Neue Forschungen

War die älteste Frau der Welt (122) Betrügerin?

Ihre letzten Geburtstage feierte Jeanne Calment im Beisein von Journalisten aus der ganzen Welt.

(Bild: AFP)

Sie soll mit dem biblischen Alter von 122 Jahren der älteste Mensch der Welt gewesen sein - doch nun sind Zweifel an dem Rekord der im Jahr 1997 verstorbenen Jeanne Calment aufgekommen. Zwei russische Wissenschaftler denken, dass die Tochter der Rekordhalterin - Yvonne - schon Jahrzehnte zuvor die Identität ihrer Mutter stahl, um der Erbschaftssteuer zu entgehen.

122 Jahre und 164 Tage soll Jeanne Calment gelebt haben - dieser Wert ist noch heute als aktueller Langlebigkeitsrekord im Guinness-Buch der Rekorde angeführt. Doch zwei Wissenschaftler haben untersucht, ob diese Geschichte überhaupt stimmen kann. Sie vermuten, dass vielmehr die einzige Tochter von Jeanne deren Identität übernommen hatte, nachdem ihre Mutter an einer Rippenfellentzündung gestorben war. Diese wäre demnach im Alter von 99 Jahren verstorben.

Forscher untersuchten Biografien, Fotos, Interviews und Zeitzeugenberichte
Gott müsse sie vergessen haben, witzelte die alte Dame gerne. Den russischen Mathematiker Nikolai Sak konnte ihre Geschichte jedoch nicht überzeugen. Gemeinsam mit dem Gerontologen Waleri Nowoselow durchforschte er über Monate hinweg Biografien von Jeanne Calment, Interviews und Fotos, Zeitzeugenberichte sowie die öffentlich zugänglichen Behördendaten ihrer südfranzösischen Heimatstadt Arles. Dabei kamen die beiden zu dem Schluss, dass es sich bei der 1997 Verstorbenen unmöglich um Jeanne handeln könne.

Jeanne Calment posierte hier kurz vor ihrem 122. Geburtstag für Fotografen.

(Bild: AFP)

Daten aus Ausweis stimmen nicht mit späterem Aussehen von Calment überein
Seine Untersuchungen veröffentlichte Sak nun auf ResearchGate, einem sozialen Netzwerk für Forscher aus allen Bereichen der Wissenschaft, unter dem Titel: „Jeanne Calment: The Secret of Longevity“ (Jeanne Calment: Das Geheimnis der Langlebigkeit). Unter den 17 Indizien für seine These listet der Forscher eine Kopie von Jeanne Calments Personalausweis aus den 1930er-Jahren auf, dessen Angaben etwa über Augenfarbe und Körpergröße nicht mit dem Aussehen der späteren Jeanne übereinstimmen. Als sie berühmt wurde, ließ die Frau demnach auch einige ihrer alten Fotos vernichten.

Nowoselow meint in dem Bericht, als Arzt habe er schon immer seine Zweifel an Calments Alter gehabt: „Der Zustand ihrer Muskeln stimmte nicht mit dem von gleichaltrigen Senioren überein. Sie konnte ohne Hilfe aufrecht sitzen und zeigte keinerlei Anzeichen von Demenz.“

Unterschiedliche Reaktionen
Der Bericht der beiden Wissenschaftler stößt bei Kollegen auf unterschiedliche Reaktionen. Der französische Gerontologe Jean-Marie Robine, der an den Überprüfungen des Alters der Frau für das Guinness-Buch der Rekorde beteiligt war, sagt, er habe niemals an der Authentizität von Calments Dokumenten gezweifelt. Er wirft den beiden russischen Kollegen vor, diejenigen Fakten nicht berücksichtigt zu haben, die für das lange Leben Calments sprächen. Auch der frühere Bürgermeister von Arles, Michel Vauzelle, hält Saks Theorie für „komplett unmöglich und lächerlich“. Jeanne Calment sei über Jahre hinweg von zahlreichen Ärzten betreut und überwacht worden, führte er an.

Keine Autopsie durchgeführt
Dagegen begrüßt der Leiter des französischen Instituts für demografische Studien (INED), Nicolas Brouard, Saks Forschungen. Diese seien ein weiteres Argument, die sterblichen Überreste von Jeanne und Yvonne Calment zu exhumieren und ihre DNA zu untersuchen, sagte er. Bereits kurz nach Calments Tod hatten Wissenschafter bedauert, dass keine Autopsie vorgenommen wurde, um nach den Ursachen für ihre Langlebigkeit zu forschen.

Das Grab der Familie Calment, in dem auch die angeblich älteste Frau der Welt beigesetzt wurde.

(Bild: AFP)

Auf die Idee, den Fall Calment näher zu untersuchen, war Sak bei der Suche nach einem mathematischen Modell für die Lebensspanne der deutlich über Hundertjährigen gekommen. „Je mehr ich forschte, desto mehr stieß ich auf Widersprüche“, meint er. Auf die Möglichkeit, dass die Tochter die Identität ihrer Mutter angenommen haben könnte, sei er beim Lesen eines französischen Buches mit dem Titel „Versicherungen und ihre Geheimnisse“ aus dem Jahr 1997 gekommen. Gerontologe Nowoselow hält es für wichtig, dass das Rätsel nun gelöst wird. „Für uns Altersforscher ist Jeanne Calment ein Symbol. Ihr Name taucht in allen Studien auf.“ Es sei wichtig, „die wahren Grenzen“ des Alterns aufzuzeigen.

Sollte Calments Rekord gelöscht werden, wäre die US-Bürgerin Sarah Knauss die neue Rekordhalterin: Sie starb 1999 im Alter von 119 Jahren.