Auschwitz-Besuch

Muslime und Juden: „Die Trauer eint uns“

Ausland
09.08.2018 21:03

Junge Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak haben in den vergangenen Tagen gemeinsam mit jungen Juden aus Deutschland eine Polen-Rundreise gemacht. Höhepunkt der Reise war der Besuch der KZ-Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau am Donnerstag. „Die Trauer eint uns“, zeigte sich einer der syrischen Flüchtlinge nach all den düsteren Eindrücken im ehemals größten Vernichtungslagers der Nazis nachdenklich. Die Erlebnisse riefen bei ihm Erinnerungen an den Bürgerkrieg in Syrien hervor, sagte der 25-Jährige. In Deutschland hatten zuletzt immer wieder antisemitische Übergriffe für Schlagzeilen gesorgt, teils auch von muslimischen Tätern. Das war der Anlass für die vom Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) und der deutschen Union progressiver Juden (UpJ) organisierte Reise.

An der Todeswand von Auschwitz, an der Tausende KZ-Häftlinge erschossen wurden, singt ein Imam Klagelieder aus dem Koran. Ein Rabbiner spricht ein jüdisches Gebet. Mit ihnen beten bei brütender Hitze 25 aus Deutschland angereiste Juden und muslimische Geflüchtete. Inmitten der bedrückenden Szenerie aus Stacheldrahtzäunen und Baracken beten sie gemeinsam dafür, dass sich das Grauen des Holocausts nicht wiederholt. Viele legen zur Erinnerung an die Shoah-Opfer rote Rosen an der Todesmauer des Konzentrationslagers nieder, in dem die Nazis mehr als eine Million Menschen ermordeten. Die meisten von ihnen waren Juden.

Rabbiner „tief beeindruckt“
Der Rabbiner Henry G. Brandt würdigt den Entschluss der Gruppe, sich in Auschwitz zu treffen: „Ich bin tief beeindruckt, dass Muslime und Juden zusammen hier sind.“ Er hoffe, sie könnten Lehren für das Leben ziehen. „Ihr jungen Menschen seid die Architekten des Morgen“, appelliert Brandt. Auch die deutsche Politik ist mit den Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins und Thüringens, Daniel Günther (CDU) und Bodo Ramelow (Linke), bei der Zeremonie vertreten. Aus ihren Bundesländern sind die Juden und syrischen und irakischen Geflüchteten im Alter von 18 bis 26 Jahren angereist.

Eine Premiere sei das jüdisch-muslimische Treffen, sagt Zakaria Said vom ZMD. Er meint: „Für intensive Gespräche zwischen Juden und Muslimen gibt es in Deutschland viel zu selten die Gelegenheit.“ Die Jugendlichen haben sich fünf Tage lang bei KZ-Besichtigungen, Zeitzeugengesprächen und Diskussionsrunden mit dem Holocaust auseinandergesetzt  - und sind sich dadurch nähergekommen. „Wir lernen uns allmählich besser kennen“, sagt Oqba, der vor drei Jahren aus dem syrischen Damaskus nach Deutschland geflohen ist. Er stellt fest: Bei dem Treffen würde das Schubladendenken abgebaut. Zur Demonstration setzt sich der Muslim lächelnd eine Kippa auf. Er selbst sei Juden gegenüber auch schon vor der Reise aufgeschlossen gewesen.

Die jüdische Teilnehmerin Amanda Pidgornij hat von ihren muslimischen Reisegefährten bereits Neues erfahren. „Ich dachte, muslimische Frauen würden zum Beispiel mit dem Tragen des Kopftuches unterdrückt“, sagt die 18-Jährige aus Elmshorn. Doch das Gespräch mit den Musliminnen habe sie überzeugt, dass dies nicht stimmt. „Wir reden immer von Juden und Muslimen, von Syrern und Deutschen“, bemängelt Pidgornij. „Hier können wir uns als Menschen begegnen.“

Die Konfrontation mit Krieg und Tod verlangt den jungen Menschen, deren eigene Kriegserfahrungen nicht lange zurückliegen, jedoch Einiges ab. „Das war so grauenhaft, manchmal konnte ich gar nicht mehr hinschauen“, beschreibt Naeem Fotos von Nazi-Opfern, die er im KZ sah. „Es hat mich daran erinnert, was mit uns in Syrien passiert ist.“ Er wird leiser: „Auf der Flucht habe ich viele Tote gesehen und Menschen, die gefoltert worden sind.“

„Es war viel“, gibt Naeem zu. Die Reise bereut er aber nicht. „Ich wollte mehr über die deutsche Geschichte erfahren, um anderen davon zu erzählen“, sagt er. „Die ganze Welt soll davon wissen“, sagt der Syrer, der den Holocaust nicht allein als deutsche Geschichte sieht: „Das ist die Geschichte der Menschheit.“

In Deutschland hatten zuletzt immer wieder antisemitische Übergriffe für Schlagzeilen gesorgt, teils auch von muslimischen Tätern. Aufsehen erregte beispielsweise der Fall eines Syrers, der in Berlin einen Kippa tragenden Juden mit einem Gürtel angriff. Rund 30 jüdische Organisationen riefen die Bundesregierung dazu auf, den Antisemitismus unter Muslimen ernst zu nehmen. Allerdings ist dieser nicht allein ein muslimisches Problem, zu den Tätern zählen auch Deutsche. Die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli (SPD) schlug zu Jahresbeginn vor, den Besuch einer KZ-Gedenkstätte für alle in Deutschland zur Pflicht zu machen.

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