7500 in Nickelsdorf

Flüchtlingswelle: ÖBB stoppen Ungarn-Verbindung

Österreich
10.09.2015 23:33
Mehr als 7500 Flüchtlinge sind laut Polizei am Donnerstag über das burgenländische Nickelsdorf nach Österreich gekommen. Der erneute Ansturm brachte die Einsatzkräfte an den Rand ihrer Kapazitäten, die ÖBB stellten aufgrund der drohenden Überlastung sogar den Zugverkehr von und nach Ungarn komplett ein. In Nickelsdorf wurden in der Nacht weitere 4000 bis 5000 Flüchtlinge erwartet, deshalb wurden am Wiener Westbahnhof weitere Notschlafstellen mit Hunderten Feldbetten eingerichtet.

Für Freitag erwartet Burgenlands Landespolizeidirektor Hans Peter Doskozil eine ähnlich große Zahl von Migranten am Grenzübergang. Die Neuankömmlinge werden weiterhin per Bus und Bahn in Tranchen nach Wien weitergebracht. "Wir stehen vor einer riesigen Herausforderung", sagte Doskozil in der "ZiB 2" am Donnerstagabend.

Kritisch äußerte sich Doskozil über die Informationspolitik der ungarischen Behörden: "Wir haben nicht jene Informationen bekommen, die wir benötigen", sagte der Landespolizeidirektor. Man habe erst um 18 Uhr von den ungarischen Kollegen erfahren, wie viele Flüchtlinge für die Nacht zu erwarten seien. Wegen der zu erwartenden kalten Nacht galt es, rasch Unterkünfte für die Flüchtlinge zu finden.

Situation in Budapest weiterhin angespannt
Auch die Lage am Budapester Ostbahnhof ist angespannt: Trotz der zahlreichen bereits abgereisten Menschen warteten am Donnerstagabend nach wie vor Hunderte Flüchtlinge auf Züge, die sie Richtung Westen bringen. In ganz Ungarn wurden am Mittwoch 3321 Migranten aufgegriffen. In der nordserbischen Grenzstadt Kanjiza trafen binnen 24 Stunden sogar 4000 Flüchtlinge ein. Gleichzeitig passierten laut Belgrader Medienberichten rund 3300 Flüchtlinge die Grenze zu Ungarn.

ÖBB stellen Ungarn-Verbindungen ein
Die ÖBB reagierten am Donnerstag auf die "massive Überlastung" und stellten den Zugverkehr zwischen Österreich und Ungarn vorübergehend ein. Das betraf sowohl die Railjet-Verbindung auf der Strecke Wien-Budapest als auch grenzüberschreitende Regionalzüge. Bis auf Weiteres werden auch keine Tickets für Fahrziele in Ungarn verkauft. Die Shuttlezüge von Nickelsdorf zum Wiener Westbahnhof bleiben aber aufrecht, um Fahrgästen die Weiterreise in den regulären Zügen Richtung Westen zu ermöglichen.

Per Sonderzug nach Wien
Einer dieser Sonderzüge fuhr bereits um 6 Uhr früh mit einer ersten Gruppe von rund 500 Flüchtlingen von Nickelsdorf nach Wien. Weitere Sonderzüge trafen im Laufe des Tages nach und nach ein. Wie auch die Passagiere des ersten Transports mussten sie am von der Polizei abgeriegelten Bahnsteig auf Anschlüsse nach Deutschland warten. Die Lage am Bahnhof war dennoch ausgesprochen ruhig und geordnet. Die Menschen wurden von Polizei, ÖBB-Mitarbeitern und Freiwilligen in Empfang genommen und auf Züge, die nach Salzburg, Linz bzw. Bregenz fuhren, aufgeteilt. Die Plätze für Flüchtlinge in den Zügen seien aber meist auf zwei Waggons beschränkt.

ÖBB: "Züge konnten auf keinen Fall weiterfahren"
Der Zugverkehr zwischen Ungarn und Österreich habe eingestellt werden müssen, weil das Sicherheitsrisiko zu groß gewesen sei, sagte ÖBB-Sprecher Michael Braun. Die aus Ungarn kommenden Züge seien "dermaßen überfüllt, dass wir sie auf keinen Fall weiterfahren lassen können. In Österreich dürfte so ein Zug den Bahnhof gar nicht verlassen." Wie lange der Railjet-Verkehr zwischen Österreich und Ungarn noch unterbrochen bleibt, konnte Braun auch am Abend noch nicht sagen. Bis auf Weiteres sollen aber keine Sonderzüge aus Wien nach Deutschland fahren.

"Seit 14 Tagen ist alles unterwegs, was Räder hat. Der Zustrom bleibt zu hoch. Wir tun, was wir können. Mehr geht nicht", sagte Braun und verwies auf den nach Ende der Schulferien wieder aufgenommenen Normalbetrieb auf den Bahnstrecken. "Wir haben keine Züge ungenützt herumstehen. Und die Wartung eines Zugs ist aufwendiger als die eines Autos", sagte der Sprecher unter Bezugnahme auf den schon früher geäußerten Hinweis, dass die für den Transport von Flüchtlingen eingesetzten Sonderzüge gewartet werden müssen.

Busflotte wird verstärkt
Die Busflotte zum Transport der Menschen wurde verstärkt, zusätzliche Unterbringungsmöglichkeit sollen geschaffen werden, hieß es am Donnerstag aus dem Innenministerium. "Wir haben eine Situation wie zum Wochenende", sagte Ressortsprecher Karl-Heinz Grundböck, "mit dem Unterschied einer eingeschränkten Transportkapazität auf Schiene."

Flüchtlinge reisen nun auch von Linz nach Passau
Am Salzburger Hauptbahnhof harrten etwa 650 Menschen die Nacht über aus und warteten auf die ersten Züge Richtung München. Sie übernachteten in einer beheizten Zuggarnitur sowie auf Feldbetten in einem beheizten Zelt am Vorplatz und im Hauptdurchgang. Helfer des Roten Kreuzes und der Caritas versorgten sie mit Lebensmitteln, Getränken, Decken und Polstern. Mittlerweile reisen die Flüchtlinge auch mit Zügen aus Linz nach Passau. Die oberösterreichische Polizei erklärte, es handle sich um Flüchtlinge, die die Nacht auf Donnerstag in einem Notquartier in Linz verbracht hatten. Man habe ihnen vorgeschlagen, nicht die überfüllten Züge nach München, sondern jene nach Passau zu nehmen. Dort sind im Laufe des Tages rund 350 Personen angekommen.

Jene rund 600 Menschen, die am Vormittag in Graz gewartet hatten, konnten mittlerweile bis auf sechs Personen ihre Weiterreise Richtung Salzburg bzw. Deutschland antreten. Die Messehalle in Graz, wo die Flüchtlinge untergebracht worden waren, könne nun geräumt werden, wie die Polizei erklärte.

Zwei weitere Notschlafstellen in Wien eingerichtet
Für die in Wien gestrandeten Flüchtlinge wurden zwei weitere Notschlafstellen eingerichtet. Eine provisorische Unterkunft mit 270 Feldbetten befindet sich laut Peter Hacker, Flüchtlingskoordinator der Bundeshauptstadt, in der Stadthalle und damit in unmittelbarer Nähe zum Westbahnhof. Die zweite Notschlafstelle, ein leer stehendes Bürohaus, befindet sich in Wien-Döbling. Sie sei von der Uniqua auf Vermittlung des Flüchtlingskoordinators der Regierung, Christian Konrad, zur Verfügung gestellt worden. Platz sei für 200 Feldbetten, sagte Hacker. Die Betreuung wurde von der Caritas übernommen.

ÖBB-Betriebsratschef: "Unglaubliches Politikversagen"
ÖBB-Betriebsratschef Roman Hebenstreit beklagte die enormen Belastungen für die Mitarbeiter der Bundesbahnen. "Material und Mannschaft kommen an ihre Grenzen", sagte er. Allein bis zum frühen Abend seien am Donnerstag bis zu 10.000 Flüchtlinge mit Zügen der ÖBB unterwegs gewesen. Bewältigbar seien 3000 bis 3500 Menschen pro Tag, und das auch nur über kurze Zeit, so Hebenstreit, der gleichzeitig Kritik an Innenministerin Johanna Mikl-Leitner übte: "Diese Zustände sind ein unglaubliches Politikversagen. Es kann nicht sein, dass ÖBB-Zugbegleiter den Job der Innenministerin übernehmen. Das ist keine politische Botschaft, sondern eine Kompetenzfrage." Hebenstreit forderte eine Unterstützung des Ministeriums beim Transport der Flüchtlinge.

Ansturm vor Einwanderungsgesetz Neu
Hilfsorganisationen erwarten in den kommenden Tagen weiter eine große Zahl von Flüchtlingen. Da am 15. September in Ungarn verschärfte Einwanderungsbestimmungen in Kraft treten, versuchen zahlreiche Menschen, das Land noch vorher Richtung Österreich zu durchqueren. Das umstrittene neue Gesetz sieht unter anderem Gefängnisstrafen von bis zu drei Jahren für alle vor, die den an der Grenze zu Serbien errichteten Stacheldrahtzaun überwinden.

Am Wochenende hatten insgesamt 15.000 aus Ungarn kommende Flüchtlinge die Grenze nach Österreich passiert, in den vergangenen Tagen ließ der Zustrom vorübergehend deutlich nach.

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