„Krone“-Interview

Jesper Munk: Gegen Narzissmus und Kapitalismus

Musik
04.05.2018 07:00

Auf seinen ersten zwei Alben wurde der mittlerweile 25-jährige Jesper Munk zum Wunderkind des Blues hochstilisiert. Mit seinem Drittwerk „Favourite Stranger“ bricht der Münchner aus allen Normen und gibt nicht nur seinem Sound, sondern auch der optischen Umsetzung einen neuen Anstrich. Im Interview macht er sich zudem Gedanken über die Oberflächlichkeit in der Gegenwart und fordert zu mehr Entspanntheit auf.

(Bild: kmm)

„Krone“: Jesper, dein neues Album „Favourite Stranger“ ist eine deutliche musikalische Entwicklung und taucht viel mehr in unterschiedliche Substile ein. Du gehst mutiger und vielseitiger ans Werk als etwa beim letzten Album „Claim“. War das ein bewusster Schritt zur Weiterentwicklung?
Jesper Munk:
Ich nehme an, dass es ein Zusammenspiel aus Bewusstsein und Unterbewusstsein war. Ich bin mit meinem Ausdruck und meiner Entwicklung mehr oder weniger an eine persönliche Grenze gestoßen und habe ein bisschen damit gehadert. Tom Waits, Nick Cave oder David Bowie haben Alben gemacht, für die man sich immer ein bisschen entscheiden musste, wenn man sie auflegt. Manche gehen in diese Welt mit und erfahren dort etwas oder lernen dazu, andere verschließen sich und sehen den Sound mehr als Hintergrundmusik. So kann der Sound bei den drei Künstlern aber unmöglich funktionieren und ihre Art von Kunst hat mich immer fasziniert. Ich habe mich immer dort geborgen gefühlt, wo mich jemand in seine Welt eingeladen hat. Ich glaube, ich habe nach meinem eigenen Universum gesucht und wahnsinnig tolle Menschen gefunden, um das umzusetzen. Ich hatte wirklich ein Glück vom andern Stern, wenn man so will. (lacht)

Wie die Dinge zueinander gelaufen sind, ist wirklich phänomenal. Ich konzentrierte mich auf meine persönliche Entwicklung und war gar nicht bereit, ins Studio zu gehen. Ich hatte viele halbfertige Songs und keinen Ankerpunkt für das Ganze - auch keinen fertigen Sound. Ich habe dann Robbie Moore kennengelernt, sein Studio gesehen und wusste, das passt. Es war ein großer Raum in einem moderat großen Studio und dort können sich fünf Musiker gut anschauen. Es gab zwei Klaviere aus Ende des 18. Jahrhunderts und nur ausgewählte, von ihm selbst gebaute Instrumente. Er hat zudem das ganze Studio mit seinen eigenen Händen gebaut und kann jedes Instrument spielen. Das war die richtige Richtung, denn ich wollte weg von dem Computersound. Es ist schwierig, hier niemandem auf die Füße zu treten, aber das war einfach nicht meine Welt. Auf solchen Skizzen entsteht für mich nichts. Wenn etwas visuell in so einem Computer passiert, ist für mich irgendwie nichts zu holen.

Nach „Claim“ bist du doch zu einem Gesicht der Öffentlichkeit geworden und erstmals fragten sich der Leute, was der junge Mann wohl als nächstes macht. Wie hat dich diese steigende Popularität verändert?
Es war ein ganz guter Zeitpunkt, sich mit diesem Album genug Zeit zu lassen. Es gab einen Anstieg, was die Aufmerksamkeit anbelangt, aber viele Dinge, die damit kommen, sind auch negativ, komisch unnatürlich und haben einen eigenen Beigeschmack. Alle positiven Dinge tragen etwas Negatives mit sich und alle negativen Dinge tragen etwas Positives mit sich. Wenn diese Dinge aber deinen Attributen als Mensch widersprechen, dann sollte man seine Position einmal evaluieren. Ich glaube, das habe ich in der Zwischenzeit sehr erfolgreich gemacht. Die Aufmerksamkeit ging aber zurück und um das neue Album gibt es keinen Hype, was ich sehr angenehm finde. Es gibt keine große Marketing-Kampagne oder ein kontrastreiches Artwork mit einem Albuminfo, wo man mich „Blues-Wunderkind“ nennt. Solche Polarisierungen sind mir total unangenehm. Die aktuelle Info habe ich von einem Freund aus London schreiben lassen, der Musikkritiker war und jetzt beim „Guardian“ arbeitet. Er hat das auf Englisch gemacht und ich wollte alles etwas gelassener haben. Ich habe mich mehr in die Videos eingebunden.

In dieser Info stehen dann aber doch Dinge wie „die Stimme des White Boy Souls der Generation Y“. Das kann man durchaus als Superlativ bezeichnen…
Das ist natürlich eine Polarisierung, die einiges überspitzt. Irgendwann stoße ich mit meinen Vetos dem Marketing gegenüber aber auch an meine Grenze. Ich muss ja auch etwas geben oder etwas halbwegs verkaufbar machen - leider ist das die Welt, in der wir leben. Ich fühle mich mit diesen Zuschreibungen nicht wirklich wohl, aber wenn es Marcus, mein Kumpel, sagt, dann ist das eine nette Wertschätzung von jemandem, den ich musikalisch und intellektuell sehr wertschätze. So genau muss man das auch nicht nehmen.

Wenn wir auf den Albumtitel eingehen - bist du dir selbst dein eigener „Favourite Stranger“?
So würde ich das nicht sehen. „Favourite Stranger“ ist ein kleiner Teil des Songs „Stranger“ auf dem Album. In dem Song dreht es sich um den Künstler, den man nicht kennt, zu dem man durch das Fühlen, Sehen oder Hören seiner Kunst eine sehr enge Verbindung aufbaut. Irgendwie beschreibt es für mich relativ genau das Gefühl der Empathie gegenüber jemanden, den man eben nur durch seine Kunst kennt. Für mich gibt es kaum Empathie jemanden gegenüber, der sehr deutlich anderer Meinung ist, was zur Polarisierung und einer Art destruktiven Sichtweise führt, die wir in der Politik und der Gesellschaft gerade sehr gut miterleben. Das Album dreht sich um das Prinzip, dass alles ein Organismus ist - das ist mein Glaube und meine Hauptphilosophie. Wenn ich mich bewege, muss etwas Anderes weichen. Alles ist immer in Bewegung - es ist so logisch wie nichts Anderes auf der Welt. Wenn man das auf die Politik bezieht heißt das, wenn ich Waffen in den Süden verkaufe, dann muss ich auch die Türen aufmachen, denn sonst bin ich der kindischste Schnösel auf der Welt.

Du hast mehrmals betont, dass du dich nicht bereit dazu fühlst, politische Songs zu schreiben. Ist das der Beginn in diese Richtung? Ein erster Ansatz, zu dem noch viel mehr folgen wird?
Man kann in unserer Zeit kaum anders. Es ist wirklich Zeit, das Maul aufzumachen. Inzwischen haben wir es wieder so weit, dass es so sichtbar ist, dass sogar ich es kapiert habe. (lacht) Der, der im privilegierten Deutschland hockt. Wir stehen jedenfalls am Anfang von einem Umbruch, der am besten von den Leuten mitgeführt wird, die hoffentlich einen Kopf und die nötige Empathie dafür haben.

Du hast meiner Ansicht nach das große Talent Songs zu schreiben, die sich erst bei mehrmaligem Durchlauf oder bei einer gewissen Dosis an Konzentration so richtig zu entfalten. Keine Happen für den schnellen Genuss, sondern vielmehr ein durchdachtes Menü, wenn man so will. Ist das auch stets ein Ziel, wenn du an Songs schreibst?
Das ist schwierig zu sagen, weil ich auch abhängig bin von der Phase, in der ich mich als Musiker gerade befinde. Man befindet sich als praktizierender Musiker schnell auf der zweiten oder dritten Ebene eines Songs und denkt vielleicht unbewusst schon ein paar Schritte weiter. Die einen sehen einen Song als absoluten Wahnsinn und wollen noch mehr Knistern und Luft zwischen Gesang und Instrument, für andere ist es nur Fahrstuhlmusik. Ich frage mich oft, wo der Punkt ist, dass man einen Menschen mit einem Song trifft. Ich will mich da gar nicht zu sehr hineindenken, denn das würde mich wahnsinnig machen. Harmonie, Rhythmus, Reflex - was auch immer es ist. Es ist wie ein Geruch, es muss dich kitzeln. Manche Gerüche erkennst du immer wieder.

Ein Beispiel aus meinem Leben, wo alte Freunde von mir den Kopf schütteln werden, sollten sie das lesen: Der Geruch des Mädchens, mit dem ich mein erstes Mal hatte, war in der Schule einzigartig. Es war eine Mischung aus zwei Parfüms und das habe ich danach noch zweimal in meinem Leben gerochen und ich bin jedes Mal, ohne mich physisch unter Kontrolle zu haben, diesem Geruch hinterhergedackelt. Ich denke, dass Musik teilweise auch diese Direktheit und Kraft besitzt, dass du nicht entscheiden kannst, darauf zu reagieren. Sie packt dich und du bist machtlos. Ich bin dem gegenüber total ehrfürchtig.

Herausstechen tut auf deinem Album jedenfalls die Nummer „Icebreaker“, die in gewisser Weise an Prince und auch die Beatles erinnert. War es der notwendige, positive Song, der ein bisschen von der Grundmelancholie des Gesamtwerks nimmt?
Gar nicht wirklich. Natürlich hat man mit dem Label Gespräche über die Ausrichtung eines Albums, aber das hatte tatsächlich nichts damit zu tun. Es landete nichts auf dem Album, was nicht draufgehört, es gab keine Kompromisse. Ich muss der Plattenfirma hoch anrechnen, dass ich machen konnte, was ich will. Das ist nicht alltäglich, da hört man durchaus andere Geschichten. Ich habe selbst dutzende Freunde, die musikalisches Talent für einen Durchbruch hätten, aber die Mittel dazu nicht bekommen. So wie es da draußen auch sehr viele gibt, die nicht den verdienten Lohn für ihre Kunst ernten. Es kommt mir so vor, als würde im Kapitalismus sehr viel von Attributen wie Attitüde abgelenkt. Man müsste den Künstlern viel öfter die Chance geben, Sicherheit zu lernen. Ich bin mir sicher, dass würden viele sehr gut hinkriegen. Man selbst sein ist das Einfachste auf der Welt, aber viele Leute brauchen Zeit und die Bestätigung, um das auch nach außen hin zeigen zu können. Ich bin mir sicher, dass übersteigertes Selbstvertrauen im Kapitalismus viel zu schnell belohnt wird. Auch Narzissmus und diese Charakterzüge, die eigentlich negativ sind. Sie werden in fast jedem Business voll belohnt.

Du bist bekannt als Kapitalismuskritiker, aber als Künstler musst du eine gewisse Art von Narzissmus und übersteigertem Selbstvertrauen haben, um dich behaupten zu können. Ist das Ganze dann nicht irgendwo ein Widerspruch in sich?
Ich glaube, dass der Narzissmus vielen Künstlern das Genick gebrochen hat. Es würde viel mehr Bandbreite geben, wenn er nicht so extrem belohnt werden würde. Was ist ein 22-Jähriger, der übersteigertes Selbstvertrauen hat? Warum sind alle so beeindruckt davon, dass jemand denkt, dass er mehr weiß, als er einfach kann? Ich habe viele von diesen Menschen kennengelernt. Es sind natürlich auch tolle dabei, aber andere werden niemals das werden, dass sie durch Fotos darstellen. Durch 2D auf sehr sehr kleinem Format. Es gibt einen narzisstischen Stil und eine narzisstische Störung - da sind schon mal die großen Unterschiede. Eine Störung ist jedenfalls ausgeprägt, wenn man nur vorgibt zu sein, was man nie sein kann. Das passiert oft auch deshalb, weil es Mitstreiter gibt, die zu einem Teil dessen werden und das fördern. Wenn ich das Projekt Jesper Munk nenne, muss ich das Lenkrad zu einem gewissen Teil in der Hand halten. Andererseits würde das Album nie so klingen, gäbe es die Band nicht. Der Sound ergibt sich aus allen Menschen, die mitgearbeitet haben. Der Sound, die Produktion und die Art der Instrumentierung sind Dinge, die ich selbst gar nicht kann. Ich kann meinen kleinen Teil beitragen, wenn es ums Aufnehmen und Wiedergeben geht. Ich schreibe den Anfang, aber der Rest fügt sich mit allen. Am Ende schnüre ich das Paket zusammen.

Gibt es eine bestimmte Botschaft, die du mit „Favourite Stranger“ mitteilen und nach außen tragen willst?
Es kommt durch das Album nicht durch, weil es wieder sehr persönlich und in gewisser Weise auch autobiografisch ist - ohne Gewähr. (lacht) Die Zeit der Albumentstehungsphase wurde stark durch Berlin und Sam Vine geprägt, der das Album mitproduzierte und Gitarrist von der Sängerin und meiner Freundin Lary ist. Gesellschaftskritisch ist die Botschaft jetzt nicht direkt, denn sie verhält sich so, wie man es erwartet. Sie reagiert darauf, was so passiert.

Ist das nicht das Problem? Dass sie reagiert statt agiert?
Das ist korrekt, vollkommen richtig. Ich glaube der unterschwellige Ton des Albums ist, sich die Zeit für kleine Gefühle und Empathie zu nehmen. Man sollte Zeit für den Organismus haben, in dem man lebt, damit er nicht verendet. Das klingt immer alles so schnell so dunkel, wenn ich das erzähle. (lacht) Vielleicht brauchen wir auch mal ein paar sehr kluge Sonnyboys an der Front, denen zugehört wird. Ich habe in den letzten Jahren viele Menschen kennengelernt, die mit einem fetten Grinsen und wahnsinnig viel Energie durchs Leben schreiten, aber dafür muss man sich auch um sich selbst kümmern. Ich habe selbst angefangen Yoga zu machen und zu meditieren, aber ich bin zu inkonsequent. Wenn ich zweimal saufen gehe, ist das Meditieren am nächsten Tag leider schwierig, aber man muss sich um sich selbst kümmern und kapieren, dass Körper und Geist eins sind. Nicht so wie in der restlichen Medizin, wo das getrennt wird. Ich glaube das ist gerade sehr essenziell für jede Art von Fortschritt. Jetzt werde ich ja fast schon zum Talkshow-Prediger. (lacht) Berlin zwingt dich dazu, eine Meinung zu haben. Da hast du eine ganz andere Art von Deckung als im wesentlich gemütlicheren München oder von mir aus auch in Wien, wo man sich immer viel sicherer fühlt. Berlin ist tougher auf die gute Art und hat dieses Album stark geformt.

Am 11. Oktober spielt Jesper Munk live im Wiener Porgy & Bess. Karten erhalten Sie unter www.musicticket.at.

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