Blamage für Ankara
Museum unbemerkt geplündert: Rund 400 Bilder sind weg
Bei ihren Kontrollen stellten Altintas und seine Experten fest, dass mehrere Hundert Gemälde heimlich durch Imitate ersetzt worden waren. Von anderen Werken finden sich nur noch die Bilderrahmen. "Das Museum ist geplündert worden", sagte der geschockte Professor. Fast noch schlimmer: Lange hat niemand etwas davon bemerkt. Auf rund 400 Bilder schätzt Altintas den Verlust - rund zehn Prozent des Gesamtbestandes. Einige Werke tauchten bei der Inspektion zwar auf, waren aber wegen schlechter Lagerbedingungen verrottet. "Es wäre besser gewesen, sie wären auch geklaut worden", sagte Altintas.
Schaden von rund 50 Millionen Euro
Geschätzte 50 Millionen Euro beträgt der Schaden für den türkischen Staat. Unter den Werken, die heimlich gegen Kopien ausgetauscht wurden, ist ein gutes Dutzend Kohlezeichnungen des Malers Hoca Ali Riza, der im frühen 20. Jahrhundert für seine Stadtansichten von Istanbul bekannt war. Museumsdirektor Osman Gündogdu musste im Fernsehen zugeben, dass er nicht einmal weiß, wann die Riza-Zeichnungen aus seinem Haus verschwanden. "Es kann vor fünf Jahren gewesen sein, oder auch vor zehn."
Ein funktionierendes Überwachungssystem mit Kameras habe es bis vor Kurzem in seinem Museum nicht gegeben, sagte der Direktor. Von 31 Gemälden, deren Fehlen bereits 1997 bemerkt wurde, fehlt bis heute jede Spur. Diebe hatten es also relativ leicht, vor allem, da es starke Hinweise auf die Komplizenschaft von Museumsangestellten gibt. Erst kürzlich wurde ein Mitarbeiter entlassen, nachdem erneut drei Bilder spurlos verschwanden.
Direktor spricht von "Unordnung der Museumsbestände"
Fast noch blamabler war die Antwort von Museumsdirektor Gündogdu auf die Frage, wo denn jene Bilder abgeblieben seien, deren leere Rahmen gefunden wurden. Diese Werke seien nicht unbedingt gestohlen worden, sondern vielleicht nur in der Unordnung der Museumsbestände untergangen, sagte Gündogdu. "Sie könnten irgendwo wieder auftauchen." Die Lagerräume des Museums, fügte er hinzu, seien leider "etwas voll".
Die Inspektion war nach einem anderen spektakulären Fall angeordnet worden: Im Museum der westtürkischen Stadt Usak war vor vier Jahren eine antike Goldbrosche in Form eines Seepferdchens gestohlen und durch eine wertlose Kopie ersetzt worden. Auch damals blieb der Diebstahl über Monate unbemerkt; kürzlich wurde der Museumsdirektor von Usak wegen des Falles zu 13 Jahren Haft verurteilt.
Auch Ministerien bedienten sich fleißig
Während Altintas und die anderen Experten die Bilder des Ankaraner Museums auf weitere Fälschungen hin untersuchen, konnte Kulturminister Ertugrul Günay einige der verschwundenen Kunstwerke aufspüren - und zwar beim Staat selbst. So manches Ministerium bediente sich in den vergangenen Jahren offenbar großzügig und ohne störende Formalitäten aus den Beständen des Museums, um Büros und Empfangssäle zu schmücken. Peinlicherweise fand Günay sogar in seinem eigenen Ministerium acht "geliehene" Gemälde, die inzwischen zurückgegeben wurden. Nun versucht Günay, seine Ministerkollegen dazu zu überreden, auch die Werke in ihren Häusern herauszurücken.
Ob die Werke nun von Dieben oder Bürokraten entnommen wurden - das Schicksal der Gemälde in dem Ankaraner Museum zeigt nach Meinung von Kritikern das Versagen der Türkei beim Umgang mit ihrem kulturellen Erbe. Erst vor Kurzem schlugen Amateurhistoriker auf der Halbinsel Datca bei Bodrum im Südwesten des Landes Alarm, weil dort die in den Wintermonaten unbewachten Ruinen der antiken Stadt Knidos geplündert worden waren.
Nicht genug Experten und Wachpersonal
Nach Meinung der Malerin und Kunstwissenschaftlerin Tomur Atagök gibt die Türkei nicht genug auf ihre Kunstschätze acht. Es gebe weder genug Experten noch Wachleute, sagte sie dem türkischen Nachrichtensender NTV. Und außerdem gehe es nicht an, dass Werke aus einem Museum verschwinden oder abgeholt werden, ohne dass dies jemand bemerkt: "Es muss doch Aufzeichnungen darüber geben, was mit den Originalen geschieht."
Symbolbild
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