Plagiatsvorwurf

Gutachten: Hahns Doktorarbeit zu 17,2% ein Plagiat

Österreich
23.05.2011 12:19
Der als "Plagiatsjäger" bekanntgewordene Salzburger Medienwissenschafter Stefan Weber hat in der Dissertation des ehemaligen Wissenschaftsministers und derzeitigen EU-Regionalkommissars Johannes Hahn 76 Plagiatsfragmente entdeckt. Zumindest 17,2 Prozent der Gesamtzeilenanzahl der Arbeit seien abgeschrieben, berichtete am Montag der Grüne Peter Pilz, dessen Partei das Gutachten bei Weber in Auftrag gegeben hatte. Hahn, der die Vorwürfe in einer ersten Reaktion als haltlos zurückwies, habe "seine Dissertation offensichtlich erschwindelt."

Konkret hat Weber im Schnitt auf jeder vierten Seite von Hahns 254 Seiten umfassender Arbeit "Die Perspektiven der Philosophie heute - dargestellt am Beispiel der Stadt" Plagiatsfragmente entdeckt. Hahn hatte das Werk 1987 eingereicht.

Insgesamt waren es 76 Plagiatsfragmente, in 68 Fällen hat Hahn laut dem Gutachten den Text angepasst - man könne daher nicht von vergessenen Anführungszeichen reden, so Pilz, der Webers Analyse auf seiner Website veröffentlicht hat und auch zum Download anbietet (siehe Infobox). Dies sei absichtlich geschehen, es handle sich daher um "Manipulation, möglicherweise Fälschung". Laut Pilz könnte Hahn in noch größerem Umfang abgeschrieben haben, als Weber in seinem manuellen Vergleich der Dissertation mit 21 Werken aus der Literaturliste feststellen konnte.

Pilz: "Universität deckt ihre Minister"
Harsche Kritik übte Pilz in diesem Zusammenhang an der Uni Wien: "Die Universität deckt ihre Minister", so habe sie eine Anzeige Weber aus 2007 "einfach liegen gelassen". Er gehe davon aus, dass jenes Gutachten, das die Uni Wien nun bei der Agentur für wissenschaftliche Integrität angefordert hat und das bis Herbst veröffentlicht werden soll, "sauber" sein werde. Er wolle sich aber sowohl die Rolle von Hahns Doktorvater Peter Kampits als auch der für die Einleitung von Plagiatsprüfungen in Verdachtsfällen zuständigen Studienpräses Brigitte Kopp ansehen.

Pilz verwies darauf, dass die Uni Wien laut dem Universitätsgesetz die Verleihung des akademischen Titels aufheben müsse, wenn dieser - wie laut Gutachten in Hahns Fall - "erschlichen" wurde. Es gebe auch ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs aus 2009 zu einem der Dissertation Hahns sehr ähnlichen Fall, in dem ebenfalls Techniken verwendet wurden, die - wie es in dem Gutachten heißt - "auf bewusste Verschleierung hindeuten". Es könne gut sein, dass der VwGH sich auch mit der Arbeit des "Doktorats-Schwindlers" Hahn beschäftigen werde, glaubt Pilz.

Die Uni Wien verweist auf das Gutachten der Uni Zürich, in dem "seriös" die damals als Plagiat angezeigten Passagen untersucht worden seien und wies den Vorwurf Pilz' zurück, dass Hahn "gedeckt" worden sei. Die Uni werde aufgrund des Gutachtens von "Plagiatsjäger" Weber keine Schritte gegen Hahn einleiten, man warte das bei der Agentur für wissenschaftliche Integrität beauftragte Gutachten ab, in dem wohl auch Webers Untersuchungen berücksichtigt werden, sagte eine Sprecherin des Rektorats.

Gutachten an Uni Wien geschickt
Das Gutachten wurde bereits am Vormittag der Uni Wien übermittelt, es soll auch an die europäische Kommission gehen. Von dieser erwartet sich Pilz, dass sie - angesichts des schwindenden Vertrauens in alle Ebenen der EU - "zumindest die Standards der deutschen Bundesregierung auch in Brüssel" anwende, sagte er mit Verweis auf den nach einer Plagiatsaffäre zurückgetretenen deutschen Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. Von Hahn selbst erhofft sich Pilz, dass er sich "mit Anstand" aus seinem Amt zurückzieht.

Hahn weist Vorwürfe als haltlos zurück
Hahn selbst hat die Plagiats-Vorwürfe gegen ihn als haltlos zurückgewiesen. Das von Peter Pilz präsentierte Auftragsgutachten über seine Dissertation sei "politisch motiviert, wenig überraschend und nicht maßgeblich", so der EU-Kommisar, der auch auf ein Gutachten der Universität Zürich aus dem Jahr 2007 verwies. Dieses habe ergeben, "dass es sich bei der Dissertation von Dr. Hahn um kein Plagiat handelt".

Für die Beurteilung der 1987 gemäß der damals geltenden Studienordnung der Uni Wien abgeschlossenen und approbierten Arbeit seien einzig und allein die Universität Wien bzw. die von ihr beauftragten Experten zuständig. Das Ergebnis einer im Auftrag der Uni Wien durch die Agentur für wissenschaftliche Integrität gegebenen Untersuchung sei abzuwarten.

Vorwürfe gegen Hahn bereits 2007
Schon wenige Monate nachdem Hahn sein Amt als Wissenschaftsminister angetreten hatte, hatte ihm "Plagiatsjäger" Weber vorgeworfen, "absolut schlampig gearbeitet" und "seitenweise abgeschrieben" zu haben. Die Uni Wien ging den Vorwürfen nach, verzichtete aber vorerst auf die Einleitung eines Plagiatprüfungsverfahrens, weil - wie es hieß - Hahn nie fremdes geistiges Eigentum als sein eigenes ausgegeben habe.

Am 18. April gab die Universität Wien dann aber bekannt, sie werde die Hahns Doktorarbeit nun doch prüfen, ein Ergebnis sei in vier bis sechs Wochen zu erwarten (Bericht in der Infobox). Die Uni nutze nach eigenen Angaben die neuen technischen Möglichkeiten und zieht Experten bei, hieß es.

Weitere Plagiatsjäger untersuchen Arbeit
Ausgelöst wurde die Plagiatssuche durch die Debatten in Deutschland, wo vor wenigen Wochen Verteidigungsminister Guttenberg und andere prominente Politiker wegen zu offensichtlichen Abschreibens zurücktreten mussten.

Die offizielle Überprüfung durch die Uni könnte für Hahn böse Folgen haben, glaubt Herbert Hrachovec, Philosoph an der Uni Wien. Er hatte bereits vor Längerem eine Analyse der ersten 100 Seiten durchgeführt, die auf der deutschen Seite Plagipedi verlinkt ist. Es könne für Hahn "so ausgehen wie bei Guttenberg", so Hrachovec.

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