Wegen Katzenstreu

So wurde ein Atommüll-Fass in den USA zur Bombe

Ausland
26.11.2014 06:17
Wie schlecht es um die Sicherheit von Atommüll bestellt ist, macht ein Fall in den USA deutlich. Nach dem Austritt von Radioaktivität in einem unterirdischen Endlager für radioaktiven Abfall im Bundesstaat New Mexico im Februar hat sich jetzt nämlich herausgestellt: Der Vorfall war das Ergebnis einer Reihe von absurd anmutenden Fehlern und Vertuschungen, bei dem auch Katzenstreu eine Rolle spielte. Ein Atommüll-Fass wurde laut einem Medienbericht durch die brisante Panne zu einer potenziellen Bombe.

In Salzstöcken unter New Mexico werden seit 1999 in knapp einem Kilometer Tiefe Tonnen mit radioaktivem Abfall eingelagert. Im vergangenen Februar hatte erstmals ein Strahlenalarm in der Anlage für Aufregung gesorgt. Rund zwei Dutzend Arbeiter der Waste Isolation Pilot Plant (WIPP) nahe der Stadt Carlsbad bekamen durch ein Leck radioaktive Strahlung ab. Der Betreiber sprach damals von einer lediglich "minimalen Belastung".

Dumme Fehler und Vertuschungen
Ein aktueller Bericht der Lokalzeitung "New Mexican" macht allerdings deutlich, wie eine Reihe von dummen Fehlern zu der brisanten Panne führte - und die Verantwortlichen dann auch noch versuchten, die Tragweite des Vorfalls, bei dem eines der Fässer mit radioaktivem Müll undicht wurde, herunterzuspielen.

Seinen Anfang nahm die Beinahe-Katastrophe im ebenfalls in New Mexico ansässigen renommierten Atomforschungszentrum Los Alamos National Laboratory (LANL). Von einem privaten Konsortium geleitet, stand das LANL unter Druck, eine Deadline zur Entsorgung des in jahrzehntelanger Forschungsarbeit angefallenen radioaktiven Mülls (z.B. Schutzhandschuhe oder Ausrüstung) einzuhalten.

Forschungszentrum wollte sich Milliardenauftrag sichern
Der Abtransport des gesamten Atommüll-Bestands aus dem LANL bis zum Stichtag 30. Juni 2014 sollte dem Forschungszentrum dem Bericht zufolge die Verlängerung eines milliardenschweren staatlichen Auftrags sichern. Doch als bei der Vorbereitung zum Abtransport in Abfällen ein hoher Säureanteil festgestellt wurde, wurden Richtlinien offenbar bewusst nicht eingehalten - weil dies das termingerechte Ende des Projekts gefährdet hätte, heißt es im "New Mexican".

So kam es, dass der Inhalt von Fass 68660 - rund 200 Liter des problematischen Atommülls - mit einem Säureneutralisator behandelt wurde, um die Tonne schnell transportfähig zu machen. In Verbindung mit Katzenstreu führte dies jedoch zu einer hochexplosiven Mischung. Katzenstreu wird oft zusammen mit atomarem Abfall eingelagert, um Flüssigkeit zu absorbieren. Doch während dabei normalerweise eine auf Ton basierende Katzenstreu zum Einsatz kommt, wurde die "Unglückstonne" laut dem Zeitungsbericht mit weizenbasierter Streu gefüllt.

Folgenschwerer Tippfehler
Hintergrund dürfte ein einfacher Tippfehler gewesen sein: In den schriftlichen Anweisungen, wie der Abfall in der Tonne gelagert werden sollte, wurde nach organischer Katzenstreu, also mit Weizen, gefragt. Richtig wäre aber nichtorganisches Material gewesen, so der "New Mexican". Ein folgenschwerer Irrtum, da Weizen Hitze entwickelt, wenn es sich zersetzt. Der Fehler führte schließlich dazu, dass das Fass nach seiner Überstellung ins WIPP undicht wurde.

Die Kombination aus Säureneutralisator und der falschen Katzenstreu hätte den Abfall in eine potentielle Bombe, in seiner Zusammensetzung vergleichbar mit Plastiksprengstoff, verwandelt, wird ein Chemiker in dem Zeitungsbericht zitiert. Die Arbeiter im Atommüll-Endlager hatten davon jedoch keine Ahnung, als sie die brandgefährliche Tonne vom LANL entgegennahmen - und neben weiteren Fässern mit radioaktivem Abfall in den Salzstöcken deponierten.

Mehr als 20 Arbeiter wurden daraufhin leicht verstrahlt, als Fass 68660 im Februar undicht wurde. Doch selbst nach dem Vorfall dürften die Verantwortlichen des LANL Informationen zurückgehalten haben, wie aus Dokumenten und E-Mails hervorgeht. Demnach ist es nur dem Zufall zu verdanken, dass den Verantwortlichen des WIPP am Tag vor einer geplanten Untersuchung des Lecks Daten über den explosiven Inhalt zugespielt wurden - über den Umweg des Energieministeriums und drei Monate nach dem Strahlenalarm.

Forschergruppe: "Google-Recherche hätte ausgereicht"
In Los Alamos begründete man die fehlende Informationsweitergabe gegenüber der Zeitung damit, dass bei wissenschaftlichen Tests die explosive Mischung als Ursache für das Strahlenleck eliminiert werden konnte. Dem widerspricht allerdings der Chef der Los Alamos Study Group, Greg Mello. Der unabhängigen Forschergruppe zufolge habe eine einfache Google-Abfrage ausgereicht, um die Explosionsgefahr zu erkennen. "Es hat nur Sekunden gedauert", so Mello.

Und was die Katzenstreu betrifft, könnte die fehlerhafte Verwendung von organischem Material insgesamt mehr als 5.500 seit 2012 in Los Alamos mit Atommüll gefüllte Fässer betreffen. Sicher scheinen sich darüber aber nicht einmal die Behörden zu sein, die eigentlich für die Überwachung der Überstellung des radioaktiven Abfalls zuständig sind. So habe die Umweltbehörde von New Mexico etwa die Anzahl der staatlichen Inspektionen der Entsorgungsarbeiten in Los Alamos gesenkt, so der "New Mexican".

Wiederinstandsetzung des Lagers kostet halbe Milliarde Dollar
Das WIPP-Atommülllager ist unterdessen seit dem Strahlenleck im Februar stillgelegt. Konservativen Schätzungen zufolge werden für die Wiederinstandsetzung, die möglicherweise Jahre dauern könnte, 500 Millionen Dollar gebraucht. Tonnenweise radioaktive Abfälle harren unterdessen ihrer Endlagerung.

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