Kritik an Regierung

Wütende Demo gegen “Pflegegeld-Kahlschlag”

Österreich
18.11.2010 14:20
Die Aufregung über die Sparpläne der Regierung schlägt langsam in Aktionismus um. Noch vor der für 27. November geplanten Großdemo von Studenten und Familienverbänden haben am Donnerstag Dutzende Rollstuhlfahrer und Menschen mit Behinderung vor dem Sozialministerium ihrem Ärger Luft gemacht. Bei der Demo mit mehrfacher Blockade der Wiener Ringstraße schlug die Kritik vor allem Minister Rudolf Hundstorfer entgegen.

"Rostiger Rollstuhl für Minister!", war auf einem Transparent zu lesen. Hundstorfer entwickle sich zum "Totengräber des Pflegegelds", hieß es. Initiiert hatte den Protest Georg Wessely, Beamter im SPÖ-geleiteten Sportministerium und selbst Rollstuhlfahrer. Angesichts der Pläne der Regierung habe er sich gedacht: "Jetzt ist es genug, jetzt gehe ich als Privatperson auf die Straße!"

Viele Behindertenorganisationen schlossen sich seinem Protest an, darunter der Zivilinvalidenverband, die Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation und der Blinden- und Sehbehindertenverband sowie etliche kleinere Vereine.

Polizisten von Hartnäckigkeit überrascht
Angemeldet war die Demo als Standkundgebung, immer wieder blockierten die Menschen im Rollstuhl aber auch die Ringstraße. Vom Widerstandswillen der rund 200 Demo-Teilnehmer zeigte sich Wessely dann ebenso überrumpelt wie die anwesenden Polizisten.

Immer wieder stellten sich die Demonstranten auf die Kreuzung vor dem Ministerium, später setzte sich die Demo in Bewegung, auch die Hauptfahrbahn der Ringstraße und der Eingang des Ministeriums wurden blockiert. Unter die Demonstranten mischten sich auch Aktivisten der Sozialistischen Linkspartei, Parolen wie "Hände weg vom Pflegegeld", "Erst freie Pflege, dann freie Straße" oder "Uns bescheißt er, Hundstorfer heißt er" wurden skandiert.

"Totengräber des Bundespflegegelds"
Hauptthema des Protestes waren die geplanten Umstrukturierungen beim Pflegegeld. Klaus Voget, Chef von ÖZIV und ÖAR, warnte, dass die geplanten neuen Hürden bei den Pflegestufen 1 und 2 rund 24.000 Menschen betreffen würden, wovon rund 10.000 komplett aus dem System fielen. Wie man mit der geringen Summe bei den untersten Pflegestufen Sachleistungen bezahlen solle, "muss der Herr Minister erst vorhupfen". Martin Ladstätter vom Verein "Bizeps" sprach von einem "Kahlschlag beim Pflegegeld". Allein im Zeitraum 2011 bis 2014 würden den Menschen 318 Millionen Euro vorenthalten. Sein Urteil über Hundstorfer: "Ich fürchte fast, dass er sich zum Totengräber des Bundespflegegelds entwickelt."

Behindertenverbände kritisierten in den letzten Tagen aber auch etliche andere Bereiche des Sparpakets. Laut ÖAR treffen die Kürzungen beim Familiengeld (13. Behilfe, Bezugsdauer, Streichung des Mehrkindzuschlages) Familien mit behinderten Kindern "ungleich höher". Das Gesetzesvorhaben sei "definitiv als Diskriminierung" von Behinderten zu sehen und daher "verfassungswidrig". "Aus sozialen Gesichtspunkten erscheint es als eine besondere Härte, wenn auch (schwer) behinderte Kinder von der Herabsetzung der Altersgrenze betroffen sein sollen", hieß es am Mittwoch auch in der Stellungnahme der Wiener Landesregierung zum Budget.

Aussetzung des Kündigungsschutzes sorgt für Unmut
Auch bei den arbeitsrechtlichen Bedingungen für Behinderte plant Hundstorfer Veränderungen, die auf breite Kritik stoßen. In den kommenden drei Jahren soll es z.B. keinen besonderen Kündigungsschutz für neueintretende Behinderte mehr geben. Die ÖAR lehnt diesen Plan ebenso entschieden ab wie der Blinden- und Sehbehindertenverband sowie der Kriegsopfer- und Behindertenverband. Man stößt sich vor allem am Argument des Sozialministeriums, dass mit der Maßnahme eigentlich die Zahl der Behinderten in Beschäftigung erhöhen will. Vor allem der besondere Kündigungsschutz gelte derzeit bei Arbeitgebern als Hemmschuh.

Alle drei Organisationen betonen auch, dass die Anhebung der Ausgleichstaxe vollkommen unzureichend sei. Die Taxe, die von Unternehmen geleistet werden muss, wenn sie nicht im erforderlichen Maß Behinderte einstellen, wird nur für Dienstgeber mit mehr als 100 Arbeitnehmern um die Hälfte erhöht. Die Begründung Hundstorfers, nämlich dass es für die großen Dienstgeber leichter möglich sei, Menschen mit Behinderung einzustellen, bezweifelte zuletzt der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes.

Barrierefreier Umbau erst 2019
Fast schon spöttische Kritik ernten der Rückzieher der Regierung beim barrierefreien Umbau öffentlicher Gebäude. Bis Ende 2015 hätte der Bund eigentliche sämtliche Gebäude behindertengerecht umbauen sollen. So hatte es die schwarz-blaue Regierung vor fünf Jahren beschlossen - unter heftigen Protesten der SPÖ an den aus ihrer Sicht zu langen Übergangsfristen. Nun lässt sich Hundstorfer in Zeiten des Sparbudgets noch länger Zeit für den barrierefreien Umbau öffentlicher Gebäude - nämlich bis Ende 2019. Lediglich kleinere Arbeiten mit Kosten von weniger als 10.000 Euro müssen weiterhin bis Ende 2015 abgeschlossen werden. ÖZIV-Chef Voget bezeichnete die Verlängerung am Donnerstag als "insdiskutabel".

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