Nach Guttenberg

Plagiatsjäger haben Hahn, Grasser, Pilz und Papst im Visier

Ausland
02.03.2011 22:55
Jene Website, auf der nach abgeschriebenen Stellen in der Dissertation des deutschen Ex-Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg gesucht wird, hat wesentlich zu dessen Abgang beigetragen. Nun wollen die Macher einer neuen Plattform weitere Arbeiten nicht nur deutscher Politiker untersuchen: Auf der Liste finden sich auch Österreichs EU-Kommissar Johannes Hahn, der Grüne Peter Pilz und Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser. Und sogar Prominente aus anderen öffentlichen Bereichen - bis hin zum Papst - kommen zum Handkuss.

Hahn war bereits zu seiner Zeit als Wissenschaftsminister mit Plagiatsvorwürfen konfrontiert. Der ÖVP-Politiker hatte 1987 seine Dissertation zum Thema "Perspektiven der Philosophie heute - dargestellt am Phänomen Stadt" an der Universität Wien eingereicht. Schon 2007 hatte ihm Medienwissenschaftler und Plagiatsjäger Stefan Weber vorgeworfen, dabei "absolut schlampig gearbeitet" und "seitenweise abgeschrieben" zu haben. Die Uni Wien ging den Vorwürfen nach, verzichtete letztendlich aber auf die Einleitung eines Prüfungsverfahrens.

Van der Bellen als Doktorvater
Pikant: Auch die Doktorarbeit des Grünen-Abgeordneten Pilz steht auf der Plattform Plagipedi auf der "Liste der zur Überprüfung vorgeschlagenen Arbeiten". Doch gerade Pilz war es, der zuletzt Weber mit einer neuerlichen Überprüfung von Hahns Dissertation beauftragt hat. Pilz selbst hat 1983 sein Studium der Volkswirtschaft an der Uni Wien mit einer Doktorarbeit über "Ökonomische Auswirkungen der Einführung neuer Medien" abgeschlossen. Doktorvater war übrigens der spätere Grünen-Parteichef Alexander Van der Bellen, nunmehr für die Koordinierung der Wiener Unis zuständig.

Pilz: "Eine ganz saubere Arbeit"
Pilz hat am Mittwoch die Lektüre seiner Dissertation empfohlen. Diese sei "ein ordentlicher Aufwand" gewesen, so Pilz. "Was wir damals versucht haben zu prognostizieren, ist zum Teil eingetroffen, zum Teil sind wir ordentlich danebengelegen." Bei dem Projekt habe es sich um eine Forschungsarbeit der Akademie der Wissenschaften gehandelt. "Das war eine ganz saubere Arbeit. Ich empfehle es jedem, sie sich anzuschauen." Unangenehm könne er werden, wenn man ihm in diesem Zusammenhang unsauberes Arbeiten vorwerfe: "Sollte jemand auch nur ansatzweise einen Plagiatsvorwurf erheben, hat er am nächsten Tag eine zivilrechtliche Klage am Hals."

Schließlich wird auf Plagipedi auch eine Überprüfung der Diplomarbeit von Ex-Finanzminister Grasser zum - noch aus heutiger Sicht äußerst spannenden - Thema "Die Klein-AG der Schweiz: zivilrechtliche und steuerrechtliche Grundlegung sowie Gestaltungen und Probleme der Rechtspraxis" angeregt. Die Arbeit wurde 1991 an der Universität Klagenfurt eingereicht.

Liste umfasst bereits 160 Persönlichkeiten
Die Macher von Plagipedi wurden nach eigener Aussage "vom großen Erfolg des GuttenPlag-Projektes" zu ihrer nunmehrigen Initiative animiert. So heißt es auf der Plattform: "Lasst uns zusammenarbeiten und erst einmal grob überprüfen, ob es sich hierbei um einen bedauerlichen Einzelfall handelt oder ob Herr Guttenberg in trauriger Gesellschaft weilt. Dieses Wiki soll die Bemühungen all jener organisieren, die das Ziel eines integren wissenschaftlichen Abschlusses von Persönlichkeiten überprüfen wollen, die in herausragenden verantwortungsvollen Positionen unserer Gesellschaft stehen." Und bei der großen Anzahl von Persönlichkeiten, auf welche dieses Kriterium zutrifft, verwundert es nicht, dass sich bereits rund 160 Personen auf der Liste befinden.

Von Merkel über Sarrazin bis hin zum Papst
Angeregt wird dabei die Untersuchung der Arbeiten von elf weiteren der insgesamt 16 Mitglieder der deutschen Bundesregierung, darunter jene von Kanzlerin Angela Merkel ("Untersuchung des Mechanismus von Zerfallsreaktionen mit einfachem Bindungsbruch und Berechnung ihrer Geschwindigkeitskonstanten auf der Grundlage quantenchemischer und statistischer Methoden", 1986) oder Bildungsministerin Anette Schavan ("Person und Gewissen - Studien zu Voraussetzungen, Notwendigkeit und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung", 1980).

Weiters im Visier der Plagiatsjäger sind u.a. der deutsche Ex-Kanzler Helmut Kohl, Ex-Präsident Horst Köhler, der frühere bayrische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU), Bestsellerautor Thilo Sarrazin (SPD), der frühere Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Michel Friedman (CDU), Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann und Margret Wintermantel, Präsidentin der Deutschen Hochschulrektorenkonferenz. Und sogar die Dissertation von Papst Benedikt XVI. alias Josef Aloisius Ratzinger über "Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche" aus dem Jahr 1953 soll überprüft werden.

GuttenPlag-Initiator enttäuscht von Ex-Minister
Der Auslöser dieser Entwicklung im Netz, der Betreiber der Seite GuttenPlag, ist übrigens ein Doktorand, der anonym bleiben will. Er zeigte sich enttäuscht über den Abgang des Ministers. "Wir stellen fest, dass Herr Guttenberg in seiner Rücktrittserklärung seinen bisherigen Standpunkt, dass in der Dissertation nicht bewusst plagiiert wurde, nicht revidiert hat." Daher sei zu bezweifeln, dass Guttenberg an der Aufklärung der Vorwürfe mitwirken wolle.

Mindestens die Hälfte von Guttenbergs Dissertation ist nach der Analyse der Plagiatsjäger abgekupfert. Laut einer automatischen Auswertung seien 8.000 der 16.300 Textzeilen Plagiate - ein Anteil von 49 Prozent. In einem Zwischenbericht erklärten die Betreiber der Plattform am Mittwoch, sie seien auf 82 Prozent aller Seiten fündig geworden. Man habe 891 Fragmente aus mehr als 120 Quellen entdeckt. Und dem nicht genug: In dieser Statistik fehlen sogar noch die Textstellen, die Guttenberg aus Berichten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages übernommen habe - diese sollen aber in Kürze nachgetragen werden.

Staatsanwaltschaft: 80 Strafanzeigen eingegangen
Indes hat die deutsche Staatsanwaltschaft im bayrischen Hof am Mittwoch ein Ermittlungsverfahren gegen Guttenberg eingeleitet. Geprüft werde demnach insbesondere, ob strafrechtlich relevante Urheberrechtsverletzungen vorliegen und ob es ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung gibt. Man verwies darauf, dass Guttenberg sein Bundestagsmandat niederlegen wolle und damit seine Immunität erlösche.

Den Angaben zufolge gingen bisher rund 80 Strafanzeigen ein, die überwiegend den Vorwurf betreffen, Guttenberg habe in seiner Dissertation das Urheberrecht verletzt. Ein Sprecher der Behörde verwies aber darauf, dass eine mögliche Verletzung des Urheberrechts grundsätzlich nur dann verfolgt werden könne, wenn dies ein Geschädigter beantrage. Von einem solchen liege bisher aber keine Anzeige vor.

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