Eiserne Hand Chinas

Paranoia und Gewalt vor Olympischen Spielen

Ausland
06.08.2008 11:56
Wenige Tage vor Beginn der Olympischen Spiele reißen die Berichte über die eiserne Härte der chinesischen Regierung, die mit aller Gewalt versucht, jegliche „Negativ-PR“ von den Spielen fernzuhalten, nicht ab. Während in Peking eine regelrechte Paranoia vor Anschlägen grassiert und die Olympia-Stadt mittlerweile hermetisch zur Sperrzone abgeriegelt ist, spielen sich fernab des Spiele-Trubels in der autonomen Region Xinjiang, wo am Montag ein Gemüsehändler und ein Taxifahrer (!) 16 Grenzpolizisten getötet haben sollen, ganz andere Dinge ab: In der Region wurde das Internet abgeschaltet, für Aufsehen sorgt außerdem der Fall zweier japanischer Journalisten. Sie wurden von der Polizei verhaftet, in ein Hotel gebracht und verprügelt.

Der Fotograf der Tageszeitung „Chunichi Shimbun“, Masami Kawakita, und der Reporter der TV-Station Nippon Television Network, Shinji Katsuta, sind in Xinjiang von Angehörigen der paramilitärischen Polizei festgenommen worden. Sie seien in ein Hotel gebracht worden, wo man sie geschlagen habe und ihre Ausrüstung zerstörte, berichtet „Reporter ohne Grenzen“. Erst nach zwei Stunden wurden sie freigelassen. Die beiden hätten Verletzungen unbestimmten Grades davongetragen. Der Vorfall ereignete sich natürlich in der Stadt Kashgar, wo am Montag 16 Polizisten getötet wurden.

Gemüsehändler und Taxler „gestehen“ Attentat
Zwei Männer aus der Volksgruppe der Uiguren, die von der Polizei nach dem Attentat als Täter festgenommen wurden, sollen indes gestanden haben, den Angriff in Kashgar von langer Hand vorbereitet zu haben. In Papieren hätten sie von einem „Heiligen Krieg“ geschrieben, feiert die chinesische Polizei ihren Erfolg. Allerdings: Laut amtlichen Informationen handle es sich um einen 28-jährigen Taxifahrer und einen 33-jährigen Gemüsehändler, was diametral den ersten chinesischen Berichte gegenübersteht, in denen es hieß, es sei ein Anschlag einer Organisation von aufrührerischen Uiguren gewesen. Jetzt entschloss man sich aber offenbar dazu, das Ganze herunterzuspielen.

In ihrem Geständnis hätten die beiden mutmaßlichen Täter ausgesagt, einen Monat lang die morgendliche Laufstrecke der Grenzpolizisten ausgekundschaftet zu haben, berichtet die chinesische Staatsagentur Xinhua. Den Lastwagen, mit dem sie versucht haben sollen, in eine Gruppe von 70 Grenzpolizisten zu fahren, hätten sie in der Nacht zuvor gestohlen. Bei dem Angriff hätten sie auch Sprengsätze geworfen, beschrieb die Polizei den Tathergang. Zu Schilderungen eines ausländischen Augenzeugen, der von Schüssen, Attentätern in Polizeiuniform berichtete und keine Explosionen gehört hatte, wollten sich weder das Außenministerium in Peking noch die Regierung in der Provinz Xinjiang äußern. 

„Festung Peking“
Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ führt das Schicksal der Japaner in Kashgar, die offenbar über die dortigen Geschehnisse berichten wollten, als drastisches Beispiel an, kritisiert aber vor allem die Schikanen durch die Pekinger Behörden. In einem neuen Erlass wird ausländischen Journalisten etwa eine „Voranmeldung“ nahegelegt, wenn sie vom symbolträchtigen Pekinger Tiananmen-Platz berichten wollen. Dies sei ein „bedauerlicher Rückschritt“, der im Widerspruch zum Versprechen der Behörden stehe, wonach ausländische Journalisten während der Olympischen Spiele frei vom Platz des Himmlischen Friedens berichten können, betonte die Organisation für die Verteidigung der Pressefreiheit mit Sitz in Paris. Es herrsche ein feindliches Klima in Peking, für das aber auch das IOC verantwortlich sei, hieß es. 

Wenige Tage vor Beginn der Olympischen Spiele erscheint Peking in der Tat hermetisch abgeriegelt wie einst die „Verbotene Stadt“. In der 17-Millionen-Metropole haben die Behörden ein enges Sicherheitsnetz geknüpft und verschärfen die Kontrollen von Tag zu Tag. Kritiker monieren nicht zu Unrecht eine „Sicherheitsparanoia“. Als Grund muss unter anderem die Bedrohung durch uigurische „Separatisten“ herhalten, die angeblich Terroranschläge und Sabotageakte gegen die Spiele planen sollen. 

Man speziell vor der „Ostturkestanische Islamische Bewegung“, jene „Aufrührer“, die zuerst für das Attentat in Kashgar verantwortlich gemacht wurden. Mit dem Oberbegriff werden in China allgemein uigurische Gruppen bezeichnet, die sich gegen die chinesische Fremdherrschaft in dem von acht Millionen Angehörigen des Turkvolkes bewohnten Xinjiang auflehnen oder sogar die Unabhängigkeit fordern. Die kommunistische Führung hatte sich die Region nach der Gründung der Volksrepublik 1949 einverleibt. Exil-Uiguren weisen alle Vorwürfe zurück: „Die Uiguren unterstützen keine Handlungen, die in Blutvergießen münden.“

„Sichere Olympische Spiele“ - um jeden Preis
Schon seit den Unruhen in Tibet im März haben sich Pekinger Olympia-Organisatoren von der Vorstellung verabschiedet, die „besten Spiele“ in der Olympia-Geschichte ausrichten zu wollen - sie versprechen heute vor allem „sichere Olympische Spiele“. Dies habe „höchste Priorität“, hatten der Sicherheitschef für die Spiele, Liu Shaowu, sowie der für Olympia zuständige Vizepräsident Chinas, Xi Jinping, erklärt. Das Mitglied des mächtigen Politbüros, der ehemalige Polizeiminister, Zhou Yongkan, rief zudem dazu auf, „die Massen“ zu mobilisieren, um eine Störung der Spiele zu verhindern.

In den vergangenen Tagen wurden an vielen Ecken der Hauptstadt zusätzliche Polizeikräfte aufgefahren, an Zugängen zu diplomatischen Wohnanlagen wurden Verkehrsbegrenzungen errichtet. Jedes Auto von auswärts muss drei Straßensperren passieren. Die Pekinger Bürger bekommen die Kontrollwut vielerorts zu spüren. Auch fernab der Wettkampfstätten wird jeder genau überprüft. „Sicherheit ist für die Partei das Wichtigste“, sagt ein Pekinger Taxifahrer. 

Beim Betreten der U-Bahn durchleuchten Wächter die Taschen. In Bussen sind 6.000 Sicherheitskräfte unterwegs, die verdächtige Fahrgäste aufspüren sollen. An Haltestellen und Busbahnhöfen kommen 30.000 weitere Aufpasser hinzu. Auch an öffentlichen Gebäuden wurden die Kontrollen verschärft. Auf dem symbolträchtigen Platz des Himmlischen Friedens müssen die Touristen nun wie am Flughafen durch Sperren gehen. „Langsam wird es lästig“, klagt ein junger Pekinger. Er muss auf seinem Arbeitsweg an immer mehr Polizei vorbei. „Am Anfang fand ich die Olympischen Spiele toll.“ Nun sei er sich da nicht mehr so sicher.

Nicht nur „Aufrührer“ im Visier: Kritiker, Aktivisten, Presse
Die Regierung wappnet sich aber nicht nur gegen mutmaßliche Terroristen und Saboteure. Zu „Spieleverderbern“ gehören auch Regimekritiker, Aktivisten, Bittsteller und Menschenrechtsanwälte, die vor den Spielen systematisch eingeschüchtert, vertrieben oder festgenommen wurden, wie Menschenrechtsgruppen beklagen. Die verschärfte Visa-Vergabe führt dazu, dass deutlich weniger ausländische Touristen nach Peking kommen als erwartet - in den Augen der Regierung kann jeder ein potenzieller Unruhestifter sein. 

Indirekt zu Feinden erklärt werden aber auch die etwa 25.000 Medienvertreter, jeden Tag aufs Neue. Bei der Vollversammlung des Internationalen Olympischen Komitees am Dienstag durften internationale Fernsehanstalten entgegen der üblichen Praxis außerhalb des Saals im Tagungshotel keine Interviews abhalten. Normale Olympia-Zuschauer dürfen in die Wettkampfstätten keine Banner mitbringen, kein Blitzlicht (was in der heutigen Zeit bei Kompaktkameras unmöglich ist) oder professionelle Kameras dabei haben. 

Raketen unweit vom Stadion
Alle hundert Meter patrouillieren auf den wichtigen Straßen neuerdings auch ältere Leute in rot-weißen Polohemden - sie sind wie „Wachhunde“, sollen alles Verdächtige registrieren und an höhere Stellen melden. Tausende Überwachungskameras nehmen jede Bewegung auf. In und um Peking werden 34.000 Soldaten eingesetzt, darunter Spezialtruppen zur Abwehr chemischer, biologischer und nuklearer Angriffe. Nicht weit vom Nationalstadion („Vogelnest“) hat das Militär auch Boden-Luft-Raketen gegen einen möglichen Luftangriff aufgebaut. Lasset die Spiele beginnen.

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