicht schwierig. Im Glauben zählt das Von-Herz-zu-Herz-Prinzip. Auf der Homepage der Diözese Innsbruck gibt es dazu Anregungen.

Seelsorge bedeutet, nahe am Menschen zu sein. Vor allem in Krisenzeiten. Reichen da Gottesdienste auf Facebook und im Radio aus? Wie gehen Sie persönlich mit der Aufforderung zu Distanz um, wenn Nähe gefragt ist?
Die Seelsorge steht tatsächlich in einer Spannung. Einerseits wächst der Bedarf an tröstendem Beistand und Begleitung – auch bei Angehörigen und beim Personal in Spitälern und Pflegeheimen, andererseits soll dadurch niemand zusätzlich gefährdet werden. Viele Frauen und Männer in der Seelsorge gehen sorgfältig mit dieser Spannung um. Ich versuche auch meinen Beitrag zu leisten – mit vielen Telefonaten, geistlichen Impulsen und anderen Zeichen. Ich möchte den Leuten Mut und Zuversicht geben, gerade jetzt, wenn Geduld gefragt ist und Stressmomente zunehmen. Nähe ist zuerst eine Frage des Herzens. Aber dennoch tut das Fehlen körperlicher Nähe vielen auch weh. Was die soziale Herausforderung betrifft: Von der Caritas wurde in Zusammenarbeit mit der „Krone“ ein kirchlicher Corona-Nothilfefonds eingerichtet. Auch das ist solidarische Nähe, gerade jetzt!

Die Karwoche erzählt vom Sterben und Auferstehen Jesu: In der Corona-Krise ist auch viel vom Sterben die Rede, jedoch noch wenig von Auferstehung. Was ist mit jenen, die danach als große Verlierer dastehen? Welche Osterbotschaft gibt es für sie?
Die Botschaft von Ostern ist keine Vertröstung. Es geht um die Nähe Gottes in allem, was unser Leben ausmacht und belastet. Mit dem Kreuz Jesu ist mitten in menschlicher Ausweglosigkeit Gottes Nähe erahnbar. Die Auferstehung Jesu bedeutet den Sieg über die letzte, alles zerstörende Sinnlosigkeit, nicht das Verschwinden von Problemen. Nach dem Abflachen der Epidemie werden alle gesellschaftlichen Kräfte gefragt sein, um den sozialen und wirtschaftlichen Wiederaufbau zu meistern. Ostern ist ein heilsames Trotzdem inmitten der Krise und die Anstiftung zur Nächstenliebe. Der Glaube gibt Aufsteh-kraft und die nötige Energie zum Durchhalten.

Diese Krise wird unsere Gesellschaft nachhaltig verändern. Das ist klar. Die Frage ist nur, ob zum Guten oder Schlechten?
Ich hoffe von ganzem Herzen, dass wir durch die Krise um eine Spur menschlicher werden – ruhiger, geduldiger, aufmerksamer füreinander und dankbarer. Ja, all das können wir jetzt lernen. Natürlich besteht die Gefahr, dass danach alles gleich weiter geht. Wir müssen uns entscheiden. Die Zeit zum Umdenken ist da. Ob wir den kollektiven Lernprozess nützen, hängt von uns allen ab. Jeder einzelne hat eine große Verantwortung. Ich bete sehr, dass wir im Herzen nicht hart werden – auch dann nicht, wenn der Stress noch zunimmt. Versöhnung ist ganz wichtig. Einander die Hand reichen – von alten Geschichten, Vorwürfen und Enttäuschungen entlasten. Nie ist ein Mensch schöner, als wenn er vergibt oder Vergebung annimmt.

Zwei Fragen, die immer bei Katastrophen und Krisen auftauchen: Wie kann Gott das zulassen? Ist es eine Strafe?
Hundertprozentig ist die Corona-Krise keine Strafe Gottes, aber sie sollte uns nachhaltig zu denken geben. Unser Leben ist viel verwundbarer als wir in der eingebildeten Souveränität zugeben wollen. Wir dürfen nicht gleichgültig werden, sonst wird uns Gott einmal fragen: Mensch, wo warst Du? Wie konntest Du zulassen, dass an jedem Tag 25.000 Kinder an Hunger und Krankheit sterben und andere in Saus und Braus leben? Üben wir eine neue Dankbarkeit. Dankbar sein und an Gott die Frage richten, wo und für wen brauchst Du mich heute?

Wie sehr suchen nun Gläubige den Kontakt mit Ihnen?
Es gibt viele Anrufe und E-Mails. Sehr bewegt hat mich die Nachricht einer Frau, die schon lange aus der Kirche ausgetreten ist und die am Sonntag zufällig in den Radiogottesdienst hineingestolpert ist. Sie „musste“ nach eigener Angabe eine Stunde lang dabeibleiben. Sie schreibt, dass sie wie ein Kind berührt war und die Worte aufgenommen hat, als ob alles nur für sie gesagt worden wäre.

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