AMS greift durch

Immer mehr Strafen bei Ablehnung „zumutbarer“ Jobs

Österreich
29.06.2018 05:58

Kaum ein Thema wird derzeit so heiß diskutiert wie die Arbeit. Im Mittelpunkt des immer heftiger ausgetragenen Streits steht die von der türkis-blauen Regierung geplante 60-Stunden-Woche. Dass auch die Zumutbarkeitsbestimmungen, also jene Regeln, die definieren, wann wir wo wie arbeiten müssen, verschärft werden sollen, geht in der Debatte etwas unter. Das AMS setzt bereits verstärkt auf die überregionale Vermittlung - und die Sanktionen für Arbeitslose, die sich dagegen verwehren, sind bundesweit gestiegen, Tendenz weiter steigend. Wer also in Zukunft einen „zumutbaren“ Job ablehnt, dem droht mehr denn je die Kürzung des Arbeitslosengeldes.

Muss ich nach Salzburg gehen? Muss ich diesen Job annehmen? Es sind Fragen wie diese, die heute immer mehr arbeitslose Österreicher beschäftigten, wie die Wiener AMS-Landesgeschäftsführerin Petra Draxl im Gespräch mit krone.at anmerkt. Das Arbeitsmarktservice setzt derzeit einen „umfangreichen Schwerpunkt“ auf die überregionale Vermittlung, vor allem bei Branchen, in denen man etwa in der Bundeshauptstadt schwer einen Job findet, aber dafür im Westen des Landes Chancen auf Arbeit hat.

„Viele offene Stellen insbesondere im Tourismus befinden sich in Westösterreich, während eine große Anzahl an arbeitslosen Personen in Wien gemeldet ist“, gibt auch AMS-Chef Johannes Kopf zu bedenken. Er streicht einige erfolgreiche Vermittlungsprojekte wie etwa bei Magna in Graz, gemeinsame Jobbörsen und laufend stattfindende spezielle Vorauswahlen positiv hervor.

Ein Kärntner Unternehmer, der anonym bleiben möchte, versichert allerdings, dass in zahlreichen Branchen in seiner Region händeringend nach Arbeitskräften gesucht werde. „Seit Jahren geht das schon so“, vom AMS würden jedoch kaum geeignete Personen vermittelt werden bzw. würden sich sehr wenige oder gar niemand tatsächlich bei den Firmen melden. „Wenn die Arbeitssuchenden wenigstens bereit wären, im eigenen Bundesland zu arbeiten, statt nur Arbeitslosengeld zu beziehen, dann sind wir schon zufrieden“, so der Geschäftsführer mit jahrzehntelanger Wirtschaftserfahrung, von krone.at auf die Forcierung der überregionalen Vermittlung angesprochen. Wenn jetzt verstärkt auf diese Maßnahme gesetzt werde, sei dies grundsätzlich zu begrüßen, ganz glauben will der Unternehmer an eine Verbesserung der Situation durch mehr Sanktionen aber nicht.

Regierung plant Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln
Die türkis-blaue Koalition hat jedenfalls die Verbesserung der überregionalen Vermittlung im Regierungsprogramm stehen. Das Sozialministerium spricht von einer „Intensivierung“, und für die Wirtschaftskammer ist es ein „zentrales Thema“. Eine gewichtige Rolle bei der überregionalen Vermittlung spielen die gesetzlichen Zumutbarkeitsregeln, die nun verschärft werden sollen - eine Forderung, die nicht nur ÖVP, sondern auch NEOS, Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung in der Vergangenheit immer wieder getrommelt haben.

Diskutiert wird dabei am heftigsten die zumutbare Entfernung zum Arbeitsplatz. Die Argumentation der Befürworter einer Verschärfung: Die Arbeitssuchenden sind oft nicht dort, wo die Jobs sind. Mit der ungeschickten Formulierung „Vier Stunden Arbeitsweg sind ok, es gibt ja Facebook“ hatte Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) das Thema kurzfristig in die Schlagzeilen manövriert. Entsprechend der aktuellen Regelung liegt die Zumutbarkeitsgrenze für Vollzeitarbeit bei zwei Stunden Gesamtreisezeit - also für Hin- und Rückweg. In Zukunft könnte eine Arbeitsstelle aber auch dann als zumutbar gelten, wenn sich diese in einer Entfernung von bis zu zwei Stunden vom Wohnort befindet. Dies würde eine Verdoppelung der zumutbaren Reisezeit im Gesamtausmaß von bis zu 20 Stunden wöchentlich bedeuten. Wer sich weigert, dem droht die Kürzung von Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe.

Deutlicher Anstieg bei Sperren des Arbeitslosengeldes
Treffen könnte dies künftig eine viel größere Zahl an Arbeitslosen als bisher. Schon von 2016 bis 2017 waren die Sperren des Arbeitslosengeldes nach §10 ALVG (Arbeitslosenversicherungsgesetz) bundesweit um 16,2 Prozent gestiegen - obwohl die Zahl der Arbeitslosen im Jahresvergleich leicht gesunken ist. Und im Zeitraum Jänner bis Mai 2018 sind bereits 14.271 Sanktionen nach §10 ALVG verhängt worden - um ganze 54,8 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum (9218). Tendenz: weiter steigend. Der Anstieg hänge laut AMS aber auch mit der besseren Konjunktur zusammen, denn mehr freie Stellen bedeuten auch mehr Sanktionen bei Ablehnung.

„Verweigerungsverhalten von Personen ohne Betreuungspflichten wird vom AMS konsequent sanktioniert“, macht AMS-Chef Kopf gegenüber krone.at deutlich, dass die Maßnahmen ernst gemeint sind. Er will die Sperren des Arbeitslosengeldes im Zuge der Intensivierung der überregionalen Vermittlung aber nicht als „Selbstläufer“ sehen und betont: „Erfolgreiche Vermittlungen gelingen eher mit dem Aufzeigen von Chancen als mit der Drohung von Sanktionen.“ Trotzdem hat sich auch der AMS-Chef „in der Vergangenheit mehrfach neben einer Vereinfachung der Zumutbarkeitsbestimmungen für eine höhere Mindestverfügbarkeit (von derzeit 16 auf 20 Wochenstunden) von Personen mit Betreuungspflichten sowie für eine moderate Anhebung der Wegzeiten ausgesprochen“, wie er anmerkt.

Arbeiterkammer gegen Verschärfung: „Weder notwendig noch sinnvoll“
Strikt gegen eine Verschärfung der Zumutbarkeitsregelungen spricht sich indessen die Arbeiterkammer aus. „Schärfere Zumutbarkeitsregeln in der Arbeitslosenversicherung sind weder notwendig noch sinnvoll - vor allem kann damit kein Beitrag zur Verringerung der Arbeitslosigkeit geleistet werden“, sagt Gernot Mitter, Leiter der Abteilung Arbeitsmarkt und Integration der AK Wien. Er verweist auf eine Studie des WIFO über die Wirksamkeit von Interventionen des AMS, die eindrucksvoll zeige, „dass vor allem gute Beratung und Unterstützung bei der Arbeitssuche die deutlich wirkungsvollere Methode zur Reduktion der Arbeitslosigkeit ist als härtere Zumutbarkeitsregeln und strengere Sanktionen“.

Mitter: „Die Österreicher sind sehr mobile Arbeitnehmer. Alleine nach Wien pendeln pro Tag mehr als 200.000 Menschen zur Arbeit ein und rund 100.000 aus. Überregionale Vermittlung - also die Vermittlung über mehrere Bundesländergrenzen hinweg - mit Strafen zu erzwingen, wird weder die Zufriedenheit der Betriebe mit ihren neuen Arbeitskräften erhöhen, noch zu zufriedenen und damit auch leistungsfähigen Beschäftigten führen.“

Viel wichtiger seien laut dem AK-Experten gute Einkommens- und Arbeitsbedingungen in den Betrieben, in die überregional vermittelt werden soll. Da sei insbesondere die Tourismuswirtschaft in den westlichen Bundesländern gefordert. Und es dürfe bei überregionaler Vermittlung ein Thema nicht übersehen werden: „Wie sieht es mit leistbarem Wohnraum in der Region aus, in die vermittelt werden soll? Insbesondere in den Industrieregionen Oberösterreichs und der Steiermark wird es notwendig sein, dass die dortigen Unternehmen Arbeitnehmer aus anderen Regionen Österreichs bei der Lösung dieser Frage besser unterstützen als bisher.“

Ein weiterer wichtiger Aspekt sei die Verfügbarkeit von leistbarem Wohnraum in den Regionen, in die Arbeitnehmer übersiedeln sollen. Und dass die Attraktivität einer Region für jüngerer Arbeitnehmer und ihre Familien auch von der Verfügbarkeit von Kinderbetreuungseinrichtungen, Schulen und auch Freizeitmöglichkeiten abhängt, brauche wohl nicht näher erläutert zu werden, so Mitter weiter. „Wer zieht als junge Familie der Arbeit wegen in eine Region, in der es an Kindergärten mit ausreichenden Öffnungszeiten mangelt und in der es schwierig und kostspielig ist, eine passende Wohnung zu finden?“

AMS geht von weiterem Anstieg der Sperren aus
Fest steht: Auch das AMS geht davon aus, dass bei einer Verschärfung der Zumutbarkeitsbedingungen die Zahl der Sperren nach §10 ALVG weiter steigen wird. Und dies nicht nur in ÖVP-regierten Bundesländern, quasi als parteipolitischer Kniefall des AMS, wie so mancher Kritiker glauben möchte. So hatte kürzlich erst Peter Hacker, langjähriger Chef des Fonds Soziales Wien und aktuell Sozialstadtrat im Team des neuen Wiener Bürgermeisters Michael Ludwig (SPÖ), gegenüber krone.at klargestellt: „Wer arbeiten kann, der hat auch zu arbeiten.“ Werden Pflichten, also etwa Jobangebote anzunehmen, nicht erfüllt, gebe es Sanktionen ...

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