Stiefbruder getötet

Banker wieder frei: "Fühle mich trotzdem schuldig"

Österreich
24.03.2017 05:48

Nach seiner Enthaftung gab Andreas S. der "Krone" ein Interview. Dabei sprach der Banker über seine Zeit im Gefängnis, über seine peinigende Angst vor einem Fehlurteil - und über die Unmöglichkeit, damit fertigzuwerden, einen Menschen getötet zu haben: "Ich fühle mich trotzdem schuldig ..."

Mittwoch, früher Vormittag. Andreas S. kommt in Begleitung seiner Mutter in die Kanzlei seiner Anwälte Rudolf Mayer und Philipp Winkler. Der 45-Jährige wirkt gezeichnet und ein wenig unsicher. Mit gesenktem Kopf nimmt er an einem Besprechungstisch Platz und sagt: "Es fällt mir schwer, die Realität zu begreifen." Dass er nicht mehr im Gefängnis ist. Dass er nicht mehr unter Mordverdacht steht.

24 Stunden davor war seine Wirklichkeit noch eine andere: Er saß im Landesgericht Korneuburg auf der Anklagebank, ihm drohte eine lebenslange Haftstrafe. Wegen der grauenhaften Tragödie, die am 18. September 2015 in seiner Dachgeschoßwohnung in Wien-Währing geschehen war.

Entscheidende Wende am dritten Prozesstag
Die Ermittler waren letztlich davon überzeugt, dass die Tat vorsätzlich geschehen sei. Sie glaubten Andreas S. die Beteuerungen, der Schuss sei unabsichtlich losgegangen, nicht. Erst am dritten Tag seines Prozesses die Wende: Sämtliche in der Verhandlung vorgebrachten Fakten bestätigten schlussendlich die Unfallversion des Beschuldigten - die Staatsanwaltschaft überließ es daher den Geschworenen, den Mann wegen Mordes oder wegen fahrlässiger Tötung zu verurteilen.

"Krone": Herr S., wie fühlten Sie sich in diesem Moment?
Andreas S.: Ich war erleichtert, aber nur ein bisschen. So vieles hatte ja von Beginn meines Verfahrens an dafür gesprochen, dass ich Eric nicht absichtlich umgebracht habe - und doch wurden immer wieder neue belastende Spekulationen gegen mich vorgebracht. Also fürchtete ich, das würde abermals geschehen.

Und als Sie dann tatsächlich aus der Haft entlassen wurden?
Konnte ich das nicht wirklich realisieren. Das ist übrigens bis jetzt so.

Wie haben Sie den ersten Abend in Freiheit verbracht?
Zu Hause, mit meiner Mutter und meiner Großmutter. Wir haben uns eine Pizza bestellt und nach dem Essen noch lange miteinander geredet.

Worüber?
Darüber, wie nun alles weitergehen soll.

Ihre Pläne?
Ich will so schnell wie möglich wieder arbeiten.

Sie hatten einst einen sehr gut dotierten Posten bei einer Bank. Werden Sie ihn zurückbekommen?
Sicherlich nicht. Als Führungskraft darf man keine Vorstrafe über drei Monate haben. Aber ich hoffe, dass ich in dem Betrieb hinkünftig in einer niedrigeren Position tätig sein darf.

Gibt es von der Firma bereits diesbezüglich Signale?
Ich weiß nur: Alle meine Kollegen haben seit dem Drama fest zu mir gehalten und nie daran gezweifelt, dass Erics Tod ein Unfall war.

Gab es Menschen, die sich während Ihrer Zeit in U-Haft von Ihnen abwandten?
Keinen einzigen. Ich bin dankbar, dass ich so gute Freunde habe.

Im Prozess sagten Sie, Eric J. sei Ihr bester Freund gewesen.
Das war er für mich tatsächlich. Und es ist fürchterlich, damit leben zu müssen, dass ich an seinem Tod schuld bin.

Ihre Erinnerungen an die Tragödie?
Als ich das Blut sah, fühlte ich mich wie in einem Horrorfilm. Ich konnte nicht mehr denken, tat seltsame Dinge. Legte laut Akt etwa den Revolver in den Safe zurück. Vielleicht dachte ich in meinem psychischen Ausnahmezustand, diese Handlung könnte das Geschehene rückgängig machen.

Ihr seelischer Zustand jetzt?
Schlecht. Ich habe vor, eine Psychologin zu konsultieren.

Werden Sie auch mit den Angehörigen Ihres Stiefbruders sprechen?
Ich wollte mit ihnen reden - doch sie lehnen jeden Kontakt mit mir ab. Sogar mein Vater. Das schmerzt sehr. Was mich jedoch am meisten belastet, ist, dass ich zwei Kindern den Vater genommen habe.

Sie müssen nun hohe Zahlungen an sie leisten.
Ich bin froh, dass ich sie wenigstens finanziell unterstützen kann.

Erzählen Sie über Ihre Zeit im Gefängnis.
Die Wachebeamten verhielten sich menschlich und korrekt, sie ließen mich zum Glück arbeiten. Ich verteilte Bücher, putzte Toiletten, kehrte Höfe aus. Beschäftigt zu sein tat mir gut. Weil ich dadurch von schlimmen Gedanken abgelenkt war.

Wie vertrugen Sie sich mit den Insassen?
Ich habe in der Haft gelernt, dass Straffällige nicht zwingend schlechte Menschen sein müssen. Und mir sind da auch noch andere Dinge bewusst geworden: zum Beispiel, welchen Luxus es bedeutet, selbst entscheiden zu dürfen, was man isst, wie lange man schläft, ob man duscht.

Hatten Sie manchmal Selbstmordgedanken?
Natürlich. Aber ich habe sie immer schnell verworfen. Denn sich der Verantwortung gegenüber den Geschädigten und meiner Familie zu entziehen wäre feige und unmoralisch gewesen.

Martina Prewein, Kronen Zeitung

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