Nach Wurf auf Bush

“Helden von Bagdad” drohen bis zu 10 Jahre Haft

Ausland
18.12.2008 15:46
Die Aufregung, die der irakische Journalist Montasser Al-Saidi am Sonntag mit seiner Schuh-Attacke auf US-Präsident Bush ausgelöst hat, soll ihm nun offenbar teuer zu stehen kommen: Der 28-jährige Reporter ist am Dienstag - nach fast drei Tagen im Gewahrsam der Sicherheitskräfte - an die irakische Justiz ausgeliefert worden und wird weiter festgehalten. Ihm drohen jetzt ein langwieriges Strafverfahren und eine bis zu zehnjährige Haftstrafe. Laut seiner Familie soll Al-Saidi von Leibgardisten der Regierung brutal misshandelt worden sein. Tausende Menschen gingen am Dienstag den zweiten Tag in Folge auf die Straße und forderten die Freilassung des Fernsehreporters, der in der arabischen Welt als Held gefeiert wird.

Saidi wurde seit Sonntag zunächst von der Leibgarde des Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki bzw. dessen Sicherheitsberaters festgehalten und am Dienstag den Streitkräften in Bagdad überstellt. Diese wiederum lieferten ihn an die Justiz aus. Einem solchen Schritt folgt in der Regel ein langwieriges Gerichtsverfahren, hieß es. Bereits am Mittwoch soll Saidi in der Hauptstadt vor Gericht erscheinen.

Al-Saidi lehnt Saddam-Anwalt ab
Er habe seinem Bruder berichtet, dass es ihm gut gehe und dass er Anwälte zu seiner Verteidigung brauche, hieß es in einem Bericht von Saidis Arbeitgeber, dem Sender Al-Bagdadiya. Al-Saidi will allerdings nicht von dem Anwalt verteidigt werden, der seinerzeit die Verteidigung von Ex-Diktator Saddam Hussein koordinierte. Der Journalist habe den irakischen Topanwalt Chalil al-Dulaimi als Verteidiger abgelehnt, sagte ein irakischer Justizsprecher am Dienstagabend. Der Iraker hatte am Montag angeboten, al-Saidi zu verteidigen. Der 28-jährige Journalist habe zudem betont, er wolle einen irakischen und keinen arabischen Anwalt, sagte Justizsprecher Sattar al-Bairakdar der irakischen Nachrichtenagentur Aswat al-Irak.

Ein Sprecher des Innenministeriums deutete an, dass Saidi wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsgastes sowie des neben ihm stehenden irakischen Ministerpräsidenten angeklagt werden könnte. Darauf steht die Höchststrafe von bis zu zehn Jahren Haft (am Dienstag war noch von zwei Jahren die Rede). Demonstranten stellten sich indessen hinter den Schuhwerfer: "Montasser Al-Saidi hat genau das Gefühl und das Verlangen des irakischen Volkes angesichts dieser Symbolfigur der Tyrannei zum Ausdruck gebracht", meinte einer der Protestierenden.

In Bagdads Amariya-Viertel demonstrierten Hunderte von Schülern und Lehrern für den Journalisten. Sie riefen: "Dieser mutige Mann hat es nicht verdient, festgenommen und gefoltert zu werden." In der Stadt Bakuba nordöstlich von Bagdad gingen Scheichs, Professoren und Schüler für Saidi auf die Straße. Der arabische TV-Sender Al-Jazeera filmte am Montagabend Menschen, die der Familie von Saidi gratulierten. Ein Kind aus dessen Familie hielt stolz zwei Schuhe hoch und sagte: "Mein Onkel ist ein Held."

Auch unter den irakischen Parlamentsabgeordneten fand der Reporter des Senders Al Bagdadiya Fürsprecher. Der irakische Journalistenverband nannte die Aktion zwar "seltsam und unprofessionell", bat den Ministerpräsidenten aber um Gnade.

Saidi von Sicherheitskräften misshandelt?
Die Familie Saidis berichtet indes, dass die irakischen Sicherheitsbehörden den 28-jährigen Reporter schwer misshandelt haben sollen. Sein Bruder, der 32-jährige Durgham, sagte der Nachrichtenagentur AFP, Saidi seien Arm und mehrere Rippen gebrochen worden, zudem erlitt er Verletzungen an einem Auge und an einem Bein. Sein Bruder wurde von Sicherheitskräften des nationalen irakischen Sicherheitsberaters Muaffak el Rubai in der "Grünen Zone" in Bagdad gefangen gehalten, sagte Durgham.

Lob von Hisbollah, Run auf "Helden-Treter" und Jobangebot
Am Montag lobte sogar die libanesische Schiiten-Partei Hisbollah die Schuh-Attacke. "Wir gratulieren ihm zu seinem mutigen Auftreten", hieß es in einem Bericht der regierungskritischen irakischen Nachrichtenagentur INA. Der sunnitische Rat der Religionsgelehrten sprach von einem "historischen Moment", in dem Bush und der Weltöffentlichkeit gezeigt worden sei, "was die Iraker von der Besatzung halten". Immer wieder ist in den Statements vom "Helden von Bagdad" die Rede.

Wenn Montasser Al-Saidi wieder freikommt, wird er sich vermutlich zuerst einmal neue Treter besorgen müssen. Immer wieder würden Iraker anfragen, ob sie ein Paar aus Al-Saidis Schuhregal haben können, berichtet seine Familie. Laut Al-Arabiya will ein 60 Jahre alter Mann aus Saudi-Arabien Geld sammeln, um die "Schuhe der Freiheit", die auf Bush zuflogen, zu ersteigern.

Unterdessen bot der libanesische Fernsehsender New TV Saidi eine Stelle an. Er solle "von dem Moment an bezahlt werden, in dem er den ersten Schuh warf", sagte die Nachrichtenchefin Fadja Bassi. Zudem sei NTV bereit, die Kaution für Saidis Freilassung und seine Anwaltskosten zu übernehmen. Der Sender ist für seine anti-amerikanische Ausrichtung bekannt.

Zu den wenigen Kommentatoren, die den Schuhwerfer kritisieren, gehört Tarik Al-Homaid von der überregionalen arabischen Tageszeitung "Al-Sharq Al-Awat". Er schrieb am Dienstag, als normaler Bürger seines Landes hätte Al-Saidi das Recht gehabt, seine Schuhe auf Bush zu werfen. Da er aber als Journalist zu der Pressekonferenz gegangen sei, habe er durch seine Attacke "den Ruf der Journalisten beschädigt".

Brite programmiert Schuhwurf-Spiel
Der Schuhwurf des irakischen TV-Journalisten auf George W. Bush hat indes einen jungen Briten zu einem Internet-Spiel inspiriert. Der 24-jährige Alex Tew programmierte eine Seite, auf der Internetnutzer einen virtuellen Schuhwurf auf den scheidenden Präsidenten wagen können (Link zum Spiel in der Infobox). Ziel des Spiels ist dabei, den Schuh binnen 30 Sekunden gegen den Kopf der sich bewegenden Bush-Figur zu schleudern. Mehr als 1,4 Millionen haben den virtuellen US-Präsidenten bereits im Gesicht getroffen, wie ein Zähler auf der Seite am Dienstagabend anzeigte.

Den krone.tv-Bericht zu den Reaktionen auf den "Schuhwurf von Bagdad" und seinen "Helden" findest du in der Infobox!

Chavez witzelt über Schuhwurf
Indes hat der venezolanische Präsident Hugo Chávez über den Schuhwurf auf Bush Witze gemacht und Verständnis für den Angreifer geäußert. Er sei zwar dagegen, Menschen mit Schuhen zu bewerfen, sagte Chavez am Dienstag am Rande des Lateinamerikagipfels in Brasilien. "Man muss sich aber daran erinnern, dass Bush keine Schuhe auf das irakische Volk geworfen hat, sondern Bomben, Tod und Zerstörung." Bei früherer Gelegenheit hatte Chavez den Zwischenfall lachend als "witzig" kommentiert und gesagt: "Was für ein Mut!". Später äußerte er sich etwas diplomatischer und fügte hinzu: "Wenigstens hat er ihn nicht getroffen".

"Historisches Ereignis" angekündigt
Der Nachrichtensender Al-Arabiya hatte unter Berufung auf Freunde des 28 Jahre alten Reporters, der für den Fernsehsender Al-Bagdadiya arbeitet, berichtet, Al-Saidi habe den Angriff geplant. Er habe seinen Freunden ein "historisches Ereignis" während des nächsten Besuches des US-Präsidenten im Irak angekündigt. Laut Al-Arabiya hält eine Sicherheitstruppe des irakischen Regierungschefs Al-Maliki den Journalisten gefangen. Die irakische Organisation für den Schutz von Journalisten erklärte am Montag, es hätten sich 50 Anwälte gemeldet, die Al-Saidi verteidigen wollten.

"Hier ist ein Abschiedsküsschen, du Hund!"
Bush unterzeichnete bei seinem Überraschungsbesuch in Bagdad am Sonntag gemeinsam mit dem irakischen Regierungschef Nuri al-Maliki noch einmal symbolisch das kürzlich vereinbarte Sicherheitsabkommen. Der Krieg im Irak sei noch nicht vorbei, aber der Sieg sei nah, sagte der US-Präsident. Bei der Pressekonferenz (siehe Video oben) kam es dann zu dem Zwischenfall. Al-Saidi rief laut Associated Press auf Arabisch: "Hier ist ein Abschiedsküsschen, du Hund!", als er während des Journalistentermins mit Al-Maliki mit seinen Tretern auf den scheidenden Präsidenten zielte. Bush duckte sich, und weder er noch Al-Maliki wurden getroffen. Der Reporter brüllte weiter: "Das ist von den Witwen, Waisen und Gefallenen im Irak!"

Dass es sich um Schuhe der Größe 43 gehandelt habe ("It's a size 10"), sei alles, was er zu dem Zwischenfall sagen könne, witzelte Bush danach. Der Korrespondent des Senders Al-Baghdadija wurde von Sicherheitsleuten hinausgeworfen und in Gewahrsam genommen. Im arabischen Raum hat das Schuhwerfen eine große beleidigende Bedeutung - ungefähr so wie bei uns das Werfen mit faulen Eiern oder sogar das Anspucken. Schuhe gelten im Islam als unrein, so müssen sie beim Betreten einer Moschee immer ausgezogen werden. Jemanden mit Schuhen zu bewerfen, ist daher eine ganz besonders schlimme Form, V, wie Iraker mit Schuhen auf dessen Statue einschlugen. Auch der Vergleich mit einem Hund ist in arabischen Ländern eine verbale Erniedrigung der gröberen Art.

"Stolzer Araber" ohne Sympathie für Saddam
Al-Saidi ist offenbar kein Unbekannter bei den Bagdader Fernsehzusehern. Wegen seiner offensiven Art wurde er bereits zweimal von der Polizei vorübergehend verhaftet. Der 28 Jahre alte Reporter sei ein "stolzer Araber", der allerdings keine Beziehung zum Saddam-Regime habe, hieß es vom TV-Sender, für den er seit drei Jahren arbeitet. Al-Saidi und seine Familie seien von Saddam Husseins Schergen verfolgt worden, hieß es.

Bush: "Der Kerl wollte offensichtlich ins Fernsehen kommen"
Bush gab sich in einer Reaktion am Montag gelassen. "Ich fühle mich nicht beleidigt. Und ich mache das der irakischen Regierung nicht zum Vorwurf", erklärte er dem US-Fernsehsender ABC. "Der Kerl wollte offensichtlich ins Fernsehen kommen, und das ist ihm gelungen. Ich weiß zwar nicht, worauf er hinaus wollte, aber wie auch immer - irgendjemand wird ihm sicherlich zuhören."

Am 20. Jänner sagt Bush "Good-bye"
Das Weiße Haus hatte den geplanten Besuch im Irak und danach in Afghanistan bis zuletzt geheim gehalten und ihn erst nach Bushs Landung auf dem internationalen Flughafen in Bagdad bekannt gegeben. Es war bereits Bushs vierter Besuch im Irak. Der Republikaner gibt sein Amt am 20. Jänner an den Demokraten Barack Obama ab. Obama hatte bereits während seines Wahlkampfs angekündigt, die Truppen binnen 16 Monaten abziehen zu wollen.

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