Länderunterschiede

Tausende Kinder sind nicht „reif“ für die Schule

Österreich
02.09.2019 06:00

Schulstart im Osten Österreichs: Ab heute beginnt in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland das neue Schuljahr, während es für Schüler der übrigen sechs Bundesländer noch eine Woche „Schonfrist“ gibt. Mehr als 8000 schulpflichtige Mädchen und Buben in Österreich dürfen jedoch noch nicht in die erste Klasse, sie müssen in die Vorschule. Allerdings wird die Schulreife in den Ländern unterschiedlich bewertet. Warum eigentlich?

Die Aufregung ist riesig: Für mehr als 93.000 Kinder in Österreich beginnt in diesen Tagen die Schule. Allerdings - fast jeder Zehnte darf nicht in der ersten Klasse anfangen. Denn 8450 Mädchen und Buben wurden (laut vorläufigem Stellenplan) von den Direktoren als nicht „schulreif“ eingestuft und besuchen für ein Jahr die Vorschule.

Krasse Unterschiede in den Bundesländern
Was allerdings sehr verwunderlich ist, ist der krasse Unterschied in den Bundesländern: Während im Burgenland kaum Vorschüler vorgemerkt sind (0 Prozent!), gibt es in Salzburg 6407 Vorschüler. Das sind gleich 19,8 Prozent. Dahinter folgen Vorarlberg (15,9 Prozent) und Wien mit (13,2 Prozent). Oberösterreich liegt mit 8,8 Prozent im Mittelfeld.

Die Frage, die sich vor allem die Eltern stellen: Sind denn Knirpse im Burgenland um so viel „reifer“ als die Salzburger? Oder liegt es doch am System?

Hinter vorgehaltener Hand heißt es, es gebe Schulleiter in Österreich, die dazu neigen, Buben und Mädchen sofort in die erste Klasse zu stecken, um in Zeiten der Geburtenrückgänge die Schülerzahlen so hoch wie möglich zu halten. Im Bildungsministerium versucht man auch gar nicht, diese Spekulationen abzulehnen. „Die Argumentation kann teilweise stimmen, wir möchten es aber auch niemandem unterstellen“, betont Sektionsleiter Klemens Riegler-Picker. Teilweise gebe es einfach unterschiedliche Denkansätze in den Bundesländern.

In der Steiermark etwa sei es üblich, Schüler früher in den regulären Unterricht zu geben und dort integrativ zu fördern. Im Burgenland wiederum will (oder muss) man Vorschüler aufgrund der geringen Anzahl auf Anhieb in die ersten Klassen integrieren, wo man sie aber nach dem Vorschulplan unterrichte, so die burgenländische Bildungsdirektion. In Oberösterreich wird die Schulreife an jedem Standort vom jeweiligen Schulleiter individuell getestet.

In Salzburg wiederum setzt man auf ein flexibles Modell: „Bei uns können Kinder in der Vorschule jederzeit aufgestuft werden. Daher ist der Prozentsatz an Vorschülern bei uns so hoch“, so der Salzburger Bildungsdirektor Rudolf Mair. Der Vorteil: Man könne so frühzeitig auf Defizite der Schüler, etwa im Sprachbereich, eingehen. Stichwort: Early Intervention. Salzburg sei übrigens das einzige Land, das eine standardisierte Prüfung der Schulreife auf hohem Niveau biete.

Standardverfahren kurz vor Einführung
Ein Modell, das jetzt österreichweit Schule machen könnte. Denn das Bildungsministerium will ein österreichweit einheitliches Verfahren einführen, das von Wissenschaftlern entwickelt wurde. Probeweise kann dieses schon 2020 von den Bundesländern freiwillig getestet werden. Ab 2021 soll es verpflichtend sein.

Damit könne sich der Direktor einen besseren Gesamteindruck über die Fähigkeiten eines Kindes verschaffen. Es werde übrigens auch möglich sein, die Aufgaben klassisch mit Papier und Bleistift zu erledigen. Für den Kärntner Bildungsdirektor Robert Klinglmair ist das einheitliche Verfahren „sehr zu begrüßen“. „So können wir die Unterschiede in den einzelnen Bundesländern angleichen.“ Schließlich sei die Überprüfung der Schulreife für jedes Kind von großer Bedeutung: „Ein Jahr Vorschule kann im weiteren Leben einen kleinen Knick bedeuten, da man ja erst ein Jahr später in den beruflichen Alltag starten wird.“

Ein weiterer Schritt zur Zentralisierung?
Dass die Vereinheitlichung des Aufnahmeverfahrens wieder ein Schritt mehr in Richtung Zentralisierung sei, glaubt Klinglmair nicht. „Gerade bei so einem heiklem Thema ist es sinnvoll, dass man ein Testverfahren bekommt, das von Experten ausgearbeitet wurde. Direktoren sind doch in erster Linie dazu da, um eine Schule zu führen, nicht um kognitive Fähigkeiten eines Schülers bewerten zu müssen.“

„Ein Jahr Vorschule kann viel wert sein“
Warum kann ein Frühstart gefährlich sein und wie motiviert man sich für die Schule? Ina Tremschnig von der Schulpsychologie klärt auf.

„Krone“: Wenn ein Kind zu früh in die Schule kommt - welche Folge hätte das bzw. woran merkt man es?
Ina Tremschnig: Wenn ein Kind sich ständig schwertut und sein Potenzial, das vorhanden wäre, nicht umsetzen kann. Das kann auf Dauer viel zerstören. Daher kann ein Jahr Vorschule sehr viel wert sein und die Schullaufbahn danach problemlos laufen. Das sollte man im Hinterkopf haben. Leider wird es von Eltern nicht immer so gesehen.

Sie werden beigezogen, wenn sich ein Direktor bei der Bewertung der Reife eines Kindes nicht sicher ist. Was passiert dann?
Da geht es um einfache Dinge: Wie lange kann ein Kind ruhig sitzen, wie lange kann es sich einer Sache widmen oder wie kann es sich von einem Elternteil lösen? Das Kind soll in der Schule weder unter- noch überfordert werden.

Gibt es auch Konflikte mit Familien, wenn sie eine Bewertung abgeben?
Ja, manchmal gibt es auch innerhalb einer Familie unterschiedliche Meinungen. Da reden ja auch Großeltern, Tante und Onkel mit. Dann ist es leider oft sehr schwierig.

Was sollen Eltern ihren Kindern zum Schulstart vermitteln?
Eine positive Einstellung und die Neugier des Kindes fördern. Es soll sehen, dass es in der Schule viel Gutes erleben kann. Das ist das Um und Auf.

Christian Rosenzopf, Sandra Aigner und Patrick Huber, Kronen Zeitung

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