"Schall und Wahn"

Neues Tocotronic-Album ist laut – und langweilig

Musik
22.01.2010 12:16
Tocotronic und die Bibel. Passt das zusammen? Nein, eigentlich nicht. Es sei denn, man gesteht den vier Hamburgern zu, dass ihre Songtexte – zumindest in jüngster Zeit – übersinnliche und kryptische Formen annehmen. Das gilt auch für das neue Album „Schall und Wahn“, das man wohl – eine weitere Schnittstelle mit der Heiligen Schrift - am besten mit einem Bibelzitat charakterisieren könnte. Allerdings nicht mit einem schmeichelhaften.
(Bild: kmm)

„Wenn ich die Sprachen von Menschen und Engeln sprechen könnte, aber die Liebe nicht hätte, wäre ich ein dröhnender Gong, eine lärmende Klingel.“ Diese Zeilen könnten sich zwar auch Tocotronic ausgedacht haben, doch in Wirklichkeit stammen sie aus der Bibel – und charakterisieren auf wundersame Weise das neue Album „Schall und Wahn“, das das Hamburger Quartett jetzt vorgestellt hat. Denn: Nach wie vor sind Tocotronic Meister der feinen Sprache, doch weil der neuen Platte die Liebe fehlt, ist alles, was am Ende zurückbleibt, ein lautes Dröhnen.

Aber von Anfang an: Eigentlich, so könnte man meinen, haben Tocotronic diesmal endlich einmal wieder alles richtig gemacht. Die Verstärker werden aufgerissen, es darf wieder geschrien werden. Doch dort, wo einst die Leidenschaft regierte, kommen jetzt nur Worthülsen aus den Boxen. Beim ersten Hören klingen diese immerhin noch lyrisch, aber früher oder später dann nur noch sinnentleert und langweilig.

Schon die erste Singleauskopplung zeigt das. „Macht es nicht selbst“ heißt der Song, der sich zumindest musikalisch wohltuend vom Rest des Albums abhebt, weil er immerhin eine rhythmisch klare Struktur und eine Melodie hat. Doch was soll dieser Text bedeuten? Ist „Macht es nicht selbst“ ein Sturmlauf gegen die Heimwerker-Bewegung? Eine ironische Kapitalismuskritik? Oder doch eher eine Absage an den Solo-Sex?

Früher nahmen sich Tocotronic nicht so wichtig, und das machte ihren Charme aus. Jetzt sind die Herren bierernst geworden - und damit langweilig. Denn Philosophieren sollte man lieber solchen Leuten überlassen, die etwas davon verstehen. Selbst die feine Ironie von einst scheint verschwunden zu sein. „Ich wünschte, ich würde mich für Tennis interessieren“, scherzten die Burschen einst. Heute reicht es noch zu einem verkopften "Bitte oszillieren Sie zwischen den Polen Bumms und Bi!“. Das kann man natürlich lustig finden – oder einfach nur dämlich.

Aber auch andere Bands schreiben sinnentleerte Texte, denn das ist ja bislang noch nicht verboten. Doch bei Tocotronic reicht es derzeit leider nicht einmal mehr zu guter Musik. Überall kracht und scheppert es, alles muss groß und fett sein. Und wälzt dabei dann doch nur alles platt. Was fehlt, sind die Nuancen, die Feinheiten. Oder wie man dazu auch sagen kann: die Liebe. Und zwar die zum Detail. Fast so wie bei Künstlern, die irgendwann abgehoben sind, weil sie vergessen haben, dass alter Ruhm nicht ewig hält, sondern von Zeit zu Zeit durch frische Heldentaten erneuert werden muss.

3 von 10 Schall- und Wahnvorstellungen

von Tobias Pusch

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